Am kommenden Sonntag ist Innsbrucks Bevölkerung aufgerufen, einen neuen Gemeinderat zu wählen, und auch über das Bürgermeisteramt wird neu entschieden. Insgesamt 13 Listen und Bürgermeisterkandidaten stellen sich diesen Wahlen. Für Außenstehende ist das Dickicht an Parteien, Abspaltungen derselben und teils skurrilen Kleinfraktionen kaum zu durchschauen. Das politische Leben in der Tiroler Landeshauptstadt war schon in der vergangenen Legislaturperiode von Streit und Stillstand geprägt, verursacht durch Koalitionsbruch, parteiinterne Querelen sowie Dauerzwist zwischen den Fraktionen und Lagern. Die Umfragen verheißen keine Besserung. Im Gegenteil, es droht eine Verschärfung der Pattsituation zwischen Bürgermeister und Gemeinderat.

Mann auf E-Mountainbike
Das Wahlplakat der ÖVP in Innsbruck.
Steffen Kanduth

Für die Bevölkerung heißt das, es gibt kaum konstruktive politische Arbeit. Und ein wesentlicher Teil der Bevölkerung sind die aktiven Mountainbikerinnen und Mountainbiker in der Sportstadt Innsbruck. Das ist nun erstmals wissenschaftlich belegt. Denn im Auftrag der Stadt hat die Universität Innsbruck von 2020 bis 2023 den sogenannten Sportentwicklungsplan (SEP) erarbeitet. Dazu wurde der Großraum Innsbruck unter die Lupe genommen, in dem rund 300.000 Menschen leben. Ziel des SEP ist es, "die Sportstadt Innsbruck zukunftsfit zu gestalten". Aus Radlersicht ist dieses Projekt sehr spannend, denn die Erhebungen haben ergeben, dass 32 Prozent der Bevölkerung über 16 Jahren in diesem Großraum Innsbruck aktiv und regelmäßig Mountainbike fahren. Das sind 99.000 Menschen.

Anti-Bike-City Innsbruck

Betrachtet man den bisherigen Umgang der Innsbrucker Politik mit den Mountainbikern, so könnte man auch sagen, es sind 99.000 Probleme. Denn das Thema sorgt seit Jahrzehnten regelmäßig für ebenso aufgeregte wie hochnotpeinliche Streitereien. Jüngster Negativ-Höhepunkt war die Posse um den Hofwaldtrail – eine Mountainbikestrecke, die nach jahrelangem Bemühen der Szene von der Politik abgesegnet und in Auftrag gegeben wurde. Nur um sie eine Woche nach der Eröffnung wieder zu schließen, weil ein rechter Krawallpolitiker seine Chance witterte, billig Stimmen zu fangen. ÖVP und FPÖ sprangen willig auf den Empörungszug auf. Das scheinheilige Argument: Der Trail kreuze einen wichtigen Pilgerweg (sic!) und störe beziehungsweise gefährde dadurch die Gläubigen.

In Wahrheit mussten die Biker ohnehin absteigen und ihr Rad über den angeblichen Pilgerweg schieben. Denn diese Kreuzung war quasi "verkehrsberuhigt" angelegt worden, wie es im Trailbau Standard ist, wenn eine Bikestrecke einen von Wanderern genutzten Weg kreuzt. Wären die besagten Politiker bisweilen selbst im Wald unterwegs, hätten sie gewusst, dass dieses Problem ein erfundenes war.

Die künstliche Aufregung war jedenfalls riesig und führte gar zu einer Sondersitzung des Gemeinderats während der Sommerpause. Unter viel Gezeter wurde dort mehrheitlich entschieden, den gerade fertiggebauten Trail zu sperren und für teures Geld wieder "rückzubauen". Zehntausende Euro für billiges Parteigeplänkel in den Wind geschossen.

Vor wenigen Wochen wurde nun die neue Streckenführung des Hofwaldtrails präsentiert, an der bereits wieder gebaut wird. Funfact: Der Trail kreuzt wieder den angeblichen Pilgerweg. Nur scheint es diesmal sogar der Innsbrucker Politik zu peinlich zu sein, dieses Fass erneut aufzumachen. So circa funktionierte Demokratie in den vergangenen sechs Jahren in Innsbruck am Beispiel Mountainbiken. Euphemistisch ausgedrückt, ein Trauerspiel.

Legal, illegal? Völlig egal!

Wie prekär die Lage für die 99.000 aktiven Mountainbikerinnen und Mountainbiker im Großraum Innsbruck ist, zeigt ein Blick auf die Fakten. Es stehen nicht einmal zehn Kilometer legaler Trails zur Verfügung. Zugleich, so hat eine Untersuchung des Forstamts ergeben, werden rund 120 Kilometer Waldwege in diesem Gebiet inoffiziell genutzt. Sprich, das Netzwerk an nicht freigegeben Trails ist riesig, ebenso das damit verbundene Konfliktpotenzial.

Die Interessenvertretung der Innsbrucker Mountainbikerinnen und Mountainbiker, MTB Innsbruck, hat den tobenden Wahlkampf zum Anlass genommen, den 13 wahlwerbenden Fraktionen sechs Fragen zum Thema Mountainbiken zu schicken, um auszuloten, ob nach den Wahlen mit einer Verbesserung der Situation zu rechnen ist.

Als Interessenvertretung erachte man es für wichtig, mit der Politik vor den Gemeinderatswahlen in Kontakt zu treten, erklärt Patrick Meraner von MTB Innsbruck die Intention hinter dem Fragenkatalog. Umgekehrt erachtete es keine der 13 Fraktionen für lohnenswert, die Mountainbikeszene als potenzielle Wählergruppe anzusprechen. Immerhin zehn der kontaktierten Fraktionen antworteten auf die Fragen von MTB Innsbruck. Den Wortlaut der Antworten, gereiht nach Zeitpunkt der Rückmeldung, kann man hier nachlesen.

Sechs Fragen und zehn Reaktionen

Drei Fraktionen ignorierten die Anfrage: die SPÖ-Abspaltung Du-I (Die Unabhängigen – Innsbruck), die parteiunabhängige Liste Einig (Einig Innsbruck – Liste Helmut Reichholf) und die Liste Gerecht (Liste Gerald Depaoli – Gerechtes Innsbruck – Die Unbestechlichen). Letztere war für die sündteure Hofwaldtrail-Posse verantwortlich, die zehntausende Euro an Steuergeldern kostete. Zehn Parteien und Gruppierungen reagierten hingegen. Und dabei bewahrheitete sich in vielen Fällen das berühmte Zitat des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Michael Häupl (SPÖ): "Wahlkampf ist Zeit fokussierter Unintelligenz."

Liest man sich die Antworten durch, so wähnt man sich im Mountainbike-Paradies. So gut wie alle Parteien beteuern, dass man sich sehr für die Belange der Szene einsetze. Allein die KPÖ verzichtete auf große Versprechungen und Selbstbeweihräucherung. Unbezahlbar hohe Mieten verunmöglichen das Hobby Mountainbiken von Grund auf, lassen die Kommunisten wissen. Darum konzentriere man sich in erster Linie auf dieses Problem.

Am anderen Ende des politischen Spektrums zeigt auch die FPÖ wenig Interesse am Mountainbiken. Überhaupt scheinen die Kameraden mit dem neumodernen Wort keine Freude zu haben, sie sprechen lieber konsequent vom "Bergradfahren". Immerhin gibt man zu, "sicherlich kein MTB-Lobbyist" zu sein. Wer einen Blick ins blaue Innsbrucker Wahlprogramm wirft, dem wird schnell klar, welchen Stellenwert Radfahren im freiheitlichen Kosmos einnimmt. Dort wird von einem Radfahrverbot im Winter geträumt und vom Rückbau der Stadtrad-Verleihstationen zugunsten von Parkflächen für Autos. Stärken wolle man hingegen "die Jägerschaft".

Den Anschein von Interesse wecken

Drei Parteien scheinen sich zumindest ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben: Grüne, SPÖ und JA. Zur Erklärung: JA ist eine von vielen ÖVP-Abspaltungen in Innsbruck. Dahinter steht Johannes Anzengruber, der bis zum Herbst 2023 für die ÖVP als Vizebürgermeister unter anderem fürs Thema Mountainbiken zuständig war. Er wurde von der Mutterpartei geschasst und tritt nun mit eigener Liste an. Wer die Statements dieser drei Parteien liest, erkennt, dass man sich dort der Probleme zwar bewusst zu sein scheint. Aber bei genauerer Betrachtung finden sich zahlreiche geschönte Argumente. Da ist von einer "Trail-Million" die Rede, die zum Großteil in touristische Großevents floss, aber nicht in die Unterstützung der lokalen Szene. Vom Einsatz für neue Strecken, die seit Jahrzehnten versprochen, aber nie realisiert werden. Allen voran am Paschberg südlich von Innsbruck.

Vielsagend nichtssagend sind die Statements der ÖVP. Die tritt unter dem Namen "Das neue Innsbruck" an und hat diesmal statt Schwarz die Farbe Orange. Damit hat es sich aber auch schon mit den Neuerungen. In Sachen Mountainbiken erschöpfen sich die Antworten der Camouflage-ÖVP auf Floskeln und Stehsätze. Pikantes Detail zum Zustand der ÖVP: Während man den unliebsamen Anzengruber für den aus Wien zurückbeorderten Florian Tursky über die politische Klinge springen ließ, schmückt man sich in den Antworten an die Mountainbikeszene ungeniert mit dessen Federn aus der vergangenen Legislaturperiode.

Ambitioniert bis skurril

Unterhaltungswert haben einige Antworten der kleinen Listen. So scheint Liste-Tun-Spitzenkandidat Chris Veber selbst begeisterter Trailfahrer zu sein. Der offenkundige Idealist will "durch Reden die Leut‘ zusammenbringen". MTB Innsbruck dürfte dies nach Jahren an im Sand verlaufenen Gesprächen ein müdes Lächeln kosten. Mesut Onay von Ali stellt einen Trail am Innsbrucker Hausberg Patscherkofel in Aussicht. Dass dieses Vorhaben in einen offenen Krieg mit der dortigen Agrargemeinschaft münden würde, weiß er vermutlich nicht.

Die Neos verweisen mehrfach auf ihren Listenzweiten Lukas Schobesberger, der selbst kein Unbekannter in der Innsbrucker Downhillszene ist und daher die Situation gut kennt. Mit Versprechungen wie einem Bikepark auf der Nordkette outen sie sich aber ebenfalls als realitätsfern. Dort wurde zuletzt der legendäre Nordkette-Singletrail geschlossen und rückgebaut. Für die Liste Fritz scheint Mountainbiken in erster Linie eine Frage des Biketransports in öffentlichen Verkehrsmitteln zu sein. Auch ein Zugang.

Zweckoptimismus in der Szene

MTB Innsbruck hat alle Antworten im Wortlaut veröffentlicht. Kommentieren will man diese nicht. Nur so viel, sagt Sprecher Patrick Meraner diplomatisch: "Wir freuen uns auf den in Aussicht gestellten lösungsorientierten Austausch." Man sei hinsichtlich des nahenden Wahlsonntags "gespannt, was am Ende dabei rauskommt". Wobei sich MTB Innsbruck angesichts der Antworten mancher Parteien, die sich nur in Wahlkampfzeiten mit dem Thema Mountainbiken zu befassen scheinen, auch selbstkritisch gibt: "Wir haben in den vergangenen Jahren vielleicht nicht genug dafür getan, dass sie besser informiert sind."

Auch der MTB- und Trailverein Innsbruck, der rund 170 aktive Mitglieder im wahlberechtigten Alter zählt, hat angesichts der Umfrage wenig Hoffnung, dass nach der Wahl konkrete Projekte angegangen werden. Es sei zumindest "spannend zu sehen, wie sehr die einzelnen Politiker in der Materie sind" – oder eben nicht. Einige Antworten großer Fraktionen würden zumindest Hoffnung aufkeimen lassen, dass man das Thema ernst nehme. Einige der kleineren Fraktionen würden engagiert wirken, allerdings sei die Chance, dass diese tatsächlich etwas von dem umsetzen können, was sie versprechen, gering. Auch beim MTB- und Trailverein wurde im Wahlkampf keine einzige Fraktion vorstellig, was man etwas enttäuschend fand.

Die Wetterprognose für den Wahlsonntag ist blendend: 26 Grad und strahlender Sonnenschein. An solchen Sonntagen im Frühling werden am Arzler-Alm-Trail, der legalen Hausstrecke der Innsbrucker Mountainbikeszene, mehr als 1.000 Fahrten gezählt. Bleibt zu hoffen, dass trotzdem viele Bikerinnen und Biker einen Abstecher ins Wahllokal unternehmen, bevor es auf die Trails geht. Zumindest bleibt man dort von der überbordenden Wahlkampfpropaganda verschont. (Steffen Kanduth, 11.4.2024)