Fritz Potolzky in seinem Mercedes in Kaltenleutgeben in Niederösterreich
Fritz Potolzky (91): "Ich fahre heute vorsichtiger und achte mehr drauf, ob der andere einen Fehler macht."
© Christian Fischer

Fritz Potolzky strahlt eine fröhliche Gelassenheit aus, während er im Vorzimmer seinen Autoschlüssel sucht. "Das fängt ja schon gut an", sagt der Pensionist. Es klingt nicht angestrengt, eher selbstironisch. Den Schlüssel gefunden, stapft Potolzky, kariertes Hemd, darüber ein Gilet, mit festen Schritten die Stiege zu seiner Garage runter. Dort steht sein Mercedes C-Klasse. Seit 1950 fährt Potolzky Auto, seit zwölf Jahren dieses Modell. "Wollen'S eine Runde mitfahren?", fragt er. DER STANDARD steigt ein bei Fritz Potolzky (91).

Der ehemalige Chef einer Wiener Sektfirma wirkt frisch und aufmerksam, wie er seinen Mercedes durch Kaltenleutgeben in Niederösterreich lenkt. "Ich fahre jetzt als Alter vorsichtiger und achte mehr drauf, ob der andere einen Fehler macht", sagt Potolzky. Die Kapitel seines Lebens kann er auch über Autos erzählen. Als junger Mann fuhr er VW-Käfer und Opel Rekord. Als der Wohlstand in Österreich zu- und seine Karriere an Fahrt aufnahm, stieg Potolzky auf Audi und Mercedes um. Ein Auto ist für Potolzky und seine Frau wichtig, sehr sogar. Von ihrem Haus hinunter zur nächsten Bushaltestelle wären es 900 Meter.

Viel hat sich verändert, eines nicht

Wenn man Potolzky fragt, was er von verpflichtenden Gesundheits-Checks für Autofahrer hält, wie sie im EU-Parlament kürzlich diskutiert und letztlich abgelehnt wurden, gibt er sich offen: "Dafür bin ich sofort. Sie sollen einem vorher nur sagen, was sie checken wollen."

In den sieben Jahrzehnten, die Potolzky Auto fährt, hat sich viel verändert: Es kamen Gurtenpflicht, Promillegrenzen und Tempolimits. Eine Sache hat sich aber nicht geändert: Wer die Führerscheinprüfung einmal bestanden hat, darf ohne weitere Kontrolle Auto fahren, solange er will.

Ältere häufiger Unfallverursacher

In Österreich scheitert eine politische Debatte über das Autofahren im Alter oft bereits daran, dass die Statistiken zum Thema in Zweifel gezogen werden. Dabei zeigen Zahlen aus Deutschland, einem Land mit ähnlich sicheren Autos und Straßen wie Österreich, eindeutig: Sind Lenker ab 75 Jahren in einen Autounfall verwickelt, sind sie in drei Vierteln der Fälle die Hauptverursacher. Das meldete im Dezember das Statistische Bundesamt in Wiesbaden.

In manchen EU-Ländern gibt es deshalb bereits Gesundheits-Checks für Ältere, wenn sie weiterhin Auto fahren wollen. In Italien muss man seinen Führerschein ab 50 alle fünf Jahre verlängern und dafür einen medizinischen Check bestehen, ab dem 70. Geburtstag alle drei Jahre; ähnlich streng geht es in Portugal zu.

Grafik über Unfälle nach Alter
Sind ältere Lenkerinnen und Lenker in einen Unfall verwickelt, so tragen sie häufiger die Hauptschuld daran als jüngere, stellte das Statistische Bundesamt in Deutschland erneut fest.
DER STANDARD

Wilde Debatte in Brüssel

Was spricht eigentlich für und gegen solche Gesundheits-Checks oder auch andere Fahrtauglichkeitstests für Senioren? Diese Frage stellt man sich auch in der Europäischen Union.

Die Kurzfassung einer im Vorjahr wild geführten Debatte: Im Sommer wurde ein Vorschlag der EU-Kommission bekannt, die Fahrtauglichkeit von Menschen ab 70 überprüfen zu wollen; wobei man den EU-Staaten Spielraum lassen wollte, ob ein Medizincheck oder nur eine Selbsteinschätzung notwendig sei. Im Dezember stimmte der Verkehrsausschuss im EU-Parlament auf Vorstoß der französischen Grünen Karima Delli dann für verpflichtende Gesundheits-Checks zur Erneuerung des Führerscheins – aber in jedem Alter, dafür nur alle 15 Jahre.

Bis zum Beschluss der neuen Führerscheinrichtlinie im EU-Parlament im Februar hatten die Gegner dann alle Verschärfungen für Senioren kassiert. Nur die dürre Forderung nach "nationalen Sensibilisierungskampagnen" findet sich nun in der Richtlinie.

Scheinargument "Diskriminierung"

"Verpflichtende Gesundheits-Checks oder Fahrtauglichkeitstests aufgrund des Alters wären eine Scheinlösung mit einem sehr groben Kamm und damit eine Diskriminierung", begrüßt Barbara Thaler, ÖVP-Abgeordnete im EU-Parlament, auf Nachfrage des STANDARD das Scheitern des Vorhabens. Schließlich sei es "ein Prinzip und eine Errungenschaft Europas", dass jeder die gleichen Rechte habe. Auch SPÖ und FPÖ sprechen in seltener Einigkeit von "Altersdiskriminierung", die gedroht hätte.

Aber stimmt das auch? Der Wiener Verkehrspsychologe Gregor Bartl beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit Unfallstatistiken und widerspricht entschieden. Bartl hat auch den Vorteil, dass er keine Rücksicht darauf nehmen muss, was in Wirtshäusern gedacht und in Wahlzellen gemacht wird: In Österreich leben derzeit rund 1,8 Millionen Menschen, die mindestens 65 sind. "Diskriminierung bedeutet die Schlechterstellung einer Personengruppe aufgrund von Vorurteilen. Wo ist hier ein Vorurteil? Hier gibt es statistische Fakten", sagt Bartl.

Fritz Potolzky hat in seinem Leben viele Innovationen mitgemacht
Fritz Potolzky hat in seinem Leben viele Innovationen mitgemacht: vom VW-Käfer mit geteilter Heckscheibe bis zum Navigationsgerät und automatisierten Schaltgetriebe.
© Christian Fischer

Bittere Tatsachen

Pkw-Fahrer ab 65 missachten öfter den Vorrang anderer, machen mehr Fehler beim Abbiegen und Rückwärtsfahren und legen häufiger ein falsches Verhalten gegenüber Fußgängern an den Tag, berichtet das Statistische Bundesamt in Deutschland. Umgerechnet auf die Kilometer ist die Unfallhäufigkeit von Senioren höher. Besser als Jüngere liegen sie hingegen beim Abstandhalten, und sie fahren seltener betrunken.

Auch die Leistungsfähigkeit des Sehens nimmt im Alter ziemlich linear ab, stellte die deutsche Unfallforschung der Versicherer fest. Ab einem Alter von 65 Jahren zeige sich "eine deutliche Abnahme bis hin zu einem vollständigen Verzicht" auf den Schulterblick beim Auffahren auf Autobahnen und beim Ausscheren, ergab zudem eine Studie der TU Dresden von 2015.

Im vergangenen Jahr gab es 296 Verkehrstote auf Österreichs Straßen. 2019, im Jahr vor Corona, waren es 416 Getötete. Hinter diesen Zahlen stehen Schicksale: Notarzteinsätze, Witwen, Witwer und Waisen; Einfamilienhäuser, in die keine Familien mehr zurückkehren. Wären Gesundheits-Checks für Senioren, die ja statistisch öfter in Unfälle verwickelt sind, nicht sinnvoll? Oder andere Maßnahmen?

Pensionist Fritz Potolzky in seinem Haus in Kaltenleutgeben
Pensionist Potolzky: "Für Gesundheits-Checks für Senioren, die Auto fahren wollen, bin ich sofort zu haben. Sie sollen mich nur vorher informieren, was sie checken möchten."
© Christian Fischer

Feedback statt Fahrprüfung?

Siegfried Brockmann leitete fast zwei Jahrzehnte lang die deutsche Unfallforschung der Versicherer, heute verantwortet er in der Björn-Steiger-Stiftung den Bereich Verkehrssicherheit. Er kennt all die Statistiken über das Fahren im Alter. Dennoch sagt er im Gespräch mit dem STANDARD: "Gesundheits-Checks halte ich für einen Nebenkriegsschauplatz." Brockmann argumentiert: "Fast alle Krankheiten des Alters lassen sich, abgesehen von einer Extremstufe, medikamentös so gut einstellen, dass sie nicht zum Verlust der Fahrleistung führen." Wichtiger seien im Auto kognitive Fähigkeiten, vor allem die Fertigkeit, mehrere Aufgaben zugleich zu lösen. Diese zu testen sei aber aufwendig und teuer.

Trotzdem plädiert Brockmann für eine Änderung des Status quo auf deutschen und österreichischen Straßen. Der Verkehrsexperte fordert sogenannte Rückmeldefahrten, die ab dem 75. Geburtstag alle paar Jahre verpflichtend wären – aber ohne Meldung der Ergebnisse an Behörden, ohne Sanktion. So eine Rückmeldefahrt für Seniorinnen und Senioren im eigenen Auto solle 45 Minuten dauern und rund 100 Euro kosten.

Auch Verkehrspsychologe Bartl wirbt für das Modell: "Meine Vision ist ein 'Stay Young Program' auf europäischer Ebene. Beim Autofahren wäre der wichtigste Schritt, ab 75 sogenannte Feedbackfahrten mit speziell dafür ausgebildeten Fahrlehrern anzubieten, deren Ergebnisse vertraulich wären. Dann kann man ein Verbesserungspotenzial erarbeiten und trainieren."

Monika und Fritz Potolzky
Beim Thema Fahrtauglichkeitsprüfungen für Senioren sind Monika und Fritz Potolzky nicht einer Meinung.
© Christian Fischer

"Wenn, dann für alle"

Soll es verpflichtende Maßnahmen nur für Senioren am Steuer geben? Das Thema polarisiert, auch beim Ehepaar Potolzky in Kaltenleutgeben. Während sich ihr Mann solche Rückmeldefahrten und sogar Checks vorstellen kann, ist Monika Potolzky dagegen: "Mir widerstrebt der Gedanke, dass die Gefahr von älteren Menschen ausgeht. Die Älteren fahren erstens weniger und zweitens besonnener." Wenn neue Auflagen kämen, meint Frau Potolzky, müssten sie für alle gelten.

Das Argument, dass Ältere manch körperliche Beschwerde durch defensives und langsames Fahren völlig ausgleichen können, widerlegen aber die Unfallstatistiken. "Die Zahlen stimmen ja trotzdem. Sie wären nur noch exorbitant höher, wenn alte Leute nicht kompensieren würden", sagt Unfallforscher Brockmann.

Das Drama mit der Mutter

Auch sind nicht alle Senioren so reflektiert und rüstig wie der 91-jährige Herr Potolzky. In Klosterneuburg bei Wien erzählt Andrea Winkler* (62), wie das Thema Autofahren die Beziehung zu ihrer Mutter belastet. Es ist ein verregneter Tag im Februar. Winkler wohnt in einem hellen, freundlichen Haus, vom Garten aus sieht man die Klosterneuburger Stiftskirche. Doch wenn Winkler an ihre 86-jährige Mutter im Auto denkt, ist die Idylle dahin.

Vor drei Jahren sei sie zum letzten Mal im BMW ihrer Mutter mitgefahren. "Sie war sehr verkrampft und zögerlich und ziemlich mittig unterwegs", sagt Winkler. Ihre Mutter wohne aber im nördlichen Weinviertel und wolle weiter Auto fahren. Würde sie noch bei ihr einsteigen? Nein, sagt Winkler: "Meine Mutter sollte gar nicht mehr fahren. Ich will sie nicht unselbstständig machen, ich habe einfach Angst um sie und auch um andere."

Von der Politik ignoriert

Auf Anfrage des STANDARD lehnen alle Parlamentsparteien verpflichtende Gesundheits-Checks ab einem bestimmten Alter ab. Und auch gesetzlich verankerte Rückmeldefahrten für Senioren, deren Ergebnisse vertraulich blieben, befürwortet keine Fraktion. Die Neos wollen lieber "individuelle Maßnahmen, die auf die persönliche Fahrkompetenz abzielen".

FPÖ-Verkehrssprecher Christian Hafenecker sagt dazu: "Es gibt von Autofahrerklubs und Fahrschulen Angebote, um die Fahrfähigkeiten zu verbessern. Es steht jedem frei, von diesem Angebot Gebrauch zu machen." Die Chefin der Fahrschule Steininger in Steyr, die zum Beispiel Fahrsicherheitstrainings für Menschen ab 60 anbietet, berichtet auf Nachfrage aber, "das Angebot wird überhaupt nicht angenommen".

Parteien wollen nur sensibilisieren

Alle Parteien zeigen sich auf Anfrage für Sensibilisierungskampagnen offen. In der ÖVP kann man sich noch mehr vorstellen – allerdings keine verpflichtenden Rückmeldefahrten für Senioren. Stattdessen erklärt EU-Abgeordnete Thaler: "Autos sind durch bestimmte Verpflichtungen für die Bauweise in den vergangenen Jahrzehnten sicherer geworden. Obwohl ich kein Fan von immer noch mehr Förderungen bin, könnten wir darüber nachdenken, die Fördergelder für E-Autos umzuschichten – in Richtung sicherer Autos mit Assistenzsystemen und Notbremssystemen."

Kurz vor Redaktionsschluss erfährt DER STANDARD, dass Andrea Winklers 86-jährige Mutter ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Dort konnte eine beginnende Demenz nicht ausgeschlossen werden. Bis zuletzt sei ihre Mutter wöchentlich zwischen dem Weinviertel und Wien Auto gefahren, erzählt Winkler. "Die Ärzte sagen mir, dass sie nicht mehr allein leben kann, zumindest vorläufig." Ihre Mutter habe nun versprochen, nicht mehr zu fahren. Die Autoschlüssel im Haus ihrer Mutter ließ sie zur Sicherheit trotzdem abholen. (Lukas Kapeller, 22.3.2024)