In der Kritik: Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian
In der Kritik: Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian.
IMAGO/Sabine Gudath

Man hat es bereits auf dem Filmfestival in Venedig letztes Jahr beobachten können. Bei der Eröffnungsgala war der rechtspopulistische Lega-Politiker Matteo Salvini im Publikum, der im Kabinett Giorgia Melonis den Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten bekleidet. Gesehen hat er am Lido "Comandante", einen Historienfilm, der auch als Plädoyer für Fluchthilfe gelesen werden kann.

Die scheidende Berlinale-Spitze aus Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian wird nun mit Protest aus der Filmbranche konfrontiert. Grund ist die Einladung Berliner Senatsangehöriger zur Eröffnungsgala am 15. Februar, die auch an fünf AfD-Abgeordnete gegangen ist.*

Die AfD-Mitglieder

Bei zwei der Eingeladenen handelt sich um die Berliner Abgeordneten Ronald Gläser und Kristin Brinker. Gläser ist 2013 der AfD beigetreten und seit 2016 Mitglied des Landesvorstandes, Pressesprecher der AfD Berlin sowie stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion des Abgeordnetenhauses Berlin. Er ist außerdem Redakteur bei der neurechten Zeitung "Junge Freiheit".

Brinker ist seit 2021 Landesvorsitzende der AfD Berlin und Fraktionsvorsitzende der Partei im Berliner Abgeordnetenhaus. Auch sie trat 2013 in die AfD ein und gilt als Teil des liberalen Parteiflügels. Erst jüngst sorgte sie indes für Schlagzeilen, da sie im Juli 2023 bei dem Treffen der Rechtsextremen, bei dem auch Martin Sellner auftrat, zu Gast war.

Kristin Brinker ist die Fraktionsvorsitzende der AfD in Berlin.
Kristin Brinker ist die Fraktionsvorsitzende der AfD in Berlin.
IMAGO/Metodi Popow

Protestbrief der Filmbranche

Gegen die Anwesenheit von AfD-Politikern bei der Berlinale Eröffnungsgala sprachen sich am Wochenende 200 Filmschaffende in einem Protestbrief an die Festivalleitung aus. Darin wurde dem sich politisch gebenden Festival Inkonsequenz vorgeworfen: Die Einladungen seien "ein weiteres Beispiel für das feindliche und heuchlerische Umfeld, dem Kunst und Kultur in Berlin und Deutschland ausgesetzt sind".

Weiter heißt es: "Wir glauben nicht, dass die Eröffnungsfeier als sicherer Ort für Juden, Frauen, Mitglieder der BIPoC-, LGBTI+-, Behinderten-, Roma- und Sinti-Gemeinschaften oder der Zeugen Jehovas betrachtet werden kann, die unter anderem von einer anderen rechtsextremen, nationalkonservativen Bewegung in Deutschland verfolgt und ermordet wurden."

Statement der Festivalleitung

Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek reagierte via Instagram. Dort heißt es, dass ein Kartenkontingent an alle gewählten Fraktionsvorsitzenden des Berliner Senats gehe und damit auch an AfD-Mitglieder. Die Berlinale stehe aber für demokratische Grundsätze ein und gegen rechtsextremen Extremismus.

"Wir weisen rechtsextremes und rechtspopulistisches Gedankengut von uns und beobachten mit Sorge, dass Antisemitismus und antimuslimische Ressentiments ebenso wie Hassrede und weitere antidemokratische Haltungen in Deutschland auf dem Vormarsch sind." Dass antidemokratische Werte auf der Berlinale nicht willkommen seien, will die Festivalleitung in persönlichen Briefen an betreffende AfD-Vertreter zum Ausdruck bringen.

Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sprang laut "Spiegel" der Berlinale-Leitung zur Seite. "Für die Eröffnung der auch mit erheblichen Bundesmitteln ermöglichten Berlinale wurden auf unseren Vorschlag hin auch die Mitglieder des fachpolitisch zuständigen Kulturausschusses des Deutschen Bundestages eingeladen", hieß es in einer Stellungnahme. Das entspreche der demokratischen Praxis "und dem Respekt der Bundesregierung vor dem Parlament und seinen gewählten Abgeordneten".

Falls die AfD-Abgeordneten der Einladung nachkommen, werden sie den Oscar-Kandidaten Cillian Murphy als mit der Vergangenheit ringenden Kohlehändler im Irland der 1980er-Jahre sehen. Er spielt im belgisch-irischen Eröffnungsfilm "Small Things Like These" von Tim Mielants die Hauptrolle. (diva, 7.2.2024)