Ein Injektionspen mit Ozempic vor einer Medikamentenpackung
Die Abnehmspritze hilft nicht nur, Gewicht zu verlieren. Laufend gesammelte Daten zeigen immer mehr positive "Nebenwirkungen".
APA/AFP/JOEL SAGET

Es ist eine ungebrochene Erfolgsgeschichte: die Abnehmspritze, die unter den Markennamen Ozempic und Wegovy vertrieben wird. Beide Medikamente beinhalten den Wirkstoff Semaglutid, der die Insulinausschüttung beeinflusst, jedoch in unterschiedlich starker Dosierung und mit verschiedenen Zulassungen. Ozempic kommt bei Diabetes Mellitus Typ 2 in Kombination mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 28 zum Einsatz, Wegovy kann allen Menschen mit einem BMI über 30 verschrieben werden.

Der Erfolg des Wirkstoffs ist dabei beeindruckend, Anwenderinnen und Anwender berichten häufig, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben keine Heißhungerattacken haben und tatsächlich ein Sättigungsgefühl verspüren. Und auch, wenn das Medikament keinen langfristigen Abnehmerfolg bringt, wenn man den eigenen Lebensstil nicht ändert – DER STANDARD berichtete hier –, sind viele Betroffene sehr froh, dass es diese Unterstützung gibt.

Die positive Wirkung von Semaglutid und ähnlichen Wirkstoffen – mehrere Pharmaunternehmen arbeiten derzeit an vergleichbaren Mitteln – ist dabei offensichtlich nicht auf Diabetes und Abnehmen beschränkt. Man hat festgestellt, dass das Medikament auch das Risiko für Herzerkrankungen senkt, und es normalisiert das assoziative Lernen, wie DER STANDARD berichtete. Und die hoffnungsschürenden Berichte nehmen kein Ende.

Fettleberproblem bei HIV

Nun berichtete das Fachblatt Nature, das auch Menschen mit HIV von dieser Art von Medikamenten profitieren können. Erste Daten deuten darauf hin, dass sie zum entscheidenden Faktor werden könnten, um die Stoffwechselprobleme, die häufig von Anti-HIV-Medikamenten hervorgerufen werden, in den Griff zu bekommen. Der Hintergrund: Bestimmte antiretrovirale Medikamente zur Unterdrückung von HIV können Gewichtszunahmen befeuern, wie diese und diese Studie zeigen.

Das führt dazu, dass die Zahl der Menschen, die übergewichtig oder adipös sind, unter HIV-Infizierten zunimmt, und zwar mehr, als zu erwarten wäre. Daniel Lee, Arzt am San Diego Medical Center der University of California, der HIV-Infizierte mit metabolischen Komplikationen behandelt, berichtet, dass bereits 20 Prozent seiner Patienten Semaglutid oder einen vergleichbaren Wirkstoff bekommen: "Wir haben damit größtenteils sehr gute Erfahrungen gemacht." Studien, die sich speziell mit der Wirkung des Medikaments auf HIV-Infizierte auseinandersetzen, gibt es allerdings nur wenige.

Das Problem bei HIV: 30 bis 40 Prozent der Infizierten leiden an einer Ansammlung von Fett in der Leber. Das kann mit fortschreitender Erkrankung zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zu Leberversagen führen. "Wir wissen, dass Menschen mit HIV eine aggressivere Form der Fettlebererkrankung haben", sagt Jordan Lake, Ärztin für Infektionskrankheiten am Health Science Center der University of Texas in Houston, gegenüber Nature. Derzeit gibt es jedoch kein zugelassenes Medikament zur Behandlung.

Sie untersuchte deshalb gemeinsam mit einem Team die Wirkung einer wöchentlichen Semaglutid-Injektion über etwa sechs Monate bei Menschen mit HIV und Fettleber. Danach war bei 29 Prozent der Teilnehmenden die Lebererkrankung vollständig abgeklungen. "Das sind wirklich großartige und signifikante Reduktionen des Leberfetts, vor allem angesichts des kurzen Zeitraums", betont Lake. Einziger Wermutstropfen: Die Betroffenen verloren auch Muskelmasse. Das kann generell bei Menschen beobachtet werden, die das Medikament anwenden, ältere Menschen ab 60 mit HIV sind aber besonders stark betroffen.

Gegen Alkoholgelüste

Und in dem Wirkstoff steckt noch mehr Potenzial, nämlich für Menschen mit Alkoholabhängigkeit, wie der Economist berichtet. Betroffene haben nämlich die Erfahrung gemacht, dass sie mit dem Medikament weniger Verlangen nach Alkohol haben. Präklinische Studien an Ratten und Affen legen darüber hinaus nahe, dass Semaglutid solche Gelüste reduzieren könnte.

Solche anekdotischen Erzählungen und Tierversuche sind natürlich kein Nachweis für die Wirksamkeit, deshalb haben das National Institute of Health, eine Behörde des US-Gesundheitsministeriums, und die Oklahoma State University (OSU) nun eine randomisierte klinische Studie gestartet, die untersucht, ob Semaglutid bei Alkoholismus tatsächlich wirksam ist.

"Wir wissen nicht sicher, ob es funktioniert", sagt Studienleiter Kyle Simmons, Pharmakologe an der OSU, und warnt vor zu großem Enthusiasmus. Erste Ergebnisse der Studie seien in frühestens zwei Jahren zu erwarten. Es gibt bereits einige Medikamente, die man bei Alkoholsucht einsetzen kann, das Wissen über sie und ihre Verbreitung ist jedoch sehr gering. Die Popularität von Ozempic und Wegovy könnte deshalb, falls die Wirkung bestätigt wird, dazu beitragen, dass Ärztinnen und Patienten ihre Einstellung zu Suchtmedikation ändern. (kru, 13.3.2024)