Die Wiederentdeckung Maria Lazars für die Theaterspielpläne ist sein Verdienst: Albert C. Eibl in seinem Verlag Das Vergessene Buch (DVB).
Die Wiederentdeckung Maria Lazars für die Theaterspielpläne ist sein Verdienst: Albert C. Eibl in seinem Verlag Das vergessene Buch (DVB).
Nini Tschavoll

Manche haben es bereits getan, die meisten folgen in den nächsten Wochen: Theater präsentieren derzeit ihre Spielpläne für die kommende Saison. Neben den Fragen nach dominierenden Themen – vom Krieg bis zum Klimawandel – steht die Neugierde auf die Auswahl entsprechend tragfähiger Werke im Raum. Neben etablierten Klassikern und neu geschriebenen Stücken zählen dazu auch Werke vergessener Autorinnen und Autoren.

Dahingehend legte das Werk der im schwedischen Exil gestorbenen Wiener Autorin Maria Lazar (1895–1948) in den letzten Jahren einen veritablen Siegeszug hin. Und das dank der Wiederentdeckungsbestrebungen des Wiener Verlegers Albert C. Eibl und dessen Verlags DVB (Das vergessene Buch). Die wegen ihrer jüdischen Herkunft abgedrängte und schließlich vergessene Schriftstellerin boomt derzeit regelrecht. 2019 tat das Burgtheater mit dem Einakter Der Henker den allerersten Vorstoß und zog mit Die Eingeborenen von Maria Blut erfolgreich nach. Es folgte Der Nebel von Dybern am Hamakom sowie am Schauspielhaus Graz. Am Staatstheater Karlsruhe fiel Dybern einzig der Pandemie zum Opfer.

Kennedy-Tagebuch

Auch in der kommenden Spielzeit wird mit neuen Lazar-Stücken nachgelegt. Die Landestheater in Tirol und Graz bringen jeweils das noch unbekannte Stück Die Hölle auf Erden. Das Schauspielhaus Düsseldorf plant die Uraufführung von Der blinde Passagier. Dazu erscheint Ende Mai der entsprechende Lazar-Theaterband Die unveröffentlichten Stücke im DVB-Verlag – mit einem Nachwort von FAZ-Kritiker Simon Strauß. Der Band mit insgesamt vier Dramen wird am 17. und 18. August bei den Salzburger Festspielen im Rahmen des szenischen Lesemarathons Vergessene Stücke vorgestellt.

Maria Lazar ist also durchgesetzt. Wie aber funktioniert das, und inwiefern spielen Theater dabei eine Rolle? "Ohne den Verlag wäre man am Theater nicht auf Lazar gekommen", ist sich Eibl sicher. Den Tipp mit den Eingeborenen von Maria Blut hatte das Burgtheater von ihm. "Es gab ja nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag. Kaum jemand war so vergessen wie sie", sagt Eibl, der seinen Verlag vor zehn Jahren in Wien gegründet hat. Übrigens: Auch Frank Castorf verwendete für seine Heldenplatz-Inszenierung umfänglich Text aus dem John-F.-Kennedy-Tagebuch, das ebenfalls im DVB-Verlag erschienen war.

Am Wiederentdeckungssektor haben es Eibl in der Folge andere Verlage gleichgetan, so gründete beispielsweise auch Rowohlt eine eigene Reihe dafür. Andere Verlage wie Milena oder die Edition Atelier, die ebenfalls literaturarchäologische Arbeit leisten, gab es bereits. Allerdings vorwiegend für Prosawerke. Auch bei Lazar war es notwendig, sie zuerst als Romancière vorzustellen, sagt Eibl. Romane sind vermarktungstechnisch nach wie vor die meistanerkannte Gattung im belletristischen Bereich. Erst danach folgen Drama, Lyrik – und Essays.

Problem: Veraltetes Deutsch

Ein Autor, eine Autorin muss sich also erst beim Lesepublikum durchgesetzt haben, bevor es an die Eroberung des Theaterpublikums geht. Eibl ist an beidem dran. Im Juli erscheint ein weiterer Erzählband Maria Lazars. Der gedoppelte innere Monolog Zwei Soldaten, eines der letzten Werke der Autorin, ist kürzlich bereits erschienen und wird seinen Weg auf die Bühne finden. Seit Prosaadaptionen auf Bühnen üblich geworden sind, spielen Theaterbühnen bei Neu- und Wiederentdeckungen also eine entscheidende Rolle.

Ein echter Coup gelang dem Schauspielhaus Graz im letzten Herbst mit der Uraufführung eines 245 Jahre alten bürgerlichen Trauerspiels: Christiane Karoline Schlegels Femizid-Stück Von einem Frauenzimmer. Doch es sind nicht nur Frauen, die der Vergessenheit entrissen gehören. "Auf Anhieb fallen mir zehn Werke ein, bei denen sich eine Wiederentdeckung sicherlich lohnen würde", sagt Eibl. Als Nächstes bemüht sich der unerschrockene Verleger um Friedrich Strindberg, den Sohn von Franz Wedekind und Frida Uhl, der mit Unter Juden in Berlin 1945 (!) den ersten Holocaust-Roman überhaupt veröffentlicht hat (auf Schwedisch). "Das deutsche Original-Typoskript müssen wir aber erst finden."

Apropos Christiane Schlegel: Bei der Wiederentdeckung von Werken aus weiter zurückliegenden Epochen, in diesem Fall des 18. Jahrhunderts, wären Theater ganz besonders gefragt. Denn für ein Lesepublikum sind diese Texte in veraltetem Deutsch kaum mehr attraktiv. "Das heutige Lesepublikum ist dafür schlichtweg zu ungebildet. Eine Verneudeutschung wäre editorisch nicht zu verantworten", so Eibl. Auf Bühnen aber, wo die Regie den Text freimütig zurechtstutzt, hätten solche Werke eine gute Chance. (Margarete Affenzeller, 10.4.2024)