Wiener Neustadt – Fünf junge Männer knien auf dem Dach des Stadtmuseums von Wiener Neustadt, ausgerüstet mit zwei Maschinengewehren, Tarnanzügen und Sturmhauben. Von den Gewehren hängen lange Patronengurte. Der Blick der jungen Soldaten richtet sich abwechselnd auf die Armbanduhr und vom Dach hinunter auf die Altstadt, wo sich am frühen Nachmittag viele Autos und Passanten tummeln. Am Rande des Dachs sitzt eine Soldatin, die aufmerksam die Einkaufsstraße beobachtet.

Die Soldaten waren in der Übung unter anderem mit einem Maschinengewehr ausgerüstet. Verwendet wurde nur Knallmunition.
Heribert Corn

Doch plötzlich stoppen zwei Soldaten, die eine Warnweste tragen, auf beiden Seiten der Straße vor dem Stadtmuseum den Verkehr, drei Militärfahrzeuge rauschen vorbei. Die Soldatin auf dem Museumsdach ruft den fünf jungen Männern zu: "In Stellung bringen, los, los los!" Wenige Sekunden dauert es, bis sich die Soldaten am Rande des Dachs eingefunden haben – und das Feuer auf die drei Fahrzeuge des Heeres eröffnen. Aus einem der Fahrzeuge springen mehrere Soldaten, ebenfalls schwerbewaffnet, sie laufen in die Tiefgarage eines Einkaufszentrums neben der Straße. Auch die anderen zwei Fahrzeuge kommen zum Stillstand. Laute Knallgeräusche hallen durch die Straßen der Wiener Neustädter Altstadt.

Keine Gefahr

Gefahr besteht aber weder für Personen, die sich in der Stadt aufhalten, noch für die Soldaten. Die Militärakademie Wiener Neustadt übt in der Stadt, verwendet wird nur Knallmunition.

Die Passanten, die sich rund um die Straße aufhalten, wirken von den lauten Schussgeräuschen und den schwerbewaffneten Soldaten jedenfalls unbeeindruckt. Sie scheinen sich an die Übungen der Militärakademie, die hier an drei Tagen stattfinden, schon gewöhnt zu haben. Viele gehen weiter ihren Tätigkeiten nach – eine Frau fährt teilnahmslos mit dem E-Scooter an den schießenden Soldaten vorbei.

soldatinnen , maschinengewehr mit munition , scharfschützen , militär, frauen im bundeshher , schiessen , schiessübungen
Das Bundesheer übt im Stadtgebiet von Wiener Neustadt mit rund 100 Soldatinnen und Soldaten.
Heribert Corn

Ziel der Übung sei es, einen möglicherweise in die Stadt vorrückenden Fahrzeugkonvoi einer feindlichen Armee zu stoppen, erklärt Übungsleiter Matthias Mörth. Für die auszubildenden Soldaten stellt das gespielte Szenario in der "echten Stadt" eine Herausforderung dar. Nach rund zwei Minuten langem "Dauerfeuer" schreit die Soldatin "Feuer aus". Am Anfang der Straße, wo vor wenigen Minuten noch die drei Militärfahrzeuge in die Altstadt rauschten, läuft eine Gruppe von Soldaten, die jeweils mit einem Gewehr ausgerüstet sind, in Richtung Tiefgarage.

Militärübung
Geübt wurde vor dem Stadtmuseum in Wiener Neustadt.
Heribert Corn

Doch die Übung ist schon wieder zu Ende – die feindliche Armee hat in dem gespielten Szenario gesiegt. "Der gespielte Fahrzeugkonvoi wurde zu spät gestoppt. Die feindlichen Soldaten konnten sich in dem Szenario schnell absetzen und in Sicherheit bringen", sagt Mörth. Das Spektakel ist damit nach gut einer Viertelstunde wieder vorbei. Die Pkws fahren wieder durch die Einkaufsstraße, und die Soldaten sind aus dem Stadtbild wieder weitgehend verschwunden.

Militärübung
Unter die Soldaten mischten sich auch immer wieder Passanten.
Heribert Corn

Stadt als Kriegsschauplatz

Die Umgebung rund um Wiener Neustadt ist immer wieder Schauplatz für Übungen der Militärakademie. In der Akademie werden Truppenoffiziere aus- und weitergebildet. Grundsätzlich hätten Übungen innerhalb eines Stadtgebiets schon eine lange Vergangenheit beim Bundesheer, erzählt Heeressprecher Michael Bauer im Gespräch mit dem STANDARD. Dass Kämpfe mitten in Städten eine hohe Bedeutung in zukünftigen Kriegen hätten, sei dem Bundesheer bewusst. Man brauche laut Bauer nur einen Blick in die Ukra­ine oder nach Gaza werfen, wo der Krieg in der Stadt eine große Rolle spiele. Deshalb sei es gerade jetzt wichtig, dass Auszubildende bereits früh mit der Komplexität eines Kampfs in der Stadt in Berührung kämen.

Militärübung
Die Knallmunition war lautstark in weiten Teilen der Altstadt zu hören.
Heribert Corn

Das Bundesheer habe zwar eigene Ortskampfanlagen – also Trainingsplätze, auf denen sich leerstehende Gebäude befinden und eine Stadt simulieren sollen –, eine "echte Stadt" sei aber noch immer der beste Schauplatz für eine Übung. "Die Übung in Wiener Neustadt hat den Vorteil, dass die echte Stadt viel komplexer und unübersichtlicher ist. Es simuliert also ein echtes Szenario", betont Bauer.

Scharfe Munition würde nur bei Übungen auf den Trainingsplätzen des Heeres oder in extra abgeriegelten Bereichen verwendet werden, etwa am Donnerstag, wenn die Militärakademie ihre Übung in den Aspanger Bergbau und Mineralwerken fortsetzt. "In der Stadt ist es natürlich selbstverständlich, dass nur Knallmunition verwendet wird", sagt Bauer. Die ist laut, aber für alle Beteiligten ungefährlich. (Max Stepan, 8.2.2024)