Vor einem Jahr zog die Multimillionärin Caitlin Pyle einen sauberen Schlussstrich unter ihr altes Leben. Die US-Amerikanerin beschloss, ihre geschiedene Ehe, ihr Unternehmen, ihr Haus und den damit verbundenen Ballast, zu dem auch Depressionen zählten, hinter sich zu lassen. Um vor ihrem früheren Ich zu fliehen, verkaufte die 36-Jährige ihre Firma, zog von einer 380 Quadratmeter großen Villa auf sechs Quadratmeter und fuhr los. So viel Platz bietet ihr zum Wohnmobil umgebauter Mercedes Sprinter für die One-Woman-Show mit Podcast, Buch und Lebensberatung auf Rädern. Heute ist Pyle eine der bekann­testen Protagonistinnen für instagramtaugliches Vanlife – schöner wohnen im Kastenwagen.

Früher habe sie mehrmals im Jahr Luxusurlaube machen müssen, um nur halbwegs zufrieden zu sein, gesteht sie auf ihrer Website und ergänzt verheißungsvoll über das einfache Dasein im Van: "Heute lebe ich von 20 bis 30 Dollar pro Nacht und führe das Leben, das ich immer führen wollte."

Dazu sollte man wissen, dass Pyle – in Anlehnung an eine alte Werbung fürs Bausparen – halt auch rechtzeitig darauf geschaut hat, dass sie es hat, wenn sie es braucht. Ihre täglichen Ausgaben müssen nicht auf alle Zeiten bei zweistelligen Dollarbeträgen bleiben, zumal schon der nagelneue Van auf einen Wegfahrpreis von 175.000 Euro kam. Der Verkauf der Firma brachte ihr umgerechnet 3,7 Millionen Euro ein, daneben vermietet sie ­quasi "on the go" vier Wohnimmobilien, darunter ihre Villa um 20.000 US-Dollar monatlich, und auch der neue Job als rollende Beraterin trägt zum laufenden Einkommen bei.

Reduziertes Leben

Immer öfter entscheiden sich aber auch Frauen zu einem reduzierten Leben im Wohnmobil, die nicht über den finanziellen Background von Pyle ver­fügen, wie ein Projekt der Fotografin Chiara Bellamoli aus dem Jahr 2023 zeigt. In der Arbeit mit dem Titel Freiheim porträtiert Bellamoli neun Frauen aus Deutschland, die sich bewusst gegen einen ­gesellschaftlich mehrheitsfähigen Lebensstil entschlossen haben. Manche dieser Frauen verbringen immer wieder Monate in ihren Wohnmobilen, andere wohnen seit Jahren ausschließlich in ihren Vans und sind fast durchgehend auf Achse. Eine von ihnen sagt über ihre Motivation und damit verbundene Ängste: "Man kann nicht frei sein und zugleich sicher. Mit der Freiheit kommt immer etwas Unsicherheit."

Auf materiellen Besitz im engen Lebensumfeld zu verzichten, wie es auch die US-Millionärin getan hat, war aber auch für die meisten dieser Frauen Beweggrund, in den Van zu ziehen. "Ich habe sehr wenig dabei und kann mich innen groß machen. Wenn du innen groß sein willst, kann nicht schon draußen alles um dich groß sein", erklärt eine von ihnen den Reduktionismus.

Bellamoli wollte auch zeigen, dass Vanlife selten so ist, wie auf Instagram vorgegaukelt. Dort sei das Leben im Wohnmobil nur durch eine rosa Brille zu sehen. In "Freiheim" sind die meisten Frauen berufstätig und stehen nachts oft mit dem Van an einem anderen Ort, können aber auch selten im klassischen Sinn verreisen. Sie müssen in der Nähe ihrer Arbeitsstätte oder von Auftraggebern bleiben und können mit ihrer Lebensweise lediglich die Zwänge einer festen Wohnung aufgeben.

So prekär wie in "Nomadland", dem oscarprämierten Roadmovie und Drama um eine Frau, die durch den Westen der USA von Job zu Job reist und das Leben als Nomadin erkundet, ist das von Bellamoli gezeichnete Bild aus Europa nicht. Aber sie merkt viel grundsätzlicher an: Warum die Frauen das täten, sage immer etwas über die Gesellschaft als Ganzes aus. Deren Entscheidungen, so zu leben, seien Ausdruck von Bedürfnissen und Wünschen, die ein größerer Teil der Bevölkerung zwar verspüre, aber nicht so radikal umsetze.

Ausgleich zu Familie und Beruf

Es gibt noch weitere Facetten, warum Frauen allein hinter dem Volant eines Vans sitzen – sie verstehen ihr Wohnmobil als "dritten Ort". Der Begriff umschreibt in der Soziologie einen Platz, der Ausgleich zu Familie und Beruf bieten soll, weil er weder das eine noch das andere ist. Zwei Frauen aus Süddeutschland, Iris Flegel und Helena Fenchel, scheinen ihre Solozeit im Wohnmobil jedenfalls als wertvolle Auszeit zu begreifen.

Frauenpower auf dem Campingplatz
Es sind die nicht genutzten Möglichkeiten, die besonderen Situationen aber auch die Schicksalsschläge des Lebens, die ein fahrbereites und liebgewonnenes Wohnmobil vor dem Haus vereinsamen lassen. Nur wenige Frauen finden dann den Mut, allein mit ihrem Gefährt
Iris und Uwes WoMo Welt

Flegel, die mit ihrem Partner private Reisen auf dem Youtube-Kanal Iris und Uwes WoMo Welt vorstellt, ist auch immer wieder allein als Frau mit dem Wohnmobil unterwegs. Als sie so eine Auszeit ohne ihren Partner einmal filmisch auf Youtube unter dem Titel "Ich kann das" vorstellte, meldeten sich sehr viele Frauen bei ihr, die sich das auch wünschen, aber nicht trauen. Also tat sich Iris Flegel im Sommer 2023 mit Helena Fenchel zusammen, die sie als ebenfalls alleinreisende Camperin kennengelernt hatte und organisierte mit ihr das Projekt "Frauen, die sich trauen". Dabei wurde auf einem Campingplatz am Rande des Schwarzwalds ein Workshop für Frauen organisiert, die sich mit der Erwartung angemeldet hatten, auch mal allein in Wohnmobil verreisen zu wollen, sich das aus verschiedenen Gründen aber nicht zutrauen.

Neues erzählen

Fenchel, die über 30 Jahre lang gemeinsam mit ihrem Mann als Unternehmerin tätig war, sagt über diese Zeit, dass sie sich beide immer wieder ein wenig Abstand gewünscht haben. "Nicht weil die Beziehung schlecht funktioniert, sondern einfach, um dem anderen auch wieder einmal etwas Neues erzählen zu können."

Fenchel brach zum ersten Mal vor 15 Jahren allein im Wohnmobil vom Schwarzwald zum Gardasee auf. Sie erinnert sich noch gut an die Unsicherheiten, die damit verbunden waren, und daran, was es bedeutet, ohne Partner oder Freundinnen unterwegs zu sein: "Man muss vor allem wieder lernen, sich selbst aushalten zu können." Mittlerweile arbeitet sie als psychologische Beraterin und konnte mit den Frauen beim Workshop herausfinden, wovor sie sich als potenzielle Alleinreisende am meisten fürchten. Tatsächlich geht es meist um technische Belange rund ums Fahrzeug, aber auch die Angst, die Nacht alleine in Wohnmobil zu verbringen.

Iris Flegel, die für eine Krankenkassa arbeitet, und beruflich viel unterwegs ist, sagt trotz glücklicher Beziehung auch über sich, immer wieder kleine Auszeiten zu benötigen. "In dieser Zeit mache ich, was ich gerne tue, ohne Kompromisse eingehen zu müssen." Da sie immer wieder solo unterwegs ist, kann sie anderen Frauen auf dem Weg dorthin von den vielen positiven Erfahrungen berichten, die mit dieser Form des Reisens verbunden sind. Die Partner von Flegel und Fenchel sind übrigens mächtig stolz, dass ihre Frauen immer wieder alleine in den Camper steigen. Weil es 2023 mehr Anmeldungen als Plätze gab, wird der Workshop "Frauen, die sich trauen" im Juni 2024 wiederholt.

Frau im Campervan Abend mit Licht lesend.
16,5 Millionen Einträge auf Instagram tragen den Hashtag #Vanlife. Überraschend viele davon stammen schon von solo reisenden Frauen.
iStock/Getty Images

Dass das idealisierte Konzept vom Wohnmobil als dritter Ort nicht immer hält, was es verspricht, ist offensichtlich. Denn die meisten Einträge von alleinreisenden Frauen unter dem Hashtag Vanlife werden wohl von Bloggerinnen verfasst. Sie können nicht einmal mehr mit einem Wohnmobil dem immer schnelleren Verschmelzen von Arbeit und Freizeit davonfahren. (RONDO, Sascha Aumüller, 12.4.2024)