Porträts, Blumen, Kerzen, Flaggen
Ein Mann gedenkt am 20. Februar der Toten der Euromaidan-Proteste in Kiew.
Foto: Imago / Kirill Chubotin

Wir neigen dazu, zu vergessen, wie eng die Ereignisse der Jahre 2014 und 2022 miteinander verknüpft sind. Zum zehnten Mal jährten sich in diesen Tagen die letzten und tragischen Ereignisse des Euromaidan. Damals wurden mehr als hundert Demonstrierende kaltblütig von regierungsnahen Sondereinsatzkommandos ermordet, und der russische Präsident Wladimir Putin annektierte die Krim. In den Augen vieler Ukrainerinnen und Ukrainer wurde im Februar 2022 kein neuer russisch-ukrainischer Krieg ausgelöst – lediglich der Charakter des laufenden Krieges, der vor zehn Jahren begann, hat sich verändert.

Revolutionsjahrzehnt

Der Euromaidan war eine Revolution im Jahrzehnt der Revolutionen der 2010er-Jahre. Es begann mit Occupy Wall Street, setzte sich mit dem Arabischen Frühling fort und endete 2020 mit den Protesten gegen die manipulierten belarussischen Wahlen unter Machthaber Alexander Lukaschenko. Ihre Geografie war wirklich global: von La Paz und Santiago bis Teheran und Hongkong. Sie waren unterschiedlich, hatten aber eines gemeinsam, nämlich zu fordern, was schwer zu definieren und zu messen ist: Gerechtigkeit und Achtung der Menschenwürde. Ihre revolutionäre Sprache war die Sprache der Werte.

In Wellen

In der Geschichte folgten auf die meisten Wellen von Revolutionen Wellen von Kriegen. Wie 1848 dient Russland in den 2010er-Jahren als wichtigster antirevolutionärer Gendarm. Und wie im Jahr 1848 scheiterten die meisten Revolutionen.

Der Euromaidan war eine der wenigen siegreichen Revolutionen. Wenn wir uns die aktuelle Situation wie einen Sportwettbewerb vorstellen, kam die Ukraine danach in das Finale zwischen den Ländern, in denen Revolutionen stattfanden, und den Ländern, in denen Revolutionen scheiterten. Ein weiterer Finalist ist Russland.

Breite Ignoranz

In diesem Krieg geht es um Werte. Und es ist sehr schwer, wenn überhaupt möglich, Werte miteinander in Einklang zu bringen.

Putin hat bei zahlreichen Gelegenheiten gesagt, dass er den Krieg in der Ukraine im Namen der "traditionellen Werte" gegen die "europäischen Werte" führe. Die Europäerinnen und Europäer neigen dazu, das zu ignorieren. Die jüngste EU-weite Umfrage ergab, dass 50 Prozent von ihnen es vorziehen, die Ukraine zu Verhandlungen mit Putin und zu einem Friedensabkommen drängen. Die Ukrainerinnen und Ukrainer fragen sich, ob diejenigen, die für den Frieden eintreten, jemals daran denken, Putin zu fragen, ob er überhaupt Frieden will. Und ob sie bereit sind, ihre Werte zu verteidigen, wenn Putin zu ihnen kommt, nach – Gott behüte! – seinem Sieg über die Ukraine.

Werte sind nur dann lebensfähig, wenn sie verteidigt werden können. Dies war eine der wichtigsten Lehren des Zweiten Weltkriegs. Leider scheint sie vergessen zu sein. (Yaroslav Hrytsak, 24.2.2024)