Russland Ukraine Krieg 
Die russische Armee setzt im Angriffskrieg gegen die Ukraine Hyperschallraketen ein. So ist etwa auch die Fregatte Admiral Gorschkow mit dieser Hightechwaffe namens Zirkon ausgerüstet.
Foto: IMAGO/ITAR-TASS

Während sich die Aufmerksamkeit der Medien weitgehend auf die Gewalt im Nahen Osten verlagert hat, gehen die Kämpfe in der Ukraine unvermindert weiter. Russlands jüngster Einsatz hochentwickelter Hyperschallraketen in Kombination mit der immer wirkungsvolleren Nutzung von Drohnen hat es dem Land ermöglicht, einige der verheerendsten und tödlichsten Angriffe seit Beginn des Krieges auszuführen.

Modernste Waffensysteme

Seit dem erzwungenen Rückzug aus der nördlichen Ukraine im September 2022 bedient sich Russland zunehmend modernster Waffensysteme, um die Wirksamkeit seiner Militärschläge zu erhöhen. Die Technologien, die derzeit die Kriegsmaschinerie in Gang halten – und der Ukraine sowie ihren Verbündeten Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Verteidigungsausgaben bescheren – wurden ironischerweise von westlichen Firmen beschafft.

Wie können wir verhindern, dass im Westen hergestellte Software und kritische Systeme in russische Hände fallen? Russland profitiert derzeit vor allem auf zwei Arten von westlichen Technologien. Erstens durch die direkte Integration von Komponenten, Software und technischem Know-how in militärische und verteidigungsrelevante Ausrüstung. Zweitens unterstützt der Einsatz importierter Komponenten und Software russische Schlüsselbranchen und ermöglicht es dem Kreml, zusätzliche Ressourcen für die Kriegshandlungen in der Ukraine bereitzustellen.

Begrenzte Ressourcen

Es bestehen kaum Zweifel, dass das russische Militär ohne Zugang zu diesen Hightech-Komponenten weit weniger effizient agieren könnte und mehr Geld, Zeit und Personal benötigen würde, um seine taktischen Ziele zu erreichen. Russland wäre gezwungen, folgenschwere Entscheidungen hinsichtlich der Verwendung seiner begrenzten Ressourcen zu treffen, und das würde seine Möglichkeiten einschränken, auf dem Schlachtfeld zu siegen.

Nach Angaben der NGO Economists for Ukraine verursacht jeder US-Dollar, den Russland für Angriffe auf ukrainische Streitkräfte und Städte ausgibt, zehn bis 100 US-Dollar an Kosten für Verteidigung und Wiederaufbau. Folglich könnte die Umlenkung russischer Ressourcen weg vom Krieg in andere Bereiche die Siegeschancen der Ukraine deutlich erhöhen.

"Wenn Unternehmen es verabsäumen, sich mit eindeutigen Belegen rechtswidriger Aktivitäten auseinanderzusetzen, müssen die Staaten eingreifen."

Um dies zu erreichen, bieten sich den westlichen Regierungen mehrere Möglichkeiten. Derzeit sind Halbleiter von Intel, Analog Devices, Texas Instruments, STMicroelectronics, Microchip Technology und NXP Semiconductors sowie Nvidia-Grafikprozessoren, die für das Training von KI-Modellen von zentraler Bedeutung sind, für russische Streitkräfte, Regierungsbehörden, Unternehmen und Zivilpersonen weiterhin problemlos erhältlich. Bisher wurde keines dieser Unternehmen zur Rechenschaft gezogen.

Im Gegensatz dazu unterliegen westliche Finanzinstitutionen strengen Know-your-Customer-Bestimmungen, die sie zu gründlichen Hintergrundprüfungen verpflichten, um Geldwäsche und andere kriminelle Aktivitäten zu bekämpfen. Außerdem haben diese Institutionen von Geschäften mit Unternehmen Abstand zu nehmen, die nicht dieselben Regeln befolgen. Im Falle von Verstößen drohen empfindliche Strafen.

Beispiele Apple und Google

Für große Techunternehmen sind dieselben Maßstäbe anzulegen. Genau wie Banken sollten auch sie verpflichtet werden, nur mit bekannten Akteuren Geschäfte zu machen, die Hintergrundüberprüfungen in der gesamten Lieferkette durchführen. Auch wenn die Unternehmen vielleicht vorbringen, die damit verbundenen Kosten seien untragbar, zeigt das Beispiel des Finanzsektors, dass die Durchsetzung dieser Regeln möglich ist, ohne große Unternehmen in den Konkurs zu treiben.

Die Beispiele Apple und Google veranschaulichen die Schlupflöcher im Sanktionsregime. Kurz nach der Invasion zogen sich beide Unternehmen vollständig aus dem russischen Markt zurück. Dennoch sind ihre Geräte in Russland weiterhin frei erhältlich, und deren hochentwickelte Chips und Sensoren werden häufig für militärische Zwecke umfunktioniert. Ihre Verfügbarkeit wird durch ein Netz von Zwischenhändlern in Ländern wie Kasachstan und der Türkei ermöglicht, wo die Nachfrage explosionsartig anstieg.

Strenge Ausfuhrbeschränkungen

Wenn Unternehmen es verabsäumen, sich mit eindeutigen Belegen rechtswidriger Aktivitäten auseinanderzusetzen, müssen die Staaten eingreifen. Auf Grundlage der entsprechenden Zahlen aus der Zeit vor 2022 schlagen wir strenge Ausfuhrbeschränkungen für Länder vor, die Russland bei der Umgehung der westlichen Sanktionen helfen. Dieser Nullsummenansatz wird dafür sorgen, dass die Umleitung von Produkten über diese Länder nach Russland zulasten der Bevölkerungen der betreffenden Länder geht.

2022 stellte der Kreml ein ehrgeiziges Programm zur Importsubstitution vor, um die Abhängigkeit russischer Unternehmen von westlichen Softwaresystemen zu verringern. So konnte man sich in vielen kritischen Sektoren auf russische Alternativen umstellen. Der Öl- und Gassektor sowie die Finanzbranche sind jedoch weiterhin stark von westlicher Technologie abhängig.

Keine Alternativen

Die russische Öl- und Gasindustrie ist derzeit auf Algorithmen zur Lagerstättenmodellierung und Software von US-Unternehmen wie SLB, Halliburton, AspenTech und Emerson Electric angewiesen, um den Förderprozess zu steuern, die Effizienz zu verbessern und die Gewinnspannen zu erhöhen. Der russische Finanzsektor stützt sich auf Oracle-Datenbanken, die seit mehr als einem Jahr nicht mehr aktualisiert wurden. Zu diesen kritischen Technologien gibt es in Russland keine einheimischen Alternativen.

Folglich liegt es in der Macht westlicher Techunternehmen, die Funktion russischer Schlüsselindustrien zu stören. Wir empfehlen, den russischen Zugang zu Software-Updates einzuschränken und von den Techunternehmen zu verlangen, alle mit diesen Softwarepaketen verbundenen Daten, Fernzugriffe sowie cloudbasierte und Onlinefunktionalitäten zu blockieren.

Die Staaten des Westens waren viel zu langsam, als es darum ging, die Technologiezufuhr nach Russland einzuschränken. Dennoch lässt sich mit unverzüglich zu ergreifenden Maßnahmen noch etwas bewirken. Indem man den Kreml zwingt, seine Ressourcen in den Bereich kostspieliger Aktualisierungen und Migration von Software zu verlagern, könnte man Russlands Kriegsmaschinerie lahmlegen und ihre Niederlage sicherstellen. (Anastassia Fedyk, Yuriy Gorodnichenko, James Hodson, Übersetzung: Helga Klinger-Groier, Copyright: Project Syndicate, 16.2.2024)