Die einen lassen ihre Uhren im Safe, andere tragen sie gut sichtbar. Die Watches & Wonders ist wie ein großes Klassentreffen, auf der jeder zeigt, was er hat. Auch der Klassenclown.
Die einen lassen ihre Uhren im Safe, andere tragen sie gut sichtbar. Die Watches & Wonders ist wie ein großes Klassentreffen, auf der jeder zeigt, was er hat. Auch der Klassenclown.
REUTERS/Pierre Albouy

"Wo ist denn dein Mann?“, erkundigt sich ein gemeinsamer Freund bei meiner Frau. "In Genf", sagt sie, "auf der Watches & Wonders." – "Watches & Wonders? Das klingt irgendwie nach Harry Potter", scherzt er. "Nein, das ist eine wichtige Uhrenmesse", klärt sie ihn auf. Ich muss grinsen, als sie mir von diesem Gespräch erzählt: Weil man manchmal vergisst, dass es Menschen geben soll, in deren Leben Zeitmesser, zumal mechanische, nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Wenn überhaupt.

Das brasilianische Topmodel Gisele Bündchen hat der Uhrenmesse auch einen Besuch abgestattet. Sie ist eine
Das brasilianische Topmodel Gisele Bündchen hat der Uhrenmesse auch einen Besuch abgestattet. Sie ist eine "Freundin" der Marke IWC Schaffhausen und krempelte für die Neuauflage der Portugieser die Ärmel hoch.
AFP/FABRICE COFFRINI

Und weil die Assoziation mit dem berühmtesten Zauberlehrling der Welt gar nicht so verkehrt ist. Wie ein Harry-Potter-Fan einer einschlägigen Convention fiebere ich der großen Uhrensause, die heuer Mitte April über die Bühne ging, jedes Jahr aufs Neue entgegen. Sie ist für Aficionados ein paar Tage der Mittelpunkt des Universums. Eine exklusive Parallelwelt, die man in den ersten Tagen nur auf Einladung betreten darf, voller tickender Kleinode, vielfach ohne praktischen Nutzen, aber eben: leider geil.

Wieder gewachsen

Theoretisch ist es meine zehnte, konkret meine achte Messe. Während der Pandemie fand sie zweimal hintereinander nur virtuell statt. Als Veteran darf ich also schon in den Chor der Nostalgiker einstimmen: Früher war alles ganz anders, aber nicht zwangsläufig besser. Über die Jahre wuchs die Veranstaltung nämlich vom eher beschaulichen Salon International de la Haute Horlogerie zur aktuellen Größe heran. Nicht mehr nur die Uhrenhäuser des Richemont-Konzerns wie Cartier, Jaeger-LeCoultre oder A. Lange & Söhne, sondern auch einige Brands des Luxusgütergiganten LVMH – Hublot, Zenith, TAG Heuer – sind vertreten.

Die temporäre Unterkunft von Rolex gehörte auf der Messe wohl zu den meistfotografierten Ständen. Die Nachbarschaft ist jedenfalls gut gewählt. Gleich gegenüber residieren Patek Philippe und Chopard. Die Marken lassen einen Hauch der untergegangenen Baselworld, einst die größte Uhrenmesse der Welt, durch die Hallen der Genfer Palexpo wehen.
Die temporäre Unterkunft von Rolex gehörte auf der Messe wohl zu den meistfotografierten Ständen. Die Nachbarschaft ist jedenfalls gut gewählt. Gleich gegenüber residieren Patek Philippe und Chopard. Die Marken lassen einen Hauch der untergegangenen Baselworld, einst die größte Uhrenmesse der Welt, durch die Hallen der Genfer Palexpo wehen.
IMAGO/Jose Rojas

Dazu gesellten sich nach der Implosion der einst größten Uhrenmesse der Welt, der Baselworld, der ich persönlich nicht nachtrauere, unabhängige Top-Player wie Patek Philippe, Chopard und Rolex. 54 Marken waren es heuer insgesamt. Neu dabei unter anderen Nomos Glashütte, Norqain und Bremont. So viele wie noch nie.

Die große Abwesende

Zu behaupten, die Watches & Wonders würde die gesamte Branche repräsentieren, ist jedoch eindeutig zu hoch gegriffen. Zum einen wollen die Veranstalter das gar nicht, um das exklusive Konzept nicht zu verwässern, zum anderen wollen manche auch gar nicht mitmachen. Viele machen aus der Not eine Tugend und mieten sich ganze Stockwerke in den Luxushotels der Stadt, um dort ihre Neuheiten zu präsentieren, Bulgari zum Beispiel.

Den Freak inszenierte Ulysse Nardin mit einer überlebensgroßen Skulptur. Die unabhängige Marke zeigt seit Jahrzehnten was im Uhrenbau technisch alles möglich ist, wenn man sich keine Denkverbote auferlegt.
Den Freak inszenierte Ulysse Nardin mit einer überlebensgroßen Skulptur. Die unabhängige Marke zeigt seit Jahrzehnten was im Uhrenbau technisch alles möglich ist, wenn man sich keine Denkverbote auferlegt.
REUTERS/Pierre Albouy

Die große Abwesende war wieder die Swatch Group. Omega, Breguet, Glashütte Original etc. suchte man in den Messehallen vergebens. So wie es aussieht, wird sich daran auch in nächster Zeit nichts ändern. Denn Nick Hayek, Chef des Uhrenkonzerns, ließ sich nicht einmal von Jean-Frédéric Dufour zur Teilnahme zu bewegen.

Veblen bei der Arbeit

Das muss man sich erst einmal vorstellen: Der Rolex-Chef himself schaut bei dir zu Hause vorbei, überbringt eine persönliche Einladung, und du sagst: Njet. "Ich habe ihn und seine Familie besucht und sie eingeladen", schildert Dufour, der auch der Stiftung hinter der Messe vorsitzt, der "NZZ". Aber Hayek habe seine eigenen Vorstellungen. "Er sagt, die Swatch Group sei sehr industriell ausgerichtet und wolle keine Zeit verschwenden mit Ausstellungen", erzählt Dufour, um dann festzuhalten: "Für uns ist es jedoch keine Zeitverschwendung. Wir verkaufen Träume und Emotionen."

Gut besucht: Der Messestand von Nomos Glashütte. Der Watches & Wonders-Newcomer aus Deutschland präsentierte sich mit einer farbigen Sonderedition der Tangente. Das Publikum durfte die 31 vorgestellten farbigen Uhren aus nächster Nähe begutachten.
Gut besucht: Der Messestand von Nomos Glashütte. Der Watches & Wonders-Newcomer aus Deutschland präsentierte sich mit einer farbigen Sonderedition der Tangente. Das Publikum durfte die 31 vorgestellten farbigen Uhren aus nächster Nähe begutachten.
Nomos Glashütte

Darin ist der Genfer Uhrenprimus beneidenswert gut. "Träume und Emotionen" bescherten ihm allein im letzten Jahr über zehn Milliarden Franken (rund zehn Milliarden Euro) Umsatz. Sieben Milliarden mehr als das wichtigste Pferd im Stall von Richemont: Cartier. Spätestens wenn man den Namen Rolex erwähnt, horchen auch jene auf, die mit dem Thema nicht unbedingt vertraut sind. Der Uhrenriese ist quasi das Synonym für Luxusuhren – und Status. Dafür sind viele bereit, tief in die Tasche zu greifen. Ein Phänomen, das man den "Veblen-Effekt" nennt: Um sich von anderen abzuheben, greift so mancher nach teuren Gütern und nimmt dafür offenbar auch jede Preiserhöhung in Kauf.

Top-Fußballer Kylian Mbappe (links) posiert mit Hublot-CEO Ricardo Guadalupe: Der Markenbotschafter hat sich auf der Watches & Wonders eingefunden, um die Big Bang E zu promoten. Eine Smartwatch, die Hublot anlässlich der bevorstehenden EM auf den Markt bringt. Die Luxusuhrenmarke war die erste, die sich in die Welt des Fußballs vorwagte.
Top-Fußballer Kylian Mbappe (links) posiert mit Hublot-CEO Ricardo Guadalupe: Der Markenbotschafter hat sich auf der Watches & Wonders eingefunden, um die Big Bang E zu promoten. Eine Smartwatch, die Hublot anlässlich der bevorstehenden EM auf den Markt bringt. Die Luxusuhrenmarke war die erste, die sich in die Welt des Fußballs vorwagte.
EPA/VALENTIN FLAURAUD

Auf der Watches & Wonders, wo man Zeitmesser findet, für deren Gegenwert man eine Eigentumswohnung bekommt, kann man diesem Effekt bei der Entstehung zusehen. Und auch seine "Opfer" kennenlernen. Die Damen und Herren tragen in dieser Hochsicherheitsumgebung ihre besten Stücke am Handgelenk. Sei es, um anzugeben, sei es, um ins Gespräch zu kommen. Nur wenige stellen ihre Sammlung so offen zur Schau wie der Uhren-Influencer Danar Widanarto (siehe Foto ganz oben). Wäre dies eine Convention, wäre ihm der erste Platz für das auffälligste Kostüm sicher.

Ruhiger angehen lassen

Dagegen stinkt die Vintageuhr einer längst untergegangenen Marke an meinem Handgelenk ziemlich ab. Wobei das schlichte Dreizeigermodell mit manuellem Aufzug ganz gut zur diesjährigen Messe passte. Es gab eine Menge schlichter, klassischer Zeitmesser zu sehen, erstaunlich viele mit Handaufzug.

Stellvertretend für das Gold-Revival sei hier die Black Bay 58 18K gezeigt, die erste Taucheruhr von Tudor in massivem Gelbgold.
Stellvertretend für das Gold-Revival sei hier die Black Bay 58 18K gezeigt, die erste Taucheruhr von Tudor in massivem Gelbgold.
Tudor

Gelbgold feiert offensichtlich ein Comeback, die Schrumpfkur bei den Gehäusegrößen bleibt uns erhalten, während sich die Grenzen zwischen Damen- und Herrenuhr zunehmend auflösen. Es scheint, als würde man sich nach den letzten Boomjahren wieder auf "alte Werte" besinnen. Anders gesagt: Man ist ob der angespannten Weltlage nicht mehr ganz so optimistisch. Selbst die Stände, die Schaufenster der Marken, traten ruhiger in Erscheinung, als ich es schon erleben durfte.

Ein Sammler mit dem nötigen Kleingeld hat bei Vacheron Constantin eine ganz spezielle Taschenuhr angeschafft: Die Les Cabinotiers – The Berkley Grand Complication die komplizierteste Uhr der Welt. Mit 63 uhrmacherischen Komplikationen und 2.877 Komponenten übertrifft sie den Rekord, den das Haus bereits mit der Referenz 57260 aufgestellt hat.
Ein Sammler mit dem nötigen Kleingeld hat bei Vacheron Constantin eine ganz spezielle Taschenuhr angeschafft: Die Les Cabinotiers – The Berkley Grand Complication die komplizierteste Uhr der Welt. Mit 63 uhrmacherischen Komplikationen und 2.877 Komponenten übertrifft sie den Rekord, den das Haus bereits mit der Referenz 57260 aufgestellt hat.
REUTERS/Pierre Albouy

Dennoch sprechen wir hier von einer Leistungsschau der Haute Horlogerie. Dementsprechend gab es auch Schmankerln zu sehen, die jedem Fan der Uhrmacherkunst die Freudentränen in die Augen treiben. IWC Schaffhausen etwa stellte einen ewigen Kalender vor, der über die nächsten Jahrhunderte auch Jahre ohne Schalttag berücksichtigt, Vacheron Constantins komplizierteste Taschenuhr der Welt kann sich sehen lassen, ebenso die neueste Freak von Ulysse Nardin.

Erstaunliche Fortschritte haben die oft belächelten "Modemarken" Chanel und Hermès gemacht. Letztere präsentierte mit der Arceau Duc Attelé eine Komposition aus Dreiachstourbillon und Minutenrepetition. Zum Quidditch-Spiel sollte man sie aber besser nicht tragen. (Markus Böhm, 23.4.2024)