Generalstabschef Walerij Saluschnyj
Generalstabschef Walerij Saluschnyj wird abgelöst.
AP/Ukrainian Presidential Press Office

Zuletzt schien nur mehr die Frage, wann er es tun würde. Nun hat er es getan: Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Generalstabschef Walerij Saluschnyj gefeuert. Ein Schritt, der sehr viele Risiken birgt. Und das nicht nur in Bezug auf die militärische Lage im Krieg mit Russland. Risiken birgt die Entfernung Saluschnyjs vor allem für Selenskyj selbst. Denn mit einem mal ist es weg, sein so sorgsam gepflegtes Image eines Präsidenten aller Ukrainer, der die Interessen des Landes vor die eigenen stellt. Denn die Entlassung ist der letzte Punkt in einem wochenlangen Schauspiel voller gekränkten Stolzes und beleidigter Gesten, das tiefe Einblicke hinter die Kulissen gewährt hat.

Nachfolger Syrskyj war bisher Oberst der Landstreitkräfte

Und da ist letztlich dann auch der neue an der Spitze – ein Mann, der sich von seiner Biografie ausgehend nicht gerade aufdrängt als oberster Befehlshaber: Oleksandr Syrskyj, bisher Oberst der Landstreitkräfte. Durchaus ein Mann mit Erfahrung. Er hat im Frühjahr 2022 die Verteidigung von Kyiv befehligt und war seit 2014 im Krieg im Osten aktiv. Ab 2017 war er für einige Zeit auch Oberbefehlshaber der gesamten Militäraktion im Osten. Zuvor hatte er aber auch einige schwerwiegende Niederlagen zu verantworten. Namentlich die Niederlagen bei Ilowaisk und Debaltseve. Zwei der wichtigsten Schlachten im Krieg seit 2014. Das Vorschussvertrauen in ihn in der ukrainischen Öffentlichkeit ist also enden wollend.

Das i-Tüpfelchen in seiner Biografie allerdings, das in der Ukraine besonders sauer aufstößt: Syrskyj wurde in Russland geboren und hat seine militärische Ausbildung in Russland abgeschlossen.

Das der ukrainischen Öffentlichkeit zu erklären, wird eine Quadratur des Kreises werden. Und noch ein Umstand: Syrskyj war einer der Hautverantwortlichen der von Selenskyj heraus-posaunten "Sommeroffensive", für deren Scheitern der Präsident dann Saluschnyj verantwortlich machte – während hochrangige Militärs aus dem engeren Umfeld des Generals immer sagten, militärische Pläne für eine solche "Sommeroffensive" habe es nie gegeben. Diese Offensive sei von Anbeginn an nur ein politischer PR-Stunt Selenskyjs gewesen.

Schock

Bestürzend sei es, so ein ukrainischer Militär in Offiziersrang, dass der "politische Mist" wieder an die Oberfläche gespült werde. Und genau hier sitzt die wirklich schwerwiegendste Wirkung des Schritts Selenskyjs: Denn er beweist, dass politischen Intrigen allem Umständen zum Trotz weiter gesponnen werden. Schon der offene Konflikt Selenskyjs mit Saluschnyj hatte in den vergangenen Wochen tiefe Einblicke geliefert, wie die Präsidialkanzlei gegen die Führung des ukrainischen Militärs Intrigen spinnt. Und auch wenn spätestens seit der Ankündigung Selenskyjs, Spitzenposten neu besetzen zu wollen, klar war, dass es passieren wird: Der Vollzug kommt als Schock.

Denn Saluschnyj ist nichts vorzuwerfen. Er ist und war nie politischer Kontrahent Selenskyjs. Saluschnyjj hat nie Ambitionen auf eine politische Karriere gezeigt. Zaluzhnij hat das volle Vertrauen der Armee und das volle Vertrauen der Ukrainer. 88 Prozent vertrauen ihm laut einer Umfrage. Mehr als 90 Prozent der Ukrainer vertrauen der Armee. Und dass dem so ist, ist einzig und alleine Zaluzhnijs Werk. Er ist der Mann hinter dem ukrainischen Widerstand. Er ist der Mann, der aus einer Armee, die 2013 den Ruf hatte, ein versoffener korrupter Haufen ohne Material aber voller Schikanen zu sein, eine moderne Volksarmee gemacht hat, an die Ukrainer heute bereitwillig Geld spenden.

Saluschnyj ist ein Militär neuen Zuschnitts. Kein mit Orden gepanzerter General in feinem Tuch und riesiger Tellermütze, der auf dem Reißbrett plant. Ganz im Gegenteil: Nahbar, nah bei den Soldaten, dem Ziel verpflichtet, kein Kontrollfreak, der dadurch Abläufe verzögert und vor allem clever die Optionen abwägend angesichts an allen Ecken herrschenden Mangels. Saluschnyj ist kein Showman. Vor allem kein politischer Showman.

Genau das ist aber die Show, die ihn in der Ukraine zur Legende hat werden lassen – neben dem eigentlichen Showman Selenskyj, der als TV-Präsident der TV-Serie "Diener des Volkes" in die politische Realität kam. Seine Umfragewerte sind aber im Fallen. 62 Prozent der Ukrainer vertrauen ihm noch. Politische Show sind die Ukrainer gewöhnt. Nicht aber, dass einer in einer leitenden Position eben keinen Wind um sich selbst sondern nur seinen Job macht. Saluschnyj ist damit gewissermaßen der General des Volkes – und als solcher das, was Selenskyj als TV-Präsident verkörpert, in der Realität aber nie geliefert hat. (Stefan Schocher, 8.2.2024)