Österreichische Fahne
Jahrzehntelang hat Österreich über das Spionageunwesen im eigenen Land den Schutzmantel der Neutralität gebreitet.
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Auf dem verkehrsumtosten Teil des Wiener Karlsplatzes, quasi im Herzen von Wien, befindet sich der Eingang zur "Dritter Mann"-Führung. Hier geht's hinab in die verzweigten Kanäle der Stadt, in die Unterwelt, dorthin, wo der gleichnamige Film von Carol Reed aus dem Jahr 1949 seinem Höhepunkt zustrebt, inklusive Zithermusik von Anton Karas. Der Film zeigt das besetzte Nachkriegs-Wien als Tummelplatz für Schieber, Spione und andere zwielichtige Gestalten und ist nicht zuletzt dank Orson Welles' eindringlicher Darstellung des Harry Lime berühmt. Dem tüchtigen Wiener Tourismus ist nicht zu verdenken, dass er auch dieses dunkle Kapitel der Geschichte gewinnbringend vermarktet. Wenn's denn nur ein abgeschlossenes Kapitel wäre.

Spionagethriller in echt

Das Österreich des Jahres 2024 beschäftigt ein Spionagefall, der Harry Lime um nichts nachsteht: Egisto Ott, ein ehemaliger Verfassungsschützer, der in U-Haft sitzt, weil er mutmaßlich über die Jahre Geheimnisse an Russland verraten hat; Diensthandys von Spitzenbeamten, die gestohlen wurden und via Istanbul nach Russland gelangten; Jan Marsalek, der den größten Finanzskandal Deutschlands mitzuverantworten hat und nun für Russland spioniert; russische Agenten, die in Wien mit der Hilfe des Ex-Verfassungsschützers in die Wohnung des Investigativjournalisten Christo Grozev einbrachen.

Dass Justizministerin Alma Zadić all das nun strenger bestrafen will, ist dringend notwendig – wenn auch der plötzliche Eifer aller Parteien vor allem dem nahenden Wahlkampf geschuldet ist. Aber der Fall zeigt auch, dass Kreml-Kritiker in Österreich vor Putins Schergen nicht sicher sind. Grozev wurde unter anderem für eine Dokumentation über den verstorbenen Putin-Gegner Alexej Nawalny ausgezeichnet, er hat Österreich mittlerweile aus Sicherheitsgründen verlassen.

Regierung hat viel zu tun

Jahrzehntelang hat Österreich über das Spionageunwesen im eigenen Land den Schutzmantel der Neutralität gebreitet – und damit vor allem erreicht, dass es sich umso stärker verwurzelt. Spionage ist kalter Krieg auf Kosten von Menschen, mitunter auch Menschenleben – keine romantische Reminiszenz an den "Dritten Mann". Die Regierung betont zwar, "wir" seien nur militärisch neutral, keineswegs politisch. Da sei klar, auf welcher Seite "wir" stehen.

So klar ist das nicht. Man erinnere sich etwa an die liebedienenden Putin-Festspiele österreichischer Spitzenpolitiker und Interessenvertreter nach der Besetzung der Krim 2014. Man erinnere sich an die vertragliche Bindung an russisches Gas fast bis in alle Ewigkeit. Oder an das Engagement schwarzer und roter Spitzenpolitiker in österreichisch-russischen Freundeskreisen, ganz zu schweigen von besonderen FPÖ-Verbindungen zu Putins Russland.

Sind wir, im Angesicht des Ukrainekriegs, klüger geworden? Dann muss die Regierung handeln. Welche Behörden und Institutionen sind möglicherweise von russischer Seite unterwandert? Hier braucht es harte Aufklärung. Aber auch: Wie stellen wir uns energiewirtschaftlich so auf, dass nicht ein Hauch des Verdachts aufkommt, das offizielle Österreich schließe gnädig die Augen vor russischen Umtrieben? Im STANDARD-Interview sagte der Journalist Grozev vor kurzem, Österreich werde als Russlands trojanisches Pferd in Europa gesehen. Österreich muss glaubwürdig beweisen, dass es aufseiten europäischer Rechtsstaatlichkeit steht. (Petra Stuiber, 5.4.2024)