Die neue Leitung des Max-Reinhardt-Seminars: Alexandra Althoff mit ihrem Stellvertreter Steffen Jäger
Die neue Leitung des Max-Reinhardt-Seminars: Alexandra Althoff mit ihrem Stellvertreter Steffen Jäger.
STANDARD/Helena Lea Manhartsberger

Die #MeToo-Bewegung hat zahlreiche Fälle von Machtmissbrauch in der Kunst- und Kulturbranche öffentlich gemacht. "Gegen das Schweigen", eine TV-Dokumentation des Senders NDR, zeigte erst kürzlich wieder das Ausmaß des Problems in der österreichischen Theater- und Filmszene. Schauplatz der berichteten Vorfälle waren neben Bühnen oder Filmsets auch Bildungsstätten. "Leiden, bluten, schwitzen" – so beschrieb ein Schauspieler in der Doku das Motto in seiner Ausbildungszeit.

In Österreich gibt es nur wenige Universitäten, an denen man Theater oder Film studieren kann. Die Auswahl ist limitiert, das Bewerberfeld groß, der Konkurrenzkampf hart. Die größte künstlerische Ausbildungsstätte des Landes ist die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (MDW), zu der auch das Max-Reinhardt-Seminar gehört. Dieses stand vergangenes Jahr in der Kritik, nachdem Studierende in einem offenen Brief schwere Vorwürfe gegen die Leiterin Maria Happel erhoben hatten. Happel trat noch im Juni 2023 zurück. DER STANDARD hat berichtet.

Mit 1. März hat Alexandra Althoff offiziell die Leitung des Reinhardt-Seminars übernommen. Althoff war bis 2022 stellvertretende künstlerische Direktorin des Burgtheaters und ist derzeit Vorsitzende der Nestroy-Jury. Als Stellvertreter unterstützt sie der Regisseur Steffen Jäger.

STANDARD: Ihre Vorgängerin, Maria Happel, hat in einem Interview im Mai 2023 gesagt: "Ich glaube, dass man einen Teil der Menschen in Ausbildungsstätten wie der unseren nicht immer gut behandeln kann. Wir arbeiten mit Grenzen, die auch überschritten werden." Wie stellen Sie sicher, dass die Grenzen der Studierenden nicht ignoriert werden?

Althoff: Es soll weder in der Ausbildung noch später in der Berufsausübung darum gehen, Grenzen zu überschreiten. Ein Nein muss für ein Nein stehen. Wir wollen, dass die Studierenden in ihrer Ausbildungszeit die Frage nach den eigenen Grenzen reflektieren und lernen, wie sie diese abstecken können. Grenzen sind nicht statisch und können sich natürlich verändern. Das sollen alle offen kommunizieren dürfen. Wenn das funktioniert, kann auch freier miteinander gearbeitet werden.

Jäger: In unserem Beruf spielen wir gerne mit Grenzen. Es ist aber wichtig, dass über diese Grenzen immer selbst entschieden werden kann. Für das Reinhardt-Seminar gilt: Entscheidungen, die von Studierenden insbesondere in Bezug auf körperliche Grenzen getroffen werden, dürfen nicht infrage gestellt werden.

Steffen Jäger
Steffen Jäger arbeitete von 2012 bis 2021 als Lehrbeauftragter am Seminar im Fach Grundlagen der Rollengestaltung und übernahm hier 2023 eine Professur für Ensemblearbeit und Rollengestaltung.
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Die Vorwürfe der Studierenden gegen Maria Happel reichten von mangelnder Präsenz am Institut über ungenügende Reaktionen auf #MeToo-Vorfälle bis hin zu einem rüden Umgangston. Eine von der zuständigen MDW-Rektorin Ulrike Sych initiierte Kommission zur Klärung der Causa entlastete Happel vergangenen November aus Sicht der Universität in weiten Teilen.

Zugleich habe man aber die Notwendigkeit von strukturellen Verbesserungen am Seminar festgestellt. Der 100-seitige Bericht wurde nicht veröffentlicht. "Aus rechtlichen Gründen", wie es in einer kurzen Aussendung hieß.

STANDARD: Haben Sie den Bericht gelesen? Welche Empfehlungen werden Sie für das Reinhardt-Seminar mitnehmen?

Althoff: Uns sind nur die Empfehlungen zugänglich gemacht worden. Den gesamten Bericht kennt das Rektorat und die Kommission. Es geht vor allem darum, die Kommunikation am Institut zu verbessern. Dafür haben wir bereits neue Austauschformate ins Leben gerufen. Die Studierenden sollen wissen: Wir sind täglich da. Wenn es ein dringendes Anliegen gibt, bekommt man noch am selben Tag einen Termin mit uns.

Jäger: Zum Auftakt jedes Semesters wird es ab sofort eine Podiumsdiskussion mit Fachleuten geben. Wir haben sie "Ganz schön mächtig" genannt. Die Studierenden sind dazu eingeladen, dort kritisch über Machtverhältnisse in der Kulturbranche zu diskutieren. Sie können aber auch Strukturen der Universität hinterfragen.

Althoff: Wir nehmen diese Themen sehr ernst – nicht nur am Anfang unseres Antritts. Deshalb ist es wichtig, Formate, die gut funktionieren, auch langfristig zu implementieren.

STANDARD: Warum wurden die Empfehlungen nicht publikgemacht? Das klingt so, als könnten sie durchaus Vorbildwirkung auf andere Bildungseinrichtungen haben. Außerdem: Universitäten werden überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert. Das betrifft auch die MDW. Finden Sie nicht, dass die Öffentlichkeit deshalb das Recht hätte, zu erfahren, was gegen Missstände unternommen wird?

Althoff: Das müssen Sie das Rektorat fragen. Wir verwenden die Empfehlungen jedenfalls intern.

DER STANDARD gab auch dem Rektorat der MDW die Gelegenheit, auf die Fragen zu reagieren. Daraufhin teilte das Rektorat schriftlich mit, dass man keine weiteren Stellungnahmen zum Inhalt des Berichts abgeben werde. "Unser Blick ist in die Zukunft gerichtet", hieß es abschließend.

STANDARD: Dann sprechen wir über konkrete Maßnahmen am Reinhardt-Seminar. In vielen Disziplinen spielt Körperarbeit eine große Rolle. Studierende haben in der Vergangenheit beklagt, dass Lehrkräfte vor Berührungen oft nicht um Erlaubnis fragen würden. Was wollen Sie dagegen tun?

Althoff: Die Universität hat dazu im vergangenen Sommer neue Richtlinien veröffentlicht. Dort ist ganz genau festgehalten, wie das Lehrpersonal in solchen Situationen vorzugehen hat.

Jäger: Außerdem bauen wir präventive Angebote aus. Im Moment liegt unser Fokus auf der Intimitätskoordination. Dazu wollen wir sowohl für Dozierende als auch für Studierende Fort- und Weiterbildungen anbieten. Zur präventiven Arbeit gehört aber auch, dass es verständliche Beschwerdeprozesse gibt. Die Studierenden sollen bestmöglich informiert werden, an welche Person und Stelle sie sich bei Problemen wenden können.

Alexandra Althoff
Alexandra Althoff war bis 2022 stellvertretende künstlerische Direktorin des Burgtheaters und ist derzeit Vorsitzende der Nestroy-Jury.
STANDARD/Helena Lea Manhartsberger

Laut einer aktuellen Umfrage der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH) zu sexualisierter Gewalt gegen Studierende an Österreichs Hochschulen werden nur 20 Prozent der Fälle an die zuständige Stelle gemeldet. Und wenn Fälle gemeldet werden, seien Betroffene oftmals unzufrieden mit dem Unterstützungsangebot, hieß es in dem Bericht weiter. Die ÖH forderte deshalb die Einrichtung von unabhängigen Anlaufstellen an allen Hochschulen.

STANDARD: Fühlt man sich diskriminiert oder sexuell belästigt, kann man sich innerhalb der MDW an den Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen wenden. Dort arbeiten Mitglieder der Universität ehrenamtlich. Ist eine unabhängige Stelle in Planung?

Jäger: Wir wissen nichts von einer solchen Stelle. Die MDW bietet seit einigen Jahren eine externe psychosoziale Beratungsstelle an, die im Bedarfsfall weitervermittelt.

STANDARD: Die Studierenden haben in ihrem offenen Brief auch kritisiert, dass Unterricht in "ungeschützten Räumen außerhalb der MDW" stattfinden würde. Wie wollen Sie das verhindern?

Althoff: Es hat dazu bereits eine Weisung der Rektorin gegeben, die ganz klar macht: Das darf nicht mehr stattfinden. Exkursionen und Unterricht außerhalb der Uni müssen von Lehrkräften am Institut per Formular beantragt werden. Damit sind einerseits alle teilnehmenden Personen versichert, andererseits kann transparent nachgewiesen werden, welche Veranstaltungen von uns genehmigt wurden.

STANDARD: Welche Kriterien muss jemand erfüllen, um einen Lehrauftrag an Ihrem Institut zu bekommen?

Althoff: Wenn es zum Beispiel um Rollenunterricht geht, versuchen wir Personen aus der Praxis zu finden, die künstlerisch spannend sind, aber auch Lehrerfahrung mitbringen.

Jäger: Bei der Suche schauen wir zudem darauf, dass wir Rücksprache mit dem Lehrkörper und den Studierenden halten. Was wäre perspektivisch für die Universität interessant? Wer wäre eine gute Ergänzung?

Max Reinhardt Büste
Max Reinhardt über die Aufgabe der Schauspielerei.
STANDARD/Helena Lea Manhartsberger

STANDARD: Die Leitung des Reinhardt-Seminars hat in den vergangenen Jahren eine hohe Fluktuation durchlebt. Was möchten Sie in Ihrer Periode schaffen?

Jäger: Das Theater hat lange davon profitiert, das Image zu haben, als diskriminierungsfreier Raum zu existieren. Aber das Theater ist kein Vakuum. Genauso wenig wie eine Universität. Wir wollen gesellschaftliche Themen reinlassen und verhandeln. Das sehen wir auch bei den künstlerischen Ergebnissen unserer Studierenden. In ihren Arbeiten beschäftigen sie sich mit den Folgen von künstlicher Intelligenz, der Pflegekrise oder den Auswirkungen des Klimawandels.

Althoff: Wir wollen den Studierenden nicht nur eine exzellente Ausbildung bieten, sondern ihnen auch ein kollektives Verantwortungsbewusstsein mitgeben. Damit ausgestattet, hoffen wir, dass sie die Kulturlandschaft positiv prägen werden. (Anna Wielander, 20.3.2024)