Mann in Uniform und Frau umarmen sich
Leben im Krieg: Ein Paar verabschiedet sich am Bahnsteig in der ostukrainischen Stadt Kramatorsk.
Foto: Reuters / Inna Varenytsia

Vor zwei Jahren konnten wir kaum glauben, dass sie begonnen hatte, vor einem Jahr, dass sie zu unserer Normalität wurde, und heute, dass es möglich ist, sie zu beenden. Die russische Invasion in der Ukraine hat unendlich viel Tod und Zerstörung gebracht. Tragischerweise haben die letzten zwei Jahre alles und nichts verändert – und Europa scheitert immer wieder daran, Stärke zu zeigen.

Erinnerungen und Ängste

In seiner Rede vergangenen Samstag in München, wenige Stunden nach der Nachricht vom Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, wiederholte Präsident Wolodymyr Selenskyj dieselbe Botschaft wie vor zwei Jahren: Wenn die Ukraine alleingelassen wird, wird Russland sie zerstören, und die russische Aggression kann nur mit Gewalt gestoppt werden.

Während westliche Staatsoberhäupter in Bayern debattierten, nahm das russische Militär nach vier Monaten heftiger Kämpfe Awdijiwka ein, eine Stadt in der Oblast Donezk, die seit 2014 Kriegsschauplatz ist. Für die Ukrainerinnen und Ukrainer weckt der Rückzug Erinnerungen an die Eroberung von Bachmut im vergangenen Jahr – und er schürt Ängste, was die Aussichten der Kämpfe betrifft angesichts der Hängepartie im US-Kongress, wo die Republikaner die Militärhilfe für Kiew blockieren.

Unvermeidlicher Rückzug

Wolodymyr, ein Arzt, der die Wunden hunderter Verteidiger der Stadt behandelt hat, sagte mir, der Rückzug aus der Stadt war "unvermeidlich". Ohne Munition und angesichts der zahlenmäßigen russischen Überlegenheit ist die Ukraine gezwungen, das Leben ihrer Soldaten zu retten. "Krieg ist schmerzhafte Mathematik. Ohne Waffen sind wir gezwungen, zu sterben oder Territorium zu verlieren."

Die Einnahme von Awdijiwka und Nawalnys Tod ereigneten sich einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen in Russland, bei denen Wladimir Putin mit ziemlicher Sicherheit seine 24 Jahre an der Macht bestätigen wird. Der russische Autokrat hat die Besetzung von vier Regionen im Osten und Süden der Ukraine in der Verfassung verankert und seine größten Gegner, darunter den berüchtigten Söldnerführer Jewgeni Prigoschin, der eine erstaunliche Meuterei gegen Putin anführte, inhaftiert oder getötet.

Putin wird nicht aufhören, und wir kommen ihm kaum in die Quere. Nachdem Donald Trump im US-Wahlkampf erklärt hat, er würde die Russen ermutigen, mit jedem Nato-Land, das nicht genug zahlt, "zu machen, was sie wollen", haben Großbritannien, Deutschland und Frankreich zugesagt, die militärische und wirtschaftliche Hilfe für die Ukraine aufrechtzuerhalten. Aber im Grunde sehen die Europäer keinen Ausweg aus dem Krieg. Sie sind bereit, sich "so lange wie nötig" von ihm abzugrenzen.

Die Essenz des Krieges

Dank technologischer Innovationen – Drohnen und Kameras, die die mehr als 1000 Kilometer lange Frontlinie in der Ukraine überwachen – können wir in Zeitlupe und hoher Auflösung sehen, "was es braucht". Hightech-Kriegsführung ändert nichts an der Essenz des Krieges: dem Töten.

Die Zahl der ukrainischen Verluste ist ein Staatsgeheimnis. Vergangenen Sommer sprachen US-Beamte inoffiziell von 70.000 toten und 120.000 verwundeten Soldaten. Ihor, Kommandant eines Bataillons, das den ukrainischen Außenposten Robotyne im Süden des Landes verteidigt, erzählte mir kürzlich, seine Einheit habe mehr als die Hälfte ihrer Soldaten verloren.

Bitterer Ton

Das Leid der Zivilbevölkerung ist noch schwieriger zu erfassen. Rund fünf Millionen Menschen auf einem Fünftel des ukrainischen Territoriums leben unter Besatzung, fast vier Millionen Menschen sind Binnenvertriebene, und mehr als sechs Millionen Menschen haben das Land verlassen. Dem Erdboden gleichgemachte Städte und Dörfer, Besatzung, Zwangsdeportationen, ständige Raketenangriffe – all das gehört seit langem zum Leben in der Ukraine.

Hunderte von Ukrainerinnen und Ukrainern, mit denen ich in den letzten zwei Jahren gesprochen habe – Soldaten, Kriegsopfer, Freiwillige, Politiker und Experten –, haben fast einhellig gesagt, dass sie sich von der russischen Aggression nicht erpressen, einschüchtern oder brechen lassen wollen. Doch mit jedem Tag, jedem Monat des Krieges werden diese Unbesiegbarkeitserklärungen in einem immer bittereren Ton ausgesprochen.

"Die Ukraine ist nicht unzerstörbar."

Der von Putin entfesselte Krieg ist ein endloser, brutaler Angriff auf die menschliche Solidarität. Die Einheit, die Brüderlichkeit und die Aufopferung der ukrainischen Soldaten, Zivilistinnen und Zivilisten werden systematisch niedergewalzt von der russischen Kriegsmaschinerie, die Russland auch zu einem Land gemacht hat, das Gewalt verherrlicht. Die Ukraine ist nicht unzerstörbar.

Angesichts der zunehmenden Probleme hat Präsident Selenskyj, der zwar immer noch von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wird, dessen Vertrauenswerte aber langsam sinken, kürzlich beschlossen, den Oberbefehlshaber der Armee, General Walerij Saluschnyj, zu ersetzen und einen Großteil der militärischen Führung auszutauschen. Bald werden die Behörden ein neues Wehrpflichtsystem einführen, um dieses drängendste und konfliktträchtigste Problem anzugehen, in dessen Mittelpunkt Ungleichheit und Korruption stehen.

Fairer Konsens

Mit jedem Monat wächst die Notwendigkeit, einen neuen Gesellschaftsvertrag zu schmieden, aber ein fairer Konsens ist während eines umfassenden Krieges unmöglich.

In den Straßen von Wien und anderer ruhiger europäischer Städte herrscht auffallende Stille, und nur in dieser Stille kann man hören, was hinter Europas unglückseliger Kriegsstrategie steckt: Gleichgültigkeit. Die passive Haltung des Westens, der direkte Hilfen für die Ukraine von vornherein ausgeschlossen hat, und der sich abmüht, ohnehin nur unzureichende Unterstützung zu gewinnen, all das versetzt uns in die Lage eines ängstlichen Beobachters der Gewalt. Wir täuschen uns, wenn wir glauben, dass wir uns gegen das Böse abschirmen können und nicht von ihm angesteckt werden. (Aleksander Palikot, 24.2.2024)