Zwei Teenagerinnen schauen gemeinsam auf ein Smartphone und lächeln
Junge Menschen haben andauernd ihr Smartphone in der Hand. Woran erkennen Eltern, ob beim eigenen Kind eine Handysucht vorliegt?
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Etwa die Hälfte aller Jugendlichen in Österreich würde gerne etwas am eigenen Aussehen ändern, mehr als ein Viertel hat sogar schon über Schönheitsoperationen nachgedacht. Es sind alarmierende Zahlen, die vor einigen Tagen von der Informationsplattform saferinernet.at präsentiert wurden. Überraschend sind sie dennoch nicht. In den vergangen Jahren gab es mehrere Studien, die zeigten, dass eine hohe Nutzung von sozialen Netzwerken bei jungen Menschen nicht nur die Selbstwahrnehmung beeinflusst, sondern auch Essstörungen, Depressionen, Angstzustände oder Schlafstörungen fördern kann.

Nun will Frankreich eine gesetzliche Altersgrenze von 13 Jahren für soziale Medien schaffen. Bereits im Vorjahr hat Frankreich ein neues Gesetz für soziale Netzwerke verabschiedet, das es Kindern unter 15 Jahren verbietet, ohne die Zustimmung der Eltern ein Konto auf Tiktok, Instagram und Co einzurichten. In Österreich gibt es bisher keine gesetzliche Regelung für Kinder und Jugendliche in sozialen Netzwerken.

Smartphone-Coach Andrea Buhl-Aigner findet, dass diese aber dringend nötig ist. Die Kommunikationsexpertin informiert als Speakerin über die Gefahren im Internet und bietet spezielle Schulungen für Eltern und Pädagoginnen an, damit diese ihre Kinder bei der Internetnutzung kompetent begleiten können. Im Interview erklärt sie, warum gerade Tiktok so gefährlich ist.

STANDARD: "Handy weg am Tisch!" – diesen Satz kennen fast alle Eltern des 21. Jahrhunderts. Viele Jugendliche kleben permanent an ihrem Smartphone. Haben Sie gleich einen Wundertipp für betroffene Eltern?

Buhl-Aigner: Den einen Wundertipp, mit dem alles leicht und schnell geht, gibt es leider nicht. Es funktioniert gleich schnell oder langsam wie bei allen anderen Themen in der Erziehung: am besten mit den Kindern gemeinsam Vereinbarungen treffen. Wenn Eltern konsequent bleiben und sich alle daran halten, stehen die Chancen sehr gut, dass schon in kurzer Zeit eine Veränderung eintritt. Handyfreie Zonen oder handyfreie Tage sind jedenfalls gute Maßnahmen, wie Eltern die Kinder regelmäßig vom Bildschirm wegbekommen.

STANDARD: Bildschirmzeiten sind wirklich ein leidiges Thema im Familienalltag. Viele Eltern sind schon müde von der permanenten Diskussion darüber und nehmen es deswegen nicht ganz so ernst ...

Buhl-Aigner: Ich verstehe die Eltern. Mit dem mobilen Internet und tragbaren Geräten ist eine große Aufgabe in der Erziehung dazugekommen. Das erfordert viel Beschäftigung und viele Gespräche. Dennoch ist es Aufgabe der Erziehungsberechtigten und auch des Gesetzgebers, hier klare Regeln zu finden. Eltern haben leider den mühsamen Part, den Zugang zu Geräten und die Zeiten stark zu regeln. Wenn im Haushalt vier Smartphones, ein Tablet und drei Laptops plus ein Fernseher zur Verfügung stehen, dann ist eine Regelung natürlich schwieriger. Man könnte also damit beginnen, dass man diese ständige Verfügbarkeit von Geräten einschränkt.

STANDARD: Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2023 hat ergeben, dass Jugendliche etwa 64 Stunden pro Woche im Netz verbringen. Das sind über neun Stunden täglich. Was macht das mit den jungen Menschen?

Buhl-Aigner: Das sind alarmierende Zahlen! Das sind neun Stunden, die Großteils sitzend oder liegend verbracht werden. Viel davon ohne echte soziale Interaktion und mit hohem Informations- und Reizinput für das Gehirn. Wenn der Bildschirm noch knapp am Gesicht ist, kommt eine extreme Belastung für die Augen dazu. Dem Gehirn fehlen Ruhepausen, die Entspannung fehlt, die Zeit zum Verarbeiten fehlt, das geht auf Kosten von Lernerfolg, Kreativität, Konzentration, im Gehirn führt das zu Stress. Bildschirmnutzung am späteren Abend kann sich auf die Bildung des Schlafhormons Melatonin auswirken, dann dauert das Einschlafen länger, oder die Schlafqualität leidet. Bei langer Nutzung von sozialen Netzwerken kann die psychische Gesundheit leiden. 2017, 2019 und 2022 sind Studien zu dem Ergebnis gekommen, dass lange Nutzung von sozialen Netzwerken bei jungen Menschen Depressionen, Angstzustände, Essstörungen und eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Körperbilds bzw. das Verfolgen unrealistischer Schönheitsideale bewirken kann, wie jetzt auch zuletzt ganz aktuell zum Safer Internet Day berichtet wurde.

"Tiktok setzt Mechanismen ein, die denen von Spielkasinos ähneln."

STANDARD: Warum ist gerade Tiktok für Kinder problematisch?

Buhl-Aigner: Tiktok enthält Inhalte, die nicht für Kinder und Jugendliche geeignet sind, etwa Kriegs- und Krisenpropaganda, Werbung von Pornonetzwerken, Inhalte zu Alkohol- und Drogenmissbrauch, und es gibt eine große #feelingsad-Bubble – Menschen mit psychischen Erkrankungen, die sich offen austauschen und explizites Bildmaterial zum Thema Selbstverletzung teilen. Das Netzwerk setzt Mechanismen ein, die denen von Spielkasinos ähneln. Anders als in der realen Welt gibt es aber keine richtige Alterskontrolle. Ein weiteres Risiko ist, dass Erwachsene sehr leicht mit Kindern oder Jugendlichen Kontakt aufnehmen können. Deswegen sage ich den Eltern immer: Versuchen Sie Tiktok bei Ihren Kindern so lange wie möglich hinauszuzögern!

STANDARD: Offiziell darf Tiktok nicht von Personen unter 13 Jahren genutzt werden. Personen unter 18 Jahren brauchen laut den Nutzungsbedingungen zumindest die Zustimmung eines oder einer Erziehungsberechtigten. Aber dieses Mindestalter spielt in der Praxis kaum eine Rolle, da auch jüngere Kinder die App ohne Probleme herunterladen und sich darauf ein Profil anlegen können. Wie schützen Eltern ihre Kinder also am besten?

Buhl-Aigner: Das Problem ist ein ganz anderes. In der Praxis erlebe ich häufig Eltern, die gar keine Ahnung haben, was ihre Kinder im Netz konsumieren. Sie sagen dann: "Ich habe keine Zeit. Ich habe keine Lust, mich darum zu kümmern. Das nervt mich. Unser Alltag ist zu stressig. Meine Kinder wissen schon viel mehr als ich. Ich habe den digitalen Zug längst verpasst." Das sind alles Ausreden. Eltern, die ihre Kinder schützen möchten, befassen sich mit dem, was die Kinder da tagtäglich machen. Sie zeigen Interesse, lassen sich Apps erklären, sehen sich gemeinsam Videos auf Tiktok und Youtube an. Im besten Fall verwenden sie Tiktok selbst, damit sie begreifen, wie gefährlich manche Inhalte sind.

STANDARD: Mama likt Videos auf Tiktok, und Papa testet mit dem Sohn Games. Ist das nicht uncool?

Buhl-Aigner: Kommt auf das Alter der Kinder an. Wenn der Zwölfjährige gerne "Fortnite" spielen will, ist es doch super, wenn Mama oder Papa mit ihm gemeinsam spielen. Danach kann man reflektieren: Was macht das Spiel mit einem? Was ist gut? Was kann schaden? Eltern, die da offen sind, haben einen großen Vorteil: Sie können viel besser Regeln mit den Kindern vereinbaren, da sie wissen, wovon sie sprechen, und man ihnen auch nicht so leicht etwas vormachen kann. Umgekehrt werden Kinder mit ihren Eltern auch eher über Erfahrungen sprechen, die verunsichern oder ängstigen, wenn sie eine offene Haltung zeigen.

STANDARD: Und auch die Teenies sind offen dafür?

Buhl-Aigner: Im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren kann man da noch viel beeinflussen. Wer es schafft, hier eine gute Gesprächsbasis aufzubauen, hat es später garantiert leichter. Wenn die Kinder erst einmal 14 oder älter sind, ist es viel schwieriger, zu ihnen durchzudringen. Ich berate immer wieder Eltern, die, alarmiert durch einen Zeitungsartikel oder einen Vortrag an der Schule, plötzlich das Smartphone ihrer Teenagerkinder kontrollieren wollen. Ein Teenie, der seit Jahren ein ungesperrtes Handy verwendet, wird darüber nicht begeistert sein.

"Eltern sollten regelmäßig die Apps und Spiele am Handy des Kindes kontrollieren."

STANDARD: Sollten Eltern das Smartphone der Kinder kontrollieren, oder ist das Privatsphäre?

Buhl-Aigner: Im Internet gibt es keinen Jugendschutz, dass müssen die Eltern übernehmen, von Anfang an. Und wenn der begründete Verdacht besteht, dass jemand Schaden nimmt, sind sie verpflichtet nachzusehen. Gewisse Maßnahmen zur Kindersicherung müssen also getroffen werden, wenn man einem Minderjährigen ein Smartphone in die Hand drückt. Dazu gehört etwa auch die Abmachung, dass man als Erziehungsberechtigter regelmäßig einen Bick auf die Apps und Spiele am Handy wirft oder den Videoverlauf in Youtube oder den "For me"-Feed in Tiktok ansieht. Das macht man nicht heimlich, sondern gemeinsam, damit man offen darüber sprechen kann.

STANDARD: Wie sieht es mit privaten Nachrichten aus?

Buhl-Aigner: Natürlich gibt es am Handy auch Inhalte, die unter die Privatsphäre des Kindes fallen. Vor allem ab dem Teenager-Alter sind private Chatnachrichten mit Freunden und Freundinnen tabu.

STANDARD: Wann sollten denn Kinder frühestens ein Smartphone bekommen?

Buhl-Aigner: So spät wie möglich. Erfahrungsgemäß kommen Eltern nicht mehr drumherum, wenn die Kinder zehn oder elf sind. Überbrücken kann man in der Zwischenzeit mit nicht internetfähigen Geräten oder mit Handys, mit denen man nur telefonieren und Textnachrichten schicken kann. Oder mit dem "Familienhandy", das nur unter Aufsicht verwendet werden darf.

STANDARD: Manche Eltern haben Angst, dass ihr Kind bei der digitalen Bildung zurückbleibt, wenn alle anderen ein Smartphone haben. Was meinen Sie dazu?

Buhl-Aigner: Kinder unter 15 Jahren sind in einer digitalen Welt geboren. Keine Sorge, sie lernen alles früh genug. Digitale Bildung, Medienkompetenz, digitaler Unterricht und Gerätekompetenz bzw. kompetenter Umgang mit Geräten im Alltag werden außerdem nicht bloß mit dem Anschaffen eines Smartphones vermittelt. Je früher Eltern ihrem Kind ein Smartphone kaufen, desto mehr Einschränkungen müssen sie am Gerät vornehmen, und desto intensiver müssen sie ihr Kind beaufsichtigen und begleiten.

STANDARD: Worauf ist zu achten, wenn das Kind erstmals ein Smartphone bekommt?

Buhl-Aigner: Eltern können das Gerät mit einem Google Family Link oder mit der Apple-Familienfreigabe sichern. Es ist sinnvoll, ein Zeitlimit für das Gerät pro Tag und für erlaubte Apps festzulegen. Es muss von Beginn an Vereinbarungen geben, wie die Familie zu Hause mit Handys umgeht. Das gilt auch für die Eltern selbst. Oft merken die Erwachsenen gar nicht, dass sie selbst von früh bis spät das Handy in der Hand haben und sie im Wohnzimmer Homeoffice machen. Die Vorbildwirkung gilt auch im Umgang mit digitalen Medien.

STANDARD: Woran erkennen Eltern, dass der Medienkonsum ihres Kindes ein Problem wird?

Buhl-Aigner: Wenn das Gerät zum zentralen Lebensmittelpunkt wird, die Zeiten außer Kontrolle geraten oder das Interesse an anderen Beschäftigungen sinkt. Auch die sozialen Kontakte zu Personen im echten Leben werden meist weniger, und das Gerät wird in unpassenden Situationen verwendet wird. Wenn es schon deutlich negative Konsequenzen gibt, und das alles über einen Zeitraum von mehreren Monaten, dann sollten Eltern sich Hilfe bei einer Familienberatung und Beratungsstelle für Verhaltenssucht holen. (Nadja Kupsa, 14.2.2024)