Regenbogenfahne
Eine Regenbogen-Fahne wie hier im Fanblock des FC Bayern ist in Österreichs Stadien nicht allzu häufig zu sehen.
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Den Derbysieg gegen die Austria feierten fünf Rapid-Spieler, darunter Kapitän Guido Burgstaller und Teamspieler Marco Grüll, sowie Co-Trainer Stefan Kulovits mit homophoben und beleidigenden Sprechchören. Nach einer Anzeige der Bundesliga beim internen Strafsenat kündigte Rapid an, am Montag einen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung von Homophobie und Sexismus zu präsentieren. Das könnte helfen, Strafen wie Punkteabzug oder Pönalen entgegenzuwirken. Oliver Egger war der erste öffentlich geoutete Fußballer in Österreich. Er leitet beim ÖFB eine Ombudsstelle gegen sexuelle Diskriminierung und liefert Vorschläge zur Aufarbeitung der Causa.

STANDARD: Frustrieren Sie solche Interviews wie das anstehende?

Egger: Wenn mich jemand mit unbekannter Nummer am Handy anruft, gab es ein Outing. Oder einen negativen Vorfall, was deutlich mühsamer ist. Die letzten Tage waren anstrengend, ORF, Puls 24, oe24.tv waren da. Ich bin mehr gestresst, wenn Kameras dabei sind. Ich bin ja kein Medienprofi.

STANDARD: Als Leiter der ÖFB-Ombudsstelle sind Sie Sprachrohr für die LGBTQ-Community im Fußball. Liegt Ihnen die Rolle?

Egger: Ich hatte nie geplant, meine Geschichte so öffentlich zu machen. Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt, das war die größte Überwindung. Vor sechs Jahren wurde ich gefragt, ob ich die Aufgabe übernehmen möchte. Sie kann schön sein, aber auch fordernd. Oft kommt man sich vor, als ob man sich im Kreis dreht. Man kann noch so oft gescheit reden und appellieren, ein Vorfall wirft alles wieder um Monate oder Jahre zurück.

STANDARD: Wie haben Sie von den Videoaufzeichnungen nach dem Wiener Derby erfahren?

Egger: In der Früh beim Zähneputzen sah ich die Videos auf X und dachte nur: "Das darf doch nicht wahr sein." Es ist eine bodenlose Frechheit, was die da von sich gaben, beschämendes Verhalten und erschütternd. Das erreicht eine neue Dimension, dass aktive Nationalspieler oder Mitglieder des Trainerteams homophobe Sprüche von sich geben. Es ist eine bittere Pille, die wir schlucken mussten.

STANDARD: In einer Reaktion hieß es auch, die Vorfälle seien "in der Emotion" passiert. Sie müssen mir helfen, ich bin kein Fußballer: Was bedeutet das?

Egger: Das ist eine billige Ausrede. Damit könnte ich auch rassistische Sprechchöre rechtfertigen. Ich bin bei weitem nicht der edelste Techniker auf dem Platz, als Rechtsverteidiger fürs Grobe zuständig. Auch ich lebe auf dem Fußballfeld von meiner Leidenschaft. Aber deshalb beschimpfe ich meine Gegner nicht aufs Übelste. Hier wurde eine rote Linie überschritten, indem man eine ganze Gruppe an Menschen herabwürdigte. Das wäre die Chance schlechthin gewesen, etwa für Kapitän Burgstaller, einzuschreiten und zu sagen: Hört auf mit dem Scheiß, das interessiert in unserem Verein niemanden. Aber leichter ist es immer, mit der Masse mitzuschwimmen.

STANDARD: Welche Folgen können solche Vorfälle haben?

Egger: Für Jugendliche in einem Coming-out-Prozess ist es ein Schlag ins Gesicht. Schwul wird mit Negativem gleichgesetzt. Du stehst vielleicht sogar selbst dort und feierst mit und hörst das dann von deinen Idolen. Das ist ein fatales Zeichen. Es macht jegliche Arbeit zunichte, die davor geleistet wurde. Keine Ahnung, was in den Köpfen vorgeht. Es gibt ja auch queere Rapid-Fans, die sich in der Fanszene für Offenheit und Diversität einsetzen. Es kann sein, dass die Stimmung beim nächsten Spiel noch aufgestachelter ist. Dann wäre der Stadionbesuch als queerer Fan eine Stresssituation.

STANDARD: Ist homophobe Sprache in der Bundesliga gang und gäbe?

Egger: Aus 20 Jahren im Fußball weiß ich, wie es auf den Plätzen zugeht. Ich kann Trainer oder Gegenspieler, die auf homophobe Begriffe völlig verzichteten, an einer Hand abzählen. Ich gehe davon aus, dass das auch in der Bundesliga der Fall ist. Aber man darf nicht alle Fans in einen Topf schmeißen. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.

STANDARD: Wie sollte Rapid denn nun reagieren?

Egger: Rapid könnte Vorbild werden und sich ganzjährig gegen Homophobie engagieren. Die Aussendung, in der sich die Beteiligten entschuldigten, war wichtig. Es ist ein erster Schritt, sich einzugestehen, dass ein Fehler passiert ist. Dabei kann man es nicht belassen. Sehr viele LGBTQ-Vereine würden sich über eine Spende freuen. Der Verein könnte den Spielern und Betreuern zeigen, was homophobe Sprache bei anderen Menschen auslöst. Das wird in sozialen Medien gerne relativiert, von wegen, es sei ja nicht so gemeint. Das interessiert die Betroffenen nicht, es ist und bleibt verletzende Sprache. Ein schwules Paar muss sich im Alltag überlegen: Geben wir uns auf der Straße die Hand? Kann ich mich in meinem Umfeld outen? Das ist traurige Realität.

STANDARD: Haben Sie weitere Ideen?

Egger: An England orientieren. Vor kurzem hat Leicester City ein Video geteilt, wie der Stammtorhüter einen queeren Fanklub besucht. Das könnte auch ganz leicht ein Burgstaller oder Grüll umsetzen, sich anhören, wie es den Leuten geht und was die Spieler vielleicht beitragen können. Im direkten Kontakt geht dem einen oder anderen ein Licht auf. Ich möchte keinem Verein etwas vorschreiben, aber in meiner Mannschaft würde ein Co-Trainer das nicht überstehen. Ich fordere schon länger ein Modul zu Homophobie als Teil der Trainerausbildung. Dort muss man anfangen. Wenn Trainer schwulenfeindliche Äußerungen tätigen, werden es Kinder oder Jugendliche übernehmen. Auch Schiedsrichter sollten geschult werden.

STANDARD: Der Ex-DFB-Spieler Thomas Hitzlsperger findet, die Zeit sei reif für weitere Outings. In Deutschland herrsche Konsens, Diskriminierung nicht zu befürworten. Ist Homophobie im Fußball ein österreichisches Problem?

Egger: Nein. Das haben andere Länder auch. Mit der ÖFB-Ombudsstelle sind wir sogar Vorreiter. Deutschland ist gleich nachgezogen. Darauf können wir stolz sein.

STANDARD: Ist Homophobie ein Wiener Problem?

Egger: Im Derby kommen solche Sprechchöre, aber es beschränkt sich nicht auf Wien. Bei LASK gegen Ried gab es das auch immer wieder, auch homophobe Transparente. Man darf Rapid jetzt nicht verteufeln. Das findet auch in anderen Vereinen und im Amateursport statt. Es gibt genug Arbeit.

STANDARD: Welche Anliegen haben Leute, die sich bei Ihrer Ombudsstelle melden?

Egger: Immer dasselbe: "Wie hast du das gemacht bei deinem Coming-out?" Sie haben eine ähnliche Geschichte, spielen Fußball und überlegen, ob sie sich im Verein outen sollen. Ich will da sein für die Menschen. Vielen tut es gut, es jemandem erzählen zu können, der die Situation nachvollziehen kann. Ich habe schon immer lieber zugehört als selbst geredet. Das Schönste für mich ist, wenn sich jemand nach einem Outing meldet und sagt, dass alles gutgegangen ist.

STANDARD: Was raten den Leuten Ihnen?

Egger: Ich erzähle Ihnen meine Geschichte.

STANDARD: Wie lautet sie?

Egger: Ich war bei Familie und guten Freunden geoutet. Aber ich stehe viermal pro Woche auf dem Fußballplatz. Ich hatte es satt, mich dort verstellen zu müssen. Bei meiner Geburtstagsfeier war die ganze Mannschaft eingeladen. Mein damaliger Freund ist nachgekommen, bei der Begrüßung haben wir uns angeschmust. Dann war es allen sonnenklar. Es hat sich wie ein Lauffeuer im Team verbreitet.

STANDARD: Hat sich die Häufigkeit homophober Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch geändert?

Egger: In meinem Hauptberuf als Lehrer höre ich es manchmal, dass schwul als Schimpfwort verwendet wird. Die Alltagshomophobie ist immer noch in Teilen der österreichischen Gesellschaft verankert.

Oliver Egger will Homophobie "auf dieselbe Ebene wie Rassismus stellen". "Sonst wird man der Sache nie Herr werden."

STANDARD: Wir leben in hitzigen Zeiten, Österreich steht ein Wahlkampf bevor. Wie blicken Sie in die Zukunft?

Egger: Eher mit Sorge. Laut Umfragen stimmen 50 Prozent für Parteien, die sich noch nie für Rechte von queeren Personen in Österreich eingesetzt haben. Ohne Verfassungsgerichtshof würden sie das wohl noch immer tun, der hat quasi erkämpft, dass Menschen egal welcher sexuellen Orientierung heiraten dürfen. Auf politischer Ebene hätten wir das nicht geschafft, weil es zwei Parteien gibt, die massiv dagegen sind. Sie faseln gerne irgendetwas davon, wie eine echte, richtige Familie auszusehen hat. Das ist nicht die einzige Sorge.

STANDARD: Was bedrückt Sie außerdem?

Egger: In den USA werden Bücher verbannt wie etwa "Heartstopper", das eine queere Liebesgeschichte beschreibt. Ich hätte das in meiner Jugend gebraucht um zu sehen, dass das genauso in Ordnung ist wie alles andere. Man muss leider immer wieder für seine Rechte kämpfen, man darf sich nicht ausruhen. Zudem kommt eine gewaltige Welle an Transphobie auf, in der Lebensgrundlagen abgesprochen werden.

STANDARD: Sollten Matches abgebrochen werden, wenn homophobe Gesänge angestimmt werden?

Egger: Man muss Homophobie auf dieselbe Ebene stellen wie Rassismus. Sonst wird man der Sache nie Herr werden. Dann hätten wir diese Abstufung nicht mehr, dass es hier Strafen gibt und dort nicht. Solange das so bleibt, wird nicht viel weitergehen.