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Schreckt nicht nur Europa mit vielen seiner Aussagen auf: Ex-Präsident Donald Trump.
Foto: AP/Chris Carlson

Nicht zum ersten Mal war auch auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz ein Abwesender die Hauptperson. Dieses Jahr war Donald Trump an der Reihe. Wie die meisten Teilnehmenden an diesem jährlichen "Davos der Verteidigung" hoffe auch ich inständig, dass der voraussichtliche republikanische Präsidentschaftskandidat für immer ein ehemaliger Präsident bleiben wird. Dies nicht nur aus Mitgefühl gegenüber meinen US-amerikanischen Freunden, die in ihm eine Gefahr für die Zukunft ihrer Republik sehen, sondern auch aus Sorge darüber, was er der Weltordnung antun würde. Als Europäer bin ich jedoch in gewisser Weise dankbar für Trumps Existenz. Selbst wenn er die Wahl im November verlieren sollte, könnte er am Ende der unfreiwillige Retter des europäischen Projekts werden. Schließlich hat er die Europäerinnen und Europäer gezwungen, ihre Grundannahmen hinsichtlich des Krieges in der Ukraine, der europäischen Verteidigung und der politischen Einheit Europas zu überdenken.

Nun, da sich der Beginn des Ukrainekriegs zum zweiten Mal jährt und kein Ende in Sicht ist, lässt Trumps Kandidatur Europa darüber nachdenken, was Sieg oder Niederlage bedeuten würde. Alle wünschen sich, dass die Ukraine idealerweise ihr gesamtes Territorium zurückerobert. Als die Witwe des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny, Julija Nawalnaja, nur Stunden nach der Nachricht vom Tod ihres Mannes in München das Podium betrat, war es unmöglich, bei dem Gedanken, Wladimir Putin auch nur einen Quadratzentimeter der Ukraine zu überlassen, nicht zu erschaudern. Aber angesichts des fortschreitenden Zermürbungskrieges ergibt es immer weniger Sinn, die Angelegenheit nur unter territorialen Gesichtspunkten zu betrachten.

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Denn eine noch größere Bedrohung als territoriale Verluste wäre für die Ukraine ein Trump-Friedensplan, der sowohl Gebietsabtretungen als auch eine Entmilitarisierung des Landes vorsieht und die Ukraine damit zu einem gefährlichen Zustand der Neutralität verdammt. Europäerinnen und Europäern wird allmählich klar, dass die Ukraine ihre europäischen und westlichen Ambitionen nur durch einen Doppelbeitritt zur Nato und zur Europäischen Union verfolgen kann. Wie der Osteuropa-Experte Ivan Krastev kürzlich argumentierte, ist es vielleicht an der Zeit, ein "westdeutsches Szenario" in Betracht zu ziehen.

"Europa muss nicht nur mehr investieren, sondern auch die Art und Weise ändern, wie das Geld ausgegeben wird, nicht zuletzt durch die Überwindung der alten psychologischen Trennlinien zwischen Nato und EU."

Trump hat der aktuellen europäischen Debatte über Verteidigung und Sicherheit unbeabsichtigt neue Dringlichkeit verliehen. Erst diese Woche versprach die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen in München, die "gesamte Artillerie" ihres Landes der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Insgesamt hat Europa bereits mehr (militärische und sonstige) Hilfe für die Ukraine geleistet als die Vereinigten Staaten. Im Vorfeld des Nato-Gipfels in Washington im Juli sind 20 der 22 EU-Mitglieder des Bündnisses (darunter Deutschland) auf Kurs, mindestens zwei Prozent ihres BIP für die Verteidigung auszugeben.

Putins Revanchismus

Freilich ist der größte Teil dieses Sinneswandels auf Putins Revanchismus zurückzuführen. Doch Trumps jüngste Äußerungen, in denen er die Russen ermuntert, mit zahlungsunwilligen Nato-Mitgliedern zu machen, "was immer zur Hölle sie wollen", haben den Druck noch erhöht. Europa muss nicht nur mehr investieren, sondern auch die Art und Weise ändern, wie das Geld ausgegeben wird, nicht zuletzt durch die Überwindung der alten psychologischen Trennlinien zwischen Nato und EU.

Doch der vielleicht größte Beitrag, den Trump geleistet hat, war der zur politischen Einheit Europas. Nach seiner Wahl im Jahr 2016 befürchteten viele den Aufstieg einer "illiberalen Internationale", die eine enge Abstimmung zwischen rechtspopulistischen Parteien in Europa mit Trumps Weißem Haus und Putins Kreml hätte bringen können. Sollte Trump jedoch ein zweites Mal gewählt werden, zeigen Umfragen des European Council on Foreign Relations, dass er in den wenigsten europäischen Ländern, nicht einmal in Ungarn, auf großartige Gegenliebe stoßen würde.

Gejammer und Wehklagen

Eine auffallende Folge des Krieges (und des Brexits) ist die Neupositionierung vieler rechter Parteien. Insbesondere die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat sich vorsichtigerweise von ihrem früheren Euroskeptizismus abgewandt und darauf geachtet, alle Beziehungen Italiens zu Putin zu kappen. In Polen hat die Rückkehr Donald Tusks eine traditionell skeptische Wählerschaft hinter der Idee eines geopolitisch geschlosseneren Europas vereint. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni könnte es zwar zu einem heftigen Rechtsruck kommen, aber in vielen Ländern könnte die Bedrohung durch Trump Wählerinnen und Wähler mobilisieren und jenen Kandidierenden helfen, die sich für die europäische Souveränität starkmachen.

Niemand hat den Trump-Effekt jedoch besser auf den Punkt gebracht als der (scheidende) niederländische Premierminister Mark Rutte, der die Europäerinnen und Europäer beschwor, mit dem "Gejammer und Wehklagen über Trump aufzuhören" und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Angesichts der langfristigen Perspektiven der US-Innenpolitik wird Europa so oder so nichts anderes übrig bleiben, unabhängig davon, wer im November gewinnt.

Größter Mobilisierer

Sollte es gelingen, die Katastrophe diesmal abzuwenden, könnte eine Biden-Regierung in ihrer zweiten Amtszeit auf einen viel zuverlässigeren europäischen Partner zählen. Wie zahlreiche USA-Beobachterinnen und -Beobachter festgestellt haben, ist Trump einerseits die größte Bedrohung der US-amerikanischen Demokratie, aber andererseits auch der wirksamste Mobilisierer demokratischer Wählerstimmen. Es ist ein riskantes Unterfangen, aber es besteht die Chance, dass die transatlantische Ordnung durch den Trump-Effekt so gestärkt wird, wie es schon lange nicht mehr der Fall war. (Mark Leonard, Übersetzung: Helga Klinger-Groier, Project Syndicate, 23.2.2024)