Grundstück Schafflerhofstraße, Grundstücks-Spekulation, Breitenleer Straße, Stadterweiterung Nordosten Wien, Acker
Die Spur des Geldes führt zu einer knapp 26 Hektar großen kargen Grünfläche in Neuessling in Wien. Nach zahlreichen Deals ist das Areal mittlerweile 100 Millionen Euro wert.
© Christian Fischer; Gestaltung: Oana Rotariu

Auf dem rostbraunen Schild vor dem riesigen Grundstück steht: "Betreten des Werksgeländes sowie Baden und Fischen strengstens verboten." Das wäre an sich nichts Ungewöhnliches. Aber weder existiert hier im Umkreis von hunderten Metern ein Werksgelände noch irgendein Gewässer. Hier gibt es nur eine ebene Fläche, die am ehesten als Gstätten zu charakterisieren ist.

Nichts deutet darauf hin, dass dieses karge Stück Land im Nordosten Wiens, Grundstück Nr. 455 in der Katastralgemeinde Essling, direkt an der Grenze zu Niederösterreich, Dutzende Millionen Euro wert ist. Das Areal ist zum Tummelplatz von Immo-Haien und zum Objekt undurchsichtiger, spekulativer Deals geworden: Gleich mehrfach wurde das Grundstück zuletzt ohne Aufsehen um horrende Summen weiterverkauft. Auch gemeinnützige Bauträger, die in der wachsenden Stadt Wien für leistbaren Wohnraum sorgen sollen, mischen mit: Sie feuerten mit Käufen die Preisexplosion weiter an. Der Quadratmeter Gstätten hier ist schon jetzt so viel wert wie gewidmeter Baugrund. Eine Umwidmung zeichnet sich vorerst aber keineswegs ab.

"Betreten des Werksgeländes sowie Baden und Fischen strengstens verboten" ist unter anderem auf dem alten Schild an der Grundstücksgrenze zu lesen.
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Schotter-Gruben wieder verfüllt

Dabei verlief der Beginn des Feilbietens noch völlig unspektakulär – und liefert eine Aufklärung zum Badeverbotsschild. Tatsächlich gab es auf dem knapp 26 Hektar großen Grundstück Nr. 455 zwischen Breitenleer Straße und Schafflerhofstraße in der Donaustadt bis vor wenigen Jahren noch drei Wassergruben. Diese wurden von einer Firma bis 2010 zur Kiesgewinnung genützt. Eigentümerin des Areals war aber eine Gesellschaft des Landwirtschaftsministeriums, also der Bund.

2013 wurde das Grundstück in einem Bieterverfahren verkauft. Das Interesse war überschaubar, es gab nur zwei Bieter: die Wirtschaftsagentur Wien und das private Unternehmen VBV Immobilien, das den Zuschlag bekam. Der unauffällige Kaufpreis: 7,2 Millionen Euro – rund 28 Euro pro Quadratmeter. Vor dem Verkauf wurden die Wassergruben wieder verfüllt.

Zwei Deals am selben Tag

Im Jahr 2022 folgte der Auftritt von Thomas Gabriel. Der Unternehmer ist umtriebig, vernetzt und über Gesellschaften an zahlreichen Immo-Deals in Wien und Niederösterreich beteiligt. Am 26. April 2022 schlug er mit seiner kurz zuvor gegründeten Schafflerhof Projektgesellschaft zu. Der Kaufpreis für die 26 Hektar: 65 Millionen Euro.

Noch am selben Tag, nur wenige Minuten später, veräußerte er sie aber um 86 Millionen Euro weiter. An diesem Tag machte Gabriels Firma nicht nur einen Schnitt von 21 Millionen Euro, sondern gab das Spekulationsrisiko gleich weiter. Eine Anfrage, wie Gabriel zu den Millionengewinnen kam, ließ er ebenso wie andere Fragen unbeantwortet.

Käuferin des Areals an diesem 26. April 2022 war die gemeinnützige Bau- und Siedlungsgenossenschaft Frieden. Die Angemessenheit des Kaufpreises, 333 Euro pro Quadratmeter, sei durch zwei Gutachten belegt, heißt es in einer Stellungnahme zum STANDARD. Die Frage, warum die Frieden nicht direkt bei der VBV zuschlug und stattdessen viel teurer bei Gabriel kaufte, blieb unbeantwortet. Immerhin muss beim Kauf der Frieden noch die VBV als Besitzerin im Grundbuch eingetragen gewesen sein.

Die 26 Hektar große Liegenschaft gehörte früher einer Gesellschaft des Bundes und wurde bis 2010 zur Kiesgewinnung genutzt.
Christian Fischer

"Gezwungen, Risiko auf uns zu nehmen"

Grundsätzlich argumentiert die Frieden mit einer gewissen Notwendigkeit: Durch die hohen Preise für bereits gewidmete Bauflächen sei das Unternehmen "gezwungen, das Risiko auf uns zu nehmen, nicht gewidmete Grundstücke zu erwerben", wird mitgeteilt. Sprich: Die Gemeinnützigen müssen demnach Grünland wie Äcker und Wiesen teuer kaufen und auf Umwidmung spekulieren - und darauf hoffen, dass es irgendwann zur Umwidmung kommt. Wollen sie nicht auf dutzenden Millionen Euro sitzenbleiben, müssen sie also auch Druck auf die Stadt ausüben.

Ein Sprecher der zuständigen Magistratsabteilung MA 21 B macht vorerst wenig Hoffnung. "Änderungen der Widmung der angeführten Flächen sind nicht vorgesehen", sagt er. Im Agrarstrukturellen Entwicklungsplan Wiens ist das Areal als "grüne Reserve" definiert. Das sind Grünräume, die "langfristig erhalten bleiben" sollen, aber zu Bauland umgewidmet werden können, wenn zusätzlicher Bedarf an Wohnungen nachgewiesen wird.

Das könnte in den nächsten Jahrzehnten durchaus passieren, auch aus einem anderen Grund: Wird die politisch derzeit auf Eis liegende S1-Nordostumfahrung samt Lobautunnel doch noch gebaut, dann ist eine Anbindung an das hochrangige Straßennetz in unmittelbarer Nähe des Grundstücks geplant (siehe Grafik).

Die geplante S1-Nordostumfahrung zwischen Schwechat und Süßenbrunn inklusive Lobautunnel ist derzeit politisch auf Eis gelegt. Beerdigt ist das Milliardenprojekt aber keineswegs. Wird es umgesetzt, gäbe es in der Nähe des Grundstücks 455 auch eine Anbindung an das hochrangige Straßennetz.
STANDARD

Teurer Weiterverkauf

Mit dem Verkauf an die gemeinnützige Frieden war die Spekulation in Neuessling noch nicht vorbei. Zwischen Dezember 2022 und Mai 2023 fand eine erste Filetierung des Grundstücks statt: Es erfolgten laut Grundbuch sechs Weiterverkäufe von Teilen des Areals an weitere gemeinnützige wie gewerbliche Bauträger und Entwickler - zu Quadratmeterpreisen von mehr als 500 Euro. Als Verkäufer trat großteils aber wieder Gabriels Schafflerhof-Gesellschaft und nicht die Frieden auf. Laut den einsehbaren Verträgen hat die Frieden Anteile am Grundstück zunächst wieder an Schafflerhof "zurückübertragen", ehe diese wenig später weiterverkauft wurden.

Im Grundbuch wird das nicht abgebildet. Warum diese intransparente Vorgangsweise? Die gemeinnützige Frieden brachte wenig Licht ins Dunkel, verwies auf "abwicklungstechnische Gründe".

Mit den jüngsten Weiterverkäufen ist das gesamte Areal laut Grundbuch noch einmal ein paar Millionen Euro mehr wert als noch 2022. Laut Berechnungen des STANDARD sind es nun rund 100 Millionen Euro. Dabei ist die Gstätten einfach nur eine Gstätten geblieben.

Keine Einzelfälle, sondern ein System

Die Neuesslinger Grundstücksdeals sind in ihrer finanziellen Dimension herausragend. Sie sind aber bei weitem keine Einzelfälle. Längst hat die Vorgangsweise vor allem in der Donaustadt System - und sie wird von der rot-pinken Stadtregierung geduldet und akzeptiert. Vor allem Grünflächen, Äcker und Brachen im Nahebereich der U2 oder der in Bau befindlichen Stadtstraße sind bei Immo-Firmen heiß begehrt - und werden um Baulandpreise gehandelt.

Nahe der U2-Station Aspern Nord wurde ein großer Acker von einem Landwirt um 45 Millionen Euro (300 Euro pro Quadratmeter) verkauft, wie der STANDARD im Vorjahr berichtete. Etwas kleinere Grünflächen im Umfeld erzielten noch höhere Quadratmeterpreise.

Der Großteil der Grünflächen dort befindet sich bereits in den Händen von Bauträgern. Steht eine angepeilte Umwidmung bevor, ist die Show längst gelaufen. Die Stadt schaut durch die Finger und profitiert von Umwidmungsgewinnen kaum. Der Spekulation im Vorfeld sind Tür und Tor geöffnet.

In der wachsenden Stadt Wien wird weiterhin Wohnraum benötigt, vor allem leistbarer. Dementsprechend sind Äcker und Grünflächen bei Bauträgern heiß begehrt.
© Christian Fischer

Mit dem Kauf und dem schnellen Verkauf von Grundstücken haben sich zudem einige vernetzte Immo-Spekulanten, darunter ehemalige Fußballer, ein eigenes millionenschweres Geschäftsmodell gebastelt. Unternehmer Gabriel schlug etwa 2022 auch in der Ambrosigasse im Gartenbaugebiet Essling kräftig zu, wie die "Wiener Zeitung" und der "Falter" berichteten. Die Grundstücke dort sind nur einen Steinwurf vom 26-Hektar-Areal bei der Schafflerhofstraße entfernt. Ein kleines Grundstück wurde zum Beispiel um 2,725 Millionen Euro erworben und wenig später um fast das Doppelte weiterverkauft.

Die erst kurz davor für diesen Deal gegründete Firma Ambrosi22 befindet sich derzeit übrigens in Liquidation. Den Antrag dafür hat Gabriel erst vor wenigen Tagen ans Handelsgericht geschickt, von seinem Wohnsitz in Dubai aus, wie aus dem Firmenbuch hervorgeht.

Auch Banken zocken mit

In der Ambrosigasse deckten sich vor allem ÖVP-nahe gemeinnützige Wohnbauträger mit Grundstücken ein. Und traditionell der schwarzen Reichshälfte zugehörige Gemeinnützige schlugen auch beim riesigen Grundstück zwischen Breitenleer Straße und Schafflerhofstraße zu, unter anderem das Österreichische Siedlungswerk (ÖSW) sowie dessen Tochter, die gemeinnützige Bauvereinigung Wohnungseigentum. Hier erwarb auch die Migra, die der SPÖ nahesteht, ein Filetstück: Sie ist mehrheitlich im Besitz eines Fonds der Stadt Wien, auch die Wien Holding ist indirekt dabei.

In die Deals in der Ambrosigasse sind auch zahlreiche Banken involviert. Sie finanzierten einerseits den Ankauf der Liegenschaften durch die gemeinnützigen Bauträger, an denen sie andererseits wiederum Beteiligungen halten. Pfandrechte zugunsten von Hypo Niederösterreich und Erste Bank im Gesamtausmaß von etwas mehr als 30 Millionen Euro sind auf den Liegenschaften eingetragen.

Auch auf der 26 Hektar großen und nun 100 Millionen Euro schweren Liegenschaft Nr. 455 lasten Hypotheken: Insgesamt 77 Millionen für die Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien und eine regionale Raiffeisenbank, 7,5 Millionen für die Erste Bank. Unmittelbare Beteiligungen der involvierten Banken an den Bauträgern ließen sich hier aber nicht ausmachen. Die Frieden ist eine Genossenschaft, die nur ihren Mitgliedern gehört. Und am ÖSW ist nur indirekt die Hypo NÖ beteiligt.

"Keine Handhabe" – oder vielleicht doch?

"Bei Grundstückstransaktionen, an welchen die Stadt Wien nicht beteiligt ist, hat die Stadt keine Handhabe, möglicher Spekulation direkt entgegenzuwirken", sagt Stadtplanungsdirektor Thomas Madreiter. Das mag stimmen - aber man könnte es ändern.

Heidemarie Sequenz von den Wiener Grünen machte im Landtag wiederholt darauf aufmerksam, dass es in Wien, anders als in allen anderen Bundesländern, keine grundverkehrsrechtlichen Hürden für Inländer beim Erwerb von land- und forstwirtschaftlichen Flächen gibt. Mit anderen Worten: Jeder Spekulant kann jeden Acker kaufen, wenn er nur ausreichend Geld dafür hinblättert. In anderen Bundesländern müssen solche Deals von Grundverkehrskommissionen genehmigt werden.

Erst vor wenigen Tagen haben die Grünen das in einer Sonderlandtagssitzung erneut thematisiert. Von "Bonanza-Methoden" und "Wildwest-Manier" sprach Sequenz in ihrer Rede und forderte per Antrag ein strengeres Gesetz für die Bundeshauptstadt. Wien müsse hier dringend nachziehen, denn die "Spekulationsspirale" sei noch nicht ganz oben angekommen. Die geplante Lobau-Autobahn werde diese noch verstärken. "Die Angebote an die Landwirte sind wahnwitzig hoch, wenige können da widerstehen, sondern verkaufen dann halt schweren Herzens."

Die Stadt Wien ist seit Herbst vergangenen Jahres wieder eine Zwei-Millionen-Einwohner-Metropole: Alleine seit 2009 ist Wien in punkto Einwohner um die Größe von Graz gewachsen. Auch künftig wird Wohnraum benötigt. Die Frage ist, ob im dichtbesiedelten Stadtraum oder an den Rändern.
© Christian Fischer

"Nicht einmal Glashäuser"

Im Fall des Grundstücks Nr. 455 war es ein wenig anders: Denn es gehörte zunächst einer Gesellschaft des Bundes. Dennoch könnte sich für die Bauträger der Erwerb von dieser Liegenschaft noch als Last erweisen, selbst wenn sie irgendwann umgewidmet werden sollte.

Die einstigen Kiesgruben wurden zwar verfüllt, doch "Bodensetzungen sind auf solchen Flächen über Jahrzehnte nicht auszuschließen", heißt es in einer Stellungnahme der bundeseigenen Gesellschaft, die das Areal 2013 um 7,2 Millionen Euro veräußert hatte. Selbst die gärtnerische Nutzung durch das Aufstellen von Glashäusern sei auf solchen Flächen "nicht oder nur sehr aufwendig möglich". Baden und Fischen sind hier aber jedenfalls weiterhin ausgeschlossen. (David Krutzler, Martin Putschögl, 2.2.2024)