Versiegelung, Baupaket
Neue Häuser und Wohnblocks im Grünen bedeuten auch neue Straßen und Autos, sagen Verkehrsplaner. Österreich sei schon jetzt ziemlich zugebaut.
© Christian Fischer

Es sind keine E-Mails oder SMS, sondern Briefe, in denen sich der Streit um den Boden manifestiert. Einen davon schickte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) vergangene Woche an Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Darin appellierte er an Mikl-Leitner, den Bodenverbrauch, wie im Regierungsprogramm festgeschrieben, bis 2030 auf 2,5 Hektar pro Tag zu beschränken.

In der ZiB2 des ORF erklärte Kogler, das 2,5-Helkatar-Ziel hätten aller Regierungen der vergangenen 20 Jahre angestrebt, nun sei es Zeit, dieses zu erreichen. Dafür seien er und die Grünen bereit zu kämpfen. Er sei jedoch optimistisch, dass letztlich der Druck von Bevölkerung und Medien ausreichen wird: "Am Schluss werden die Länder einlenken müssen."

Derzeit ist dieses Ziel noch in weiter Ferne: In Österreich wird täglich eine Fläche von durchschnittlich 11,3 Hektar verbaut, allein in Niederösterreich sind es rund 2,3 Hektar pro Tag. Diese gefährliche Entwicklung sei insbesondere auch von den für die Raumordnung zuständigen Ländern "sträflich vernachlässigt" worden, so Kogler. Als aktuelle Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz solle Mikl-Leitner auf widerstrebende Bundesländer positiv einwirken.

Neuer Wohnraum

Wenige Tage später trudelte die Antwort von Mikl-Leitner per Brief ein. Man sei für eine "Diskussion im vernünftigen Rahmen" und für eine "praxistaugliche Bodenschutzstrategie", schrieb Mikl-Leitner. Aber es gebe neben dem Bodenschutz "noch viele weitere berechtigte Anliegen" der Bevölkerung. Eines davon: die Schaffung von neuem Wohnraum.

Gerade dafür werden die Länder künftig mehr Geld haben. Eine Milliarde Euro investiert die Bundesregierung bis 2027 in den Wohnbau, wie kürzlich bekannt wurde, um die Bauwirtschaft wieder anzukurbeln und neuen Wohnraum zu schaffen. Über ein Zuschussgesetz sollen die Mittel an die Länder verteilt werden. Das Ziel: 10.000 neue Eigenheime, 10.000 neue Mietwohnungen und 5.000 Sanierungen.

Den ursprünglich geplanten Zuschuss für Häuslbauer von maximal 100.000 Euro für das erste Eigenheim hat die Regierung zwar wieder verworfen, dafür sollen Wohnbaudarlehen erleichtert und die Grundbucheintragungsgebühr sowie die Pfandrechtseintragungsgebühr für das erste Eigenheim für zwei Jahre gestrichen werden.

Viele Folgekosten

Während die Wirtschaft das Baupaket als "sinnvolle Impulse" lobt, fürchten einige Experten und Umweltschützerinnen einmal mehr um Österreichs Boden. "Dass im Zuge des Baupakets bald neue Häuser auf grüner Wiese gebaut werden, widerspricht der Bodenstrategie und dem Klimaschutz", sagt Günter Emberger, Verkehrsexperte und Professor an der Technischen Universität Wien, zum STANDARD.

Durch die Verbauung entstünden eine Vielzahl von Folgekosten: Jedes weitere Haus auf der grünen Wiese brauche neue Erschließungsstraßen und Anschlüsse, eine neue Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz und führe zu einer Fortführung des Autoverkehrs, sagt Emberger. "So etwas sollte nicht noch mit Steuergeld gefördert werden." Dass das Geld laut Regierung vorrangig in den gemeinnützigen Wohnbau fließen soll, ändere nichts an der Tatsache, dass auch "Wohnblocks auf der grünen Wiese stehen können".

Falsches Verhältnis

Stattdessen wäre es laut Emberger besser gewesen, wenn eine flächenschonende Bebauung und eine Verdichtung des Bestands als Kriterien für die Konjunkturmaßnahme festgelegt worden wären. "Es gäbe genug Möglichkeiten, schon versiegelte Flächen künftig besser zu nutzen." Supermärkte, Parkplätze oder Einkaufszentren könnten beispielsweise mehr verdichtet werden. "Umso mehr wir zubauen, desto mehr Flächen verlieren wir, die wir in Zukunft für die Nahrungsmittelproduktion, für die Kühlung und für die Biodiversität brauchen."

Seitens der Regierung weist man darauf hin, dass nicht nur Gelder für Neubauten, sondern auch welche für Sanierungen und die Reaktivierung von Leerständen fließen, was auch dem Klimaschutz diene. Allerdings stimme das Verhältnis nicht, hieß es vor wenigen Tagen von der Bundeskammer der Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker. Während Sanierungen mit 220 Millionen Euro gefördert würden, seien 780 Millionen Euro für den Neubau bestimmt. "Stärker auf Neubauten und somit auf Versiegelung zu setzen, um die Bauwirtschaft anzukurbeln, wäre, als würden Ärztinnen und Ärzte eine weitere Pandemie fordern, um mehr Patienten behandeln zu können", kritisierte der Architekt und Kammerpräsident Daniel Fügenschuh.

Es müsse sichergestellt werden, dass für Neubauten kein neues Bauland gewidmet werde. Zudem brauche es verpflichtende Vorgaben und Grenzwerte für Länder und Gemeinden bei der Bodenversiegelung. Besonders die Ortskerne müssten gestärkt und nachverdichtet werden. Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierte, dass durch die geplanten Förderungen weiterhin große Flächen an Boden versiegelt werden.

Raumordnungsrechtliche Werkzeuge verlangt

Andererseits fehlt es den Kommunen auch an Werkzeugen, um vorausschauende Bodenpolitik machen zu können. Darauf wies der neue Gemeindebundpräsident Johannes Pressl in seinen ersten Interviews hin. Er wünsche sich einen "Instrumentenkoffer", um beispielsweise Rückwidmungen durchführen zu können, ohne dass viel Geld für Entschädigungen bezahlt werden müsse.

Und auch der Städtebund forderte am Donnerstag per Aussendung nötige "Instrumente und gesetzliche Rahmenbedingungen" ein. "Denn auch wenn die Städte aufgrund ihrer dichten Struktur und der fundierten Erfahrung mit nachhaltiger Flächeninanspruchnahme eine Säule der Umsetzung der Bodenstrategie darstellen, sind ihnen bis zu einem gewissen Punkt die Hände gebunden, wenn es um die Mobilisierung von Grundstücken und Bestandsgebäuden geht", sagte Generalsekretär Thomas Weninger. Städte seien am effizientesten, was den Flächenverbrauch für Siedlungszwecke betrifft.

Keine Grenzen

Bei einem Treffen in Linz am Donnerstag einigten sich die Raumordnungslandesräte der Bundesländer und der Städte- und Gemeindebund auf die Österreichische Bodenstrategie – allerdings ohne Beteiligung der Bundesregierung und ohne die vom Klimaschutzministerium und Organisationen geforderte Zielsetzung, den Bodenverbrauch bis 2030 auf 2,5 Hektar zu beschränken. Stattdessen gibt es überhaupt keine festgelegte Grenze für den Bodenverbrauch. Oberösterreichs Raumordnungslandesrat Markus Achleitner (ÖVP) begründet das so: Statt um "ideologische Luftschlösser" gehe es um "Vernunft und Pragmatismus". "Eine absolute Zahl schützt noch keinen Hektar Boden", ergänzte Niederösterreichs Landeshauptmannstellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP).

In der Strategie bekennen sich die Länder dazu, Baulandneuwidmungen zu begrenzen, Ortskerne zu beleben, Leerstände besser zu nutzen und fruchtbare landwirtschaftliche Böden abzusichern.

"Ignoranz gegenüber dem Notwendigen"

Viel Sympathie gab es für den Vorstoß außerhalb der eigenen Reihen jedoch nicht. "Eine bundesweite Bodenschutzstrategie ohne Bundesregierung und ohne verpflichtendes 2,5-Hektar-Ziel ist keine Strategie. Es ist eine Meinungsbekundung und fortgesetzte Ignoranz gegenüber dem Notwendigen", sagt Stefan Kaineder, oberösterreichischer Klimaschutzlandesrat der Grünen. Achleitner habe sich lediglich Unterstützung geholt, um das Land weiter zubetonieren zu können.

Tatsächlich geht Oberösterreich beim Bodenverbrauch bisher nicht mit gutem Beispiel voran. Das Land versiegelt mit mehr als vier Hektar Boden pro Tag so viel wie kein anderes Bundesland.

Kritik kam auch vom Bodenschutzsprecher des WWF, Simon Pories: "Das heutige Treffen hat einmal mehr gezeigt, warum Österreich den grassierenden Flächenfraß seit Jahren nicht in den Griff bekommt. Ohne ein echtes Bekenntnis der Politik zu konkreten Maßnahmen und einer fixen Obergrenze für den Bodenverbrauch werden Zersiedelung und Naturzerstörung ungebremst weitergehen." (Jakob Pallinger, Martin Putschögl, 1.3.2024)