Kranke Frau liegt auf einer Couch
Muskel- und Skeletterkrankungen, Infektionen und psychische Erkrankungen sind Hauptursachen für Krankenstände.
Imago/Szewczyk

Die Nachrichten sind an Dramatik kaum zu überbieten: Deutschland verzeichnete im Vorjahr Rekordkrankenstände, die der deutschen Wirtschaft 26 Milliarden Euro Schaden zugefügt und die Wirtschaftsleistung um 0,8 Prozent gedrückt haben. Ohne diese Ausfälle würde sich keine Rezession ergeben, so das Statistische Bundesamt. Belastungen der öffentlichen Hand und der Sozialversicherungen sind demnach in die Höhe geschnellt.

Was ist da passiert? Krankheitsbedingte Ausfälle könnten aufgrund enger Personalsituationen nicht mehr wie früher durch Kolleginnen und Kollegen (Überstunden) aufgefangen werden, erklärt dazu eine Studie des Verbandes der forschenden Pharmaunternehmen. Das Schwächeln der deutschen Wirtschaft, so diese Ökonomen weiter, liege an der starken Exportorientierung, gestiegenen Energiekosten, globaler Flaute bei Investitionen. So weit, so bekannt. Nun kommen aber explizit die Krankenstände dazu. Bliebe das so, dann stünden der deutschen Wirtschaft umgerechnet 350.000 Beschäftigte weniger zur Verfügung.

Eindeutig sei die Krankenstandslage noch nicht zu erklären, so die Studie. Allerdings dürften Atemwegserkrankungen (durch Corona-Pandemie unterbrochene andere Infektionsketten) und ausgeprägte Grippewellen verantwortlich sein. Das ergebe ein Viertel der Fehlzeiten. Allerdings rangieren schon auf Platz zwei Muskel-Skelett-Erkrankungen, psychische Erkrankungen wie Depressionen folgen. Auch im laufenden ersten Quartal 2024 melden die deutschen Kassen hohe Krankenstandsquoten. Das verstärkt Befürchtungen, dass sich weitere Auswirkungen auf die Produktionsleistung zeigen.

Und wir Nachbarn?

Gilt das auch für Österreich, ist das Land ein kleiner kranker Mann? Christine Mayrhuber vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo ist jene Ökonomin, die Daten für den Fehlzeitenreport in Österreich auswertet und zusammenstellt. "Es wird spannend", sagt sie, denn Daten für 2023 stehen ihr erst im Mai zur Verfügung. Möglich sei Ähnliches wie in Deutschland, möglich sei aber ebenso, dass gerade wegen der angespannten Personalsituation im Job durchgehalten werde.

Bis jetzt sind im mittelfristigen Verlauf die Krankenstandstage weniger geworden. 1980 wurden 17,4 Tage pro Kopf pro Jahr verbucht. 1990 waren es 15,2 Tage. Covid-Dienstverhinderungen herausgerechnet, bilanzierte 2021 (mit 2,8 Prozent mehr Versicherten als im Jahr davor) mit 12,3 Tagen, was ein Minus von rund drei Prozent ist. Direkte und indirekte Kosten werden mit 2,2 Prozent der Wirtschaftsleistung veranschlagt. 2022 verzeichente bereits wieder 14,9 Tage. Ob dieser deutliche Anstieg, den der Fehlzeitenreport für 2022 festhielt, der Beginn eines Trends, gar der Weg zu Höchstständen ist – dazu will Mayrhuber nicht spekulieren.

Klare Ansagen kann sie allerdings zu Spekulationen machen, wonach junge Menschen im Erwerbsleben heutzutage öfter ausfielen als ältere Generationen. Dieses Argument wird gerne genannt, wenn es um die Beschreibung der jungen Generationen als weniger belastbar und mehr am Privatleben als am Einsatz für den Job interessiert geht. Zudem, und das lasse wohl kaum Gutes erahnen, meldet auch aktuell – hochgerechnet – die Hälfte der Studierenden dem Onlinehilfeportal Instahelp und auf der Studierenden-App Studo, dass es ihnen mental nicht besonders gut gehe.

Evaluierung der Belastungen

Haben junge Menschen also mehr Ausfallstage? Maryhuber legt eine U-Kurve vor: Unter 19 Jahren liegt das Verhältnis von Arbeitstagen zu Arbeitsvolumen bei 4,2 Prozent. Bis zum 24. Lebensjahr sinkt diese Quote auf 3,9 ab und steigt erst bei der Gruppe der 50-Jährigen wieder auf über vier Prozent. Bei der Gruppe der über 55-Jährigen liegt sie bereits auf 7,8. Eindeutige Antwort: "Junge gehen nicht häufiger in Krankenstand." Der höhere Wert bei unter 19-Jährigen erkläre sich durch Lehrlinge in Produktionsbetrieben.

Abgesehen von Grippewellen, Muskel- und Skeletterkrankungen: Wäre nicht erwartbar, dass Arbeitsverdichtung, zunehmendes Tempo, Digitalisierung und Fragmentierung zu mehr psychischen Belastungen (derzeit für elf Prozent alle Krankenstandstage verantwortlich) und in der Folge zu körperlichen Beschwerden führen? Was sagen denn die Daten, die sich aus den Vorschriften des Arbeitnehmerinnenschutzgesetzes ergeben, welches Unternehmen Evaluierung der Belastungsfaktoren vorschreibt: Haben diese zugenommen? Diese Daten hätte das Wifo gerne. Mayrhuber: "Das würden wir uns gerne ansehen." (Karin Bauer, 7.2.2024)