Er scrollt. Scrollt weiter. Scrollt noch einmal. Dann ist das Ende des Kalendereintrags für den 8. Februar 2024 auf seinem Smartphone-Display erreicht. "Alles klar?", fragt Bogdan Roščić. "So ist das für mich." Der Wiener Staatsoperndirektor grinst.
Für ihn beginnt der Opernball um Punkt 18.30 Uhr: Da schlüpft Roščić in dem Haus am Ring in seinen Frack. Der weitere Verlauf des Abends ist genau durchgetaktet: Gäste begrüßen, Interviews geben – bis fünf Uhr in der Früh, wenn die letzten Ballbesucherinnen und Tänzer die Oper verlassen.
Zweiter Opernball für den Direktor
Und doch ist der Großevent für den Gastgeber diesmal ein wenig entspannter. Immerhin ist es für ihn bereits der zweite Opernball in dieser Funktion. "Voriges Jahr waren ich und die ganze Mannschaft neu, es war der erste Ball nach dem ganzen Pandemie-Wahnsinn", sagt Roščić. "Routiniert kann so etwas nie sein. Aber heuer ist es ruhiger, sagen wir so."
Getüftelt und justiert wird beim Opernball immer bis kurz vor knapp. So auch bei der 66. Ausgabe.
Zucker für den Kreislauf
Im Probebühnenbereich formieren sich die Debütantenpaare für den Einzug. Es gibt noch letzte ermutigende Worte: "Ihr seid mega drauf, ihr könnt das." Und: "Jeder, der spontan noch Traubenzucker braucht: vorne, links." Der Zucker hilft dem Kreislauf. Jahr für Jahr kippen junge Frauen um.
Denn schon bei der Generalprobe am Mittwoch drängte sich ein Mann mit Ambulanzrucksack durch die Zuschauerreihen. Die Routiniers wissen, was los ist. "Debütantin?", fragt eine Frau aus dem Organisationsteam ihre Kollegin. Wissendes Nicken.
Schwarz-weiße Menschentraube
Die pinken Sackerln gehen weg wie nix. Ein Paar nach dem anderen nimmt sich einen Traubenzucker – die Wegzehrung für die vielen Stufen von der Probebühne unterm Dach nach unten aufs Parkett im Erdgeschoß. Zehn Minuten noch. "Hat wer eine Sicherheitsnadel da?" ruft jemand durch den Raum. Dann ist es an Tanzschule-Inhaber Christoph Santner, den Debütantenpaaren Mut zu machen: "Ihr müsst zeigen, dass es mega Spaß gemacht hat", ruft er ins Mikro. "Ihr wart‘s ein megageiler Jahrgang." Die schwarz-weiße Menschentraube setzt sich in Bewegung.
Zum Stehen kommt etwa zu dieser Zeit vor der Staatsoper eine ganze Schar an schwarzen Autos. Roščić hat sich auf dem roten Teppich positioniert, um Alexander Van der Bellen zu empfangen. Der Bundespräsident wird von seiner Gattin Doris Schmidauer und seinem montenegrinischen Amtskollegen Jakov Milatović zum Ball begleitet. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat Estlands Premierministerin Kaja Kallas von der liberalen Estnischen Reformpartei geladen. Während die Grünen Ministerinnen und Minister den Ball auslassen, ist die türkise Regierungsriege in der Mittelloge gut vertreten. Europaministerin Karoline Edtstadler kommt etwa gemeinsam mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.
Großeinsatz für die Polizei
Für die Polizei bedeutet das einen Großeinsatz – angesichts der seit Monaten erhöhten Terrorwarnstufe diesmal einen besonders sensiblen. "Konkrete Bedrohungen gibt es nicht", sagt Innenminister Gerhard Karner am Donnerstag bei einem Rundgang durch die Oper. Mehr Details zu den Sicherheitsvorkehrungen verrät er nicht. "Es gibt viele Dinge, die man tut, aber über die man nicht spricht." Er lässt den Ball aus, aber: "Ich werde über alles informiert sein." Den Überblick behält die Polizei von einer Loge aus: Per Videoüberwachung sei das Geschehen unter Beobachtung.
Kommunisten luden zur Demo
Insgesamt sind mehrere Hundert Polizistinnen und Polizisten im Einsatz – in der Oper, aber auch davor. Denn die Kommunistische Jugend (KJÖ) hat zu einer Demonstration gegen den Ball und die Ungleichheit in der Gesellschaft aufgerufen. Die Route führt von der U6-Station Gumpendorfer Straße zum Schillerplatz. Auch wenn es über soziale Netzwerke dazu Aufrufe von Pro-Palästina-Aktivistinnen und -Aktivisten gibt, geht die Polizei von einem friedlichen Zug aus. Eine Standkundgebung ist beim Würstelstand vor der Albertina angemeldet, wo Ballgäste nach getanem Tanz gerne noch auf ein Paar halbwegs leistbare Würstel einkehren. Etwa 40 Menschen kommen zur Gegenveranstaltung.
Eine Opernball-Besucherin ließ sich dort nicht blicken: Priscilla Presley. Die US-Schauspielerin und Ex-Frau von Sänger Elvis Presley ist Vegetarierin mit Neigung zum Fischkonsum. Seit Montag ist die 78-Jährige in Wien, auf Einladung von Richard Lugner. Der Unternehmer lässt sich seit 1992 von mindestens einem Star zum Opernball begleiten – und mit deren Eklats, Extrawünschen und Befindlichkeiten in die Schlagzeilen rücken. Nicht so bei Presley. Im Gegenteil: Presley sei sein bisher "pflegeleichtester" Gast, sagt Lugner. In seinem Einkaufszentrum Lugner City gibt sie statt der vereinbarten Stunde fünf Stunden lang Autogramme, schwärmt über ihre Unterkunft im Grand Hotel am Kärntner Ring, begeistert sich für das dargebotene Sightseeing-Programm.
Ein Tanz mit Presley
Durchgetaktet ist auch der Abend für Presley und Lugner: Der Opernballabend beginnt mit einem Foto- und Pressetermin im Grand Hotel. Da zeigt sich Presley erstmals in ihrem Pailletten-Kleid mit großer schwarzer Schleife von Nina Ricci und ihren Schuhe von Balenciaga. Nach dem Dinner geht es in die Oper. Dort schlichen sich die beiden am roten Teppich vorbei durch den Seiteneingang in die Oper. Gegen 23.30 Uhr sind die beiden in die Loge von Alexander Van der Bellen geladen. Das ist allerdings nicht der Lugner’sche Höhepunkt des Abends: Nach dem Besuch des Präsidenten bittet der Unternehmer seinen Gast Presley zum Tanz.
Schon im Vorfeld graute Lugner davor, dass seiner Begleiterin dann nach noch mehr Feiern zumute sein könnte. Denn Presley ist eine Nachteule, wie sie selbst sagt – während Lugner lieber früh ins Bett geht. Die Zeit zum Partymachen war allerdings ohnehin knapp bemessen: Presley fliegt bereits am Freitag um 6.55 Uhr zurück in die USA.
Ein straffer Zeitplan für den Stargast also. Den haben die Schauspielerin und der Staatsoperndirektor gemeinsam.(Stefanie Rachbauer, Oona Kroisleitner, Anna Wiesinger, 9.2.2024)