Der Ukraine bleibt noch ungefähr ein Monat, bevor ihr die Artilleriegeschosse ausgehen, und der US-Kongress kann sich nicht auf neue Lieferungen einigen. Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny ist tot. Das Sterben in Gaza geht weiter, ohne dass ein Ende abzusehen ist. Die jemenitischen Huthi greifen Schiffe im Roten Meer an. Nordkorea testet ballistische Interkontinentalraketen. In normalen Zeiten wirkt Pessimismus oft wie eine intellektuelle Marotte. In Zeiten wie diesen wird er zu einer mutigen Form von Realismus.

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"Grenzenlose" Partnerschaft: Chinas Präsident Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin.
Foto: AFP / Sputnik ( Pavel Byrkin

Die – in internationale Gesetze gegossene, von den Vereinten Nationen ratifizierte und vom Gleichgewicht des Schreckens zwischen den größten Atommächten stabilisierte – Nachkriegsordnung hängt am seidenen Faden. Die USA sind in sich gespalten und haben sich bis an die Grenzen ihrer Kapazitäten ausgedehnt. Europa bemerkt voller Schreck, dass sich die Vereinigten Staaten im November womöglich von ihrer Verpflichtung zur Bündnisverteidigung gemäß Artikel 5 des Nato-Vertrags lossagen. Angesichts dieser neuen Unwägbarkeiten fährt Europa seine Rüstungsproduktion hoch, und europäische Politikerinnen und Politiker nehmen allen Mut zusammen, um ihren Wählerinnen und Wählern beizubringen, dass sie zwei Prozent des BIPs für ihre eigene Sicherheit aufwenden müssen.

Das westliche Bündnis muss gerade nicht nur seine Verteidigungsausgaben erhöhen und über den Atlantik hinweg seine Einheit wahren. Es steht auch einer "Achse des Widerstands" gegenüber, die versucht sein könnte, die Hegemonie des Westens durch zeitgleiche, koordinierte Angriffe herauszufordern. Der Dreh- und Angelpunkt dieser Achse ist die "grenzenlose" Partnerschaft zwischen Russland und China. Die Chinesen liefern den Russen modernste Elektronik für ihre Waffensysteme, und der russische Präsident Wladimir Putin liefert im Gegenzug billiges Öl. Gemeinsam haben sie über den größten Teil von Eurasien eine autokratische Herrschaft errichtet.

"Die aufstrebenden Demokratien des Globalen Südens – Brasilien, Indien und Südafrika – denken gar nicht daran, den bedrängten Demokratien des Globalen Nordens zur Seite zu springen."

Falls die erschöpften Verteidigungskräfte der Ukraine irgendwann gezwungen sind, die russische Herrschaft über die Krim und den Donbass anzuerkennen, hat die eurasische Achse der Diktatoren erfolgreich eine europäische Landgrenze mit Gewalt verschoben. Dieser Erfolg wird jeden Staat am Rande Eurasiens bedrohen, zum Beispiel Taiwan, die baltischen Staaten und sogar Polen. Dann werden die beiden diktatorischen Systeme mit ihrem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat Eroberungen ratifizieren und damit die Charta der Vereinten Nationen auf den Müllhaufen der Geschichte verbannen.

Diese Partnerschaft der Diktatoren arbeitet eng mit einer Gruppe von Menschenrechtsverletzern unter Führung des Iran und Nordkoreas zusammen. Nordkorea liefert Artilleriegeschosse an Putin und plant derweil die Invasion der übrigen Halbinsel. Der Iran stellt die Drohnen her, die in ukrainischen Schützengräben Angst und Schrecken verbreiten. Und die Stellvertreter des Iran – die Hamas, Hisbollah und Huthi – helfen Russland und China, indem sie US-amerikanische und israelische Kräfte binden.

Drei Fronten

Wenn es den USA nicht gelingt, Israel zu einer langfristigen Waffenruhe zu drängen, wird es das Land schwerhaben, Konflikte an drei Fronten unter Kontrolle zu halten (in Asien, Europa und im Nahen Osten). Nicht einmal ein Land, das doppelt so viel für Verteidigung ausgibt wie seine Rivalen, kann zur gleichen Zeit an so vielen Fronten Krieg führen.

Die Hoffnung, dass sich Demokratien aus aller Welt gemeinsam mit den USA und Europa der autoritären Bedrohung entgegenstellen, scheint illusorisch. Die aufstrebenden Demokratien des Globalen Südens – Brasilien, Indien und Südafrika – denken gar nicht daran, den bedrängten Demokratien des Globalen Nordens zur Seite zu springen. Ohne erkennbare Scham schließen sie sich Regimen an, die ihre Bevölkerung unterdrücken, ganze Bevölkerungsgruppen in Lager stecken (die Uiguren in China) und offen morden (hier ist Nawalny nur das letzte Beispiel).

Autoritäre Achse

Es stimmt schon, das Einzige, was die autoritäre Achse derzeit zusammenhält, ist das, wogegen sie ankämpft: die Übermacht Amerikas. Ansonsten stehen ihre grundlegenden Interessen im Widerstreit. Die Chinesen beispielsweise sind sicher nicht begeistert, wenn die Huthi den Güterverkehr durch das Rote Meer blockieren. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt hat sowieso nicht allzu viel mit bettelarmen islamischen Widerstandskämpfern oder dem theokratischen Iran gemeinsam.

Außerdem profitieren Russland wie China weiterhin parasitisch von einer Weltwirtschaft, die von der US-amerikanischen Bündnis- und Abschreckungspolitik aufrechterhalten wird. Das ist auch der Grund, warum sie den Hegemon bisher noch nicht direkt herausgefordert haben. Wie Haie schmecken sie aber schon das Blut im Wasser. Sie haben US-Sanktionen nicht einfach überlebt, sondern ihren Wohlstand trotzdem gesteigert und ihre Abhängigkeit von sanktionierten Märkten durch neue Märkte in Lateinamerika, Asien und Indien ersetzt. Russland wie China haben festgestellt, dass die USA die Weltwirtschaft nicht mehr so vollständig kontrollieren wie früher.

Offene Kanäle

Diese neu entdeckte Schwäche der Vereinigten Staaten könnte sie dazu verleiten, das Risiko einer gemeinsamen militärischen Herausforderung einzugehen. Noch haben die US-amerikanische Diplomatie und Abschreckungspolitik die Achse erfolgreich gespalten. Der Direktor der CIA, William Burns, und der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan halten die Kanäle nach Peking offen. Die US-amerikanischen Gegenangriffe gegen den Iran haben die Theokraten anscheinend dazu gebracht, die Hisbollah und die Milizen im Irak zu zügeln, wenn auch nicht die Huthi, die anscheinend niemand kontrollieren kann.

Man muss kein strategisches Genie sein, um die Gelegenheit zu erkennen, die China und Russland möglicherweise ins Auge fassen. Würden sie sich entschließen, die US-amerikanische Ordnung offen herauszufordern – zum Beispiel durch eine koordinierte zeitgleiche Offensive gegen die Ukraine und Taiwan –, hätten die USA große Probleme, die Lücke schnell genug mit Waffen und Technologie zu schließen.

Schwerste Bedrohung seit 1945

Atomwaffen schrecken China und Russland nicht unbedingt davon ab, einen koordinierten Angriff auf Taiwan und den Rest der Ukraine zu riskieren. Der Preis für alle Parteien wäre zwar verheerend, aber Russland hat bereits gezeigt, was es bereit ist in der Ukraine zu opfern, und womöglich glauben sowohl China als auch Russland, dass jetzt der beste Moment ist, um die amerikanische Hegemonie zu stürzen. Falls sie ihre Kräfte bündeln, wäre dies für die wirtschaftliche und strategische Weltordnung die schwerste Bedrohung seit 1945.

Niemand hat auch nur die leiseste Ahnung, wie die Welt nach einer solchen Konfrontation aussehen würde. Wir können nicht einmal, wie bisher, sicher sein, dass die Vereinigten Staaten ein Kräftemessen mit zwei gefährlichen Mächten gleichzeitig gewinnen würden. Wenn ein Pessimist jemand ist, der sich das Schlimmste vorstellt, um es zu verhindern, sollten wir alle Pessimisten werden. Die USA müssen um jeden Preis verhindern, dass sich aus der autoritären Achse ein richtiges Bündnis entwickelt. (Michael Ignatieff, Copyright: Project Syndicate, 13.3.2024)