Farbberatung
Wintertyp oder doch Herbsttyp? Bunte Tücher sollen verraten, welche Farben einem stehen.
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Bin ich Typ Frühjahr, Sommer, Herbst oder Winter? Welche Farben passen zu meinem Hauttyp? Diese Fragen werden auf Tiktok gerade in Dauerrotation gestellt. Die Videoplattform ist voll mit Farbfächern, Tüchern und der Frage: "Was steht mir?"

Die Suche nach Orientierung ist einerseits verständlich: Heute monochromes Beige (Quiet Luxury!), morgen Leopardenmuster (Mob-Wives!), in den Social Media blickt kaum jemand mehr durch. Die Trends geben sich im Wochentakt die Klinke in die Hand, Überforderung macht sich breit.

Andererseits ist die Begeisterung für die Farbfächer erstaunlich: Galt die in den Achtzigerjahren populäre Farb- und Typberatung zuletzt nicht als angestaubtes Konzept? War die Suche nach dem "schmeichelhaften" Farbton für Augen, Brauen, Wangen nicht schon immer eine spießige Angelegenheit? Was wäre gewesen, wenn Andy Warhol oder Patti Smith zur Farbberatung gegangen wären?

Tuch für Tuch

Auf Tiktok aber ist die Begeisterung groß. Besonders erfolgreich ist die texanische Stylistin Tatum Schwerin. Wie viele andere beruft sie sich auf die US-Amerikanerin Suzanne Caygill, Jahrgang 1911. Sie entwickelte in den Vierzigerjahren das System der vier Jahreszeiten-Farbtypen (mit etlichen Untergruppen): Frühlings- und Herbsttyp gehören demnach zu den warmen, Sommer- und Wintertyp zu den kühlen Farbtypen. 1980 veröffentlichte sie den Wälzer "Color: The Essence of You". Damals ein Bestseller unter den Ratgebern, kommt das Buch heute in den Kommentarspalten des Händlers Amazon mittelmäßig weg: "wenig Inhalt, nach heutigen Maßstäben ziemlich sexistisch", lautet eine Kritik.

Die Texanerin Tatum Schwerin jedenfalls nennt sich die "Queen der Farbanalyse" und hängt auf Social Media ihren ungeschminkten Klientinnen Farbtücher um – ganz so, wie man das von früher kennt. Mit dem Konzept lässt sich derzeit gutes Geld verdienen. Eine 90-minütige Beratung kostet bei Schwerin 479 Dollar, etwa 60 Sitzungen hält sie im Monat ab, derzeit komme sie der Nachfrage kaum hinterher, erklärte die Texanerin unlängst der "New York Times".

Besonders angesagt sind Farbberatungen in Korea – und das seit Jahren. K-Pop-Star Jisoo, Sängerin der Band Blackpink, hat Anfang 2023 ihren Farbtyp analysieren lassen. Die Reaktionen unter ihrem Youtube-Video? Begeistert. "Sowas möchte ich auch mal ... gibt es sowas in Deutschland?", "Ich glaube, das macht voll viel aus", nur die Beratung sei "voll teuer". Viele junge Menschen entdecken die Farbanalyse offenbar erst auf Social Media: Was in den Achtzigerjahren Bücher wie "Color: The Essence of You" waren, übernehmen nun Tiktok-Videos.

Je mehr Beratungsvideos man sich ansieht, desto klarer wird: Hinter der neuen Begeisterung für die Farbanalyse dürfte auch die Sehnsucht stehen, der Trenddiktatur Individualität entgegenzusetzen. Wie Filter entfalten die Farbfächer auf Social Media eine eigene Faszination. Und werden spielerisch an Prominenten wie Rihanna ausprobiert – in den Achtzigerjahren hatte sich die Farbanalyse meist an der Haut weißer Menschen abgearbeitet.

Suche nach Orientierung

Nachfrage bei Styling-Coach Sonja Wöhrenschimmel-Wahl: Wie erklärt sie sich die neu entfachte Begeisterung für die Farbanalyse? Sie glaubt, die Jungen wünschten sich Orientierung – und würden sich nicht die ganze Zeit mit ihrem Aussehen und ihrer Kleidung beschäftigen wollen. "Modetrends sind kein Gradmesser, ob einem etwas steht oder nicht", sagt sie. "Marken wollen ihre Kleidung verkaufen, ganz egal, ob wir sie brauchen oder nicht."

Wöhrenschimmel-Wahl weiß, wovon sie spricht: "Den Farbtyp erkenne ich mittlerweile oft in Sekunden und Minuten." Sie arbeitet seit einigen Jahren als Farb- und Stilberaterin. Die klassische Beratung, wie man sie heute noch in Österreich erlernen kann, sei noch sehr von den Prinzipien einer Suzanne Caygill bestimmt, sagt sie. Mittlerweile gebe es ganze Generationen an Stilberaterinnen, die durch diese Schule gegangen seien.

Was sich seit den Achtzigerjahren verändert hat? Während früher mit vier Farbtypen gearbeitet wurde, seien diese heute auf mindestens acht bis zwölf erweitert worden. "Die Welt und Gesellschaft haben sich weitergedreht. Und nicht immer und überall braucht es den dunklen Anzug und die weiße Bluse mit Halstuch." Styling-Coach Wöhrenschimmel-Wahl will damit sagen: Wenn man an einer professionellen Beratung interessiert ist, sei es ratsam, sich den Stil der jeweiligen Beraterin anzusehen und sich zu fragen: Kann ich damit etwas anfangen? Ihre Botschaft: Es geht nicht darum, alles richtig zu machen, sondern darum, die eigene Einzigartigkeit zu stärken.

Das wird die Generation Z gerne hören. Ob die Jungen jedoch jenseits von Social Media Farbberatungen in Anspruch nehmen, steht aber auf einem ganz anderen Blatt. (Anne Feldkamp, 16.4.2024)