Gabriele Wohmann nahm in den 1960ern an Treffen der Gruppe 47 teil und Paarbeziehungen in den Blick – das sei privat und damit irrelevant, meinten viele Kritiker.
Gabriele Wohmann nahm in den 1960ern an Treffen der Gruppe 47 teil und Paarbeziehungen in den Blick – das sei privat und damit irrelevant, meinten viele Kritiker.
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Vier Frauen finden sich 1958 unter den 40 Teilnehmenden der Tagung der Gruppe 47. Das Treffen ging als "Frauentagung" in die Annalen ein: Denn nur 26 Autorinnen lasen in den 20 Jahren seines Bestehens von 1947 bis 1967 vor diesem Männerverein der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Das führte die Autorin und Literaturwissenschafterin Nicole Seifert zur Frage: Warum? 2019 hat sie Autorinnen in deutschsprachigen Verlagsprogrammen gezählt, 2021 im Buch Frauen Literatur die Benachteiligung von Frauen im Literaturbetrieb dargelegt. In Einige Herren sagten etwas dazu (€ 25,50 bei KiWi) arbeitet sie die Fälle der Autorinnen der Gruppe 47 auf.

STANDARD: Warum dieser Rückblick?

Seifert: Für mich blieb nach Frauen Literatur die Frage offen, wie die Abwertung, die letztlich zum Ausschluss von Autorinnen führt, genau stattfindet. Es sagt ja niemand, Frauen sind blöd, und was sie schreiben, interessiert mich nicht. Das wollte ich untersuchen..

STANDARD: Die Gruppe 47 gehört zum Gründungsmythos der deutschsprachigen Literatur nach 1945, ist sagenumwoben, prägend ... Hat Sie das besonders gereizt, sie sich vorzuknöpfen?

Seifert: Es kommt in ihr alles zusammen, ja. Mein Verdacht war, dass der Ausschluss von Frauen nichts mit der Qualität ihres Werks zu tun hat, sondern nur mit ihrem Geschlecht, was immer abgestritten wurde.

STANDARD: Was zeigte sich?

Seifert: Es konnte etwa durchaus Erfolg und gute Kritiken zu Lebzeiten geben, bei der Frage, ob etwas wichtig genug für den Schulunterricht ist, hieß es dann aber doch oft "Das sind nur Frauenthemen". Was Quatsch ist. Andererseits haben die Frauen sich aber oft auch selbst kleingemacht, gerade in den 1950ern.

STANDARD: Wieso?

Seifert: Es war gesellschaftliche Erwartung, dass Frauen sich zurückhalten und die Männer nach dem Krieg wieder zu Kräften kommen und ihre Rollen wieder einnehmen lassen. Manche Frauen empfanden folglich schon die Tatsache, dass sie eingeladen wurden, als genug. Es gab aber auch die, die sagten, sie wollen so viel Erfolg wie die Männer.

STANDARD: Hatten sie etwas wie Seilschaften?

Seifert: Elisabeth Plessen hat mir erzählt, dass die Autorinnen untereinander nicht besonders viel Kontakt hatten, als sie 1967 dabei war. Auch vom Feminismus distanzierten sich viele, schon weil sie sonst in die Schublade "Frauenliteratur" gesteckt worden wären. Auch aus der feministischen Theorie wissen wir inzwischen, dass in einer patriarchalen Gesellschaft Frauen, die Erfolg haben wollen, den Schulterschluss mit den Männern vollziehen.

Ingeborg Bachmann, hier 1965 auf dem Spoleto-Literaturfestival, hatte Erfolg in der Gruppe 47.
Ingeborg Bachmann, hier 1965 auf dem Spoleto-Literaturfestival, hatte Erfolg in der Gruppe 47.
imago/Michel Neumeister

STANDARD: Die haben ihre Kolleginnen indes "Pummelchen" genannt ...

Seifert: Schon weil die Frauen zuallererst als Frauen, um nicht zu sagen als Körper, wahrgenommen wurden, wurden ihre Texte nicht groß ernsthaft diskutiert. Zudem verstanden die Männer diese Texte oft offenbar gar nicht. Denn während viele der Autoren im Krieg gewesen waren, hatten viele der Autorinnen studiert und andere ästhetische Voraussetzungen. Die konnten die Autoren oft nicht einordnen, reagierten ahnungslos, mit Abwehr.

STANDARD: Das hat dann dazu geführt, dass Frauen zusätzlich negiert wurden?

Seifert: Das ist das eine, das andere ist der Inhalt ihrer Texte. Es gab nicht wenige Autorinnen wie Gisela Elsner und Gabriele Wohmann, die über den Zusammenhang von faschistischer und patriarchaler Gewalt in Beziehungen, Familien, Bildungseinrichtungen schrieben. Die aus dem Krieg heimgekehrten Männer wollten aber eine Stunde null. Texte, in denen es um eine traumatisierte Psyche ging, Gewalt, Schuld, wurden nicht diskutiert.

STANDARD: Viele Namen im Buch kennt man nicht mehr. Gab’s ohne Gruppe 47 keine Chance?

Seifert: Die Gruppe war sehr wichtig in der Wiederaufbauzeit, es gab am Anfang ja nicht die jetzige Landschaft von Stipendien, Lesungen, Festivals – auch um sich auszutauschen.

STANDARD: Sehr wohl Erfolg in der Gruppe 47 hatten Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann. Waren die einfach zu gut? Härter im Nehmen?

Seifert: Zum einen glaube ich, dass sie mit ihrer Literatur wirkliche Ausnahmegestalten sind. Sie waren zudem unter den ersten Autorinnen in der Gruppe. Wie die Männer da völlig außer sich gerieten, das erinnert ein bisschen an Schulhoferlebnisse. Die Gruppe hat von Bachmann und Aichinger aber mindestens so sehr profitiert wie sie von der Gruppe.

STANDARD: Gab es unterstützende Autoren?

Seifert: Es gab die, von denen schlimm sexistische Aussagen nicht überliefert sind. Frauen beigesprungen ist aber keiner. Das ist auch dem Zeitgeist geschuldet: Übergriffigkeiten wurden von den Männern als Witz dargestellt.

"Kommentare à la 'Wenn die Frauen nicht kanonisiert sind, haben sie wohl nichts Gutes geschrieben' sitzen tief", sagt Nicole Seifert.
Katja Scholtz

STANDARD: Wie viel besser ist die Lage heute?

Seifert: Vor allem beim Selbstbewusstsein der Autorinnen und beim Bewusstsein für Strukturen sehe ich Fortschritte. Sie denken nicht mehr, es hätten alle die gleichen Startbedingungen und es läge nur an ihnen, wenn sie keinen Erfolg haben. Kommentare à la "Wenn die Frauen nicht kanonisiert sind, haben sie wohl nichts Gutes geschrieben" sitzen aber tief, auch bei Frauen. Und was gesamtgesellschaftlich gilt, gilt auch für den Literaturbetrieb: Je mehr Fortschritte es gibt, desto mehr formiert sich auch ein Backlash. Ich höre schon regelmäßig, man müsse jetzt dagegenhalten, dass Frauen so viel Raum einnehmen. Wie zäh Veränderung ist, zeigt sich oft auch an der Reaktion auf Literaturpreise, wenn gesagt wird, Frauen bekämen deshalb einen Preis, weil sie Frauen sind. Das sind die alten patriarchalen Abwertungsmechanismen. (Michael Wurmitzer, 28.2.2024)