Mietverträge enthalten in Österreich in aller Regel eine Wertsicherungsklausel, das heißt, die Miete kann von Zeit zu Zeit an die Inflation angepasst werden. Das ist mittlerweile jahrzehntelang geübte Praxis und von Mieterinnen und Mietern grundsätzlich auch akzeptiert. Doch seit etwa einem Jahr herrscht in der wohnrechtlichen Blase dieses Landes und damit naturgemäß auch unter Vermieterinnen und Vermietern enorme Verunsicherung. Denn der Oberste Gerichtshof (OGH) hat im Frühjahr 2023 eine weitreichende Entscheidung getroffen: Eine Wertsicherungsklausel, die in vielen Mietvertragsmustern zu finden war, wurde als unzulässig aufgehoben, weil sie dem Konsumentenschutzgesetz (KSchG) widerspricht.

In mittlerweile drei Verbandsklagen hat der OGH in der Sache Wertsicherungsklauseln bisher Entscheidungen getroffen.
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Hunderttausende Verträge rechtswidrig?

Seither steht die Möglichkeit im Raum, dass hunderttausende Mietverträge rechtswidrig sind und Mieterinnen und Mieter mit einer Klage mitunter gute Chancen haben könnten, einen Teil ihrer bereits bezahlten Miete zurückzubekommen. Manche Anwaltskanzlei hat sich bereits darauf spezialisiert, und der OGH hat seine Rechtsmeinung inzwischen in zwei weiteren Entscheidungen bekräftigt.

Allerdings: Die ganze Causa betrifft nur Mietverträge, die zwischen Verbrauchern und Unternehmen abgeschlossen werden – wenn der Vermieter also kein Privatmensch ist.

Außerdem betraf die erwähnte OGH-Entscheidung zunächst "nur" eine sogenannte Verbandsklage, die von der Arbeiterkammer angestrengt worden war. Es landete also noch kein konkreter Sachverhalt vor dem OGH, sondern die Klauseln wurden sozusagen auf Verdacht hin überprüft. In einem solchen Fall einer Verbandsklage gilt das Prinzip der "kundenfeindlichsten Auslegung" einer Klausel, es wird also im Sinne der Konsumentinnen und Konsumenten besonders streng geurteilt. Erst wenn der OGH auch in einem Individualverfahren, also mit einem konkreten Fall als Hintergrund seine Rechtsprechung beibehält, könnte es auch für Vermieterinnen und Vermieter ernst werden. Dann aber richtig.

Ein erstes Urteil des Bezirksgerichts

Ein erstes Urteil zu einem konkreten Fall gibt es nun auch bereits, es stammt vom Bezirksgericht Innere Stadt. Es hat einem Mieter rund 2000 Euro zugesprochen, allerdings nicht rechtskräftig, die Gegenseite ging in Berufung. Für den Mieter erwirkt hat es Rechtsanwalt Oliver Peschel, der sich schon im Sommer 2023 auf das Thema Wertsicherungsklauseln "draufgesetzt" hat und unter der Website deinerechte.at/Mietzinsklage Mieterinnen und Mietern anbietet, ihren Mietvertrag zu überprüfen und gegebenenfalls vor Gericht zu bringen.

Das BG Innere Stadt urteilte, dass die in dem Fall verwendete Wertsicherungsklausel zum einen intransparent war, und zum anderen war darin die Eventualität nicht ausgeschlossen, dass es innerhalb der ersten beiden Monate nach Vertragsabschluss zu einer Erhöhung der Miete kommen kann. Genau diese beiden Punkte seien mit dem Konsumentenschutzgesetz nicht in Einklang zu bringen, entschied der OGH in den bisherigen Verbandsklagen: Mieterhöhungen in den ersten beiden Monaten müssen im einem Vertrag explizit ausgeschlossen sein. Außerdem muss für Mieterinnen und Mieter klar ersichtlich sein, an welchen Index die Wertsicherung der Miete gekoppelt ist. Andernfalls ist die gesamte Klausel nichtig, und nicht etwa nur der rechtswidrige Teil davon.

Relativ häufig komme in Mietverträgen aber eine sogenannte "Schwellenwertklausel" vor, sagt Peschel. Genau darum ging es auch in der jüngsten OGH-Entscheidung. Die Arbeiterkammer hatte mehrere Klauseln in Mietverträgen im Rahmen einer Verbandsklage vor den "Obersten" gebracht. In einer dieser Klauseln hieß es, die Miete sei wertgesichert und orientiere sich am Verbraucherpreisindex (VPI), wobei aber Indexschwankungen bis einschließlich drei Prozent unberücksichtigt bleiben.

Vergleiche werden geschlossen

Doch eine solche Regelung schließe eben nicht explizit aus, dass in den ersten beiden Monaten nach Vertragsabschluss die Miete angehoben wird. Sofern es sich nicht um einen einzeln ausgehandelten Mietvertrag, sondern um ein vorgefertigtes Mietvertragsformular handelt, ist eine solche Bestimmung nicht mit dem Konsumentenschutzgesetz in Einklang zu bringen.

Für Peschel sind solche Schwellenwertklauseln im Licht der neuen Rechtsprechung ein "eindeutiger Fall". Das Bezirksgericht habe im Übrigen auch durchblicken lassen, dass es durchaus der Meinung sei, man könne bis zu 30 Jahre rückwirkend die Wertsicherung einklagen.

Mieterinnen und Mieter mit einer solchen Klausel im Vertrag hätten also gute Chancen, mit einer Klage Erfolg zu haben. Mehrere Dutzend Klagen hat Peschel bereits eingebracht, oft ist es gar nicht zum Gerichtsverfahren gekommen, weil die Vermieter einem Vergleich zugestimmt haben. Im Regelfall wurde da von der Vermieterseite ein bestimmter Betrag als Abschlag bezahlt, im Gegenzug stimmte die Mieterseite einer rechtskonformen, "sanierten" Klausel zu, wie das im juristischen Sprachgebrauch heißt. Rund die Hälfte der Fälle seien aber gerichtsanhängig, "manche Vermieter wollen das halt partout ausjudizieren", sagt Peschel dem STANDARD.

Arbeiten an einem "rechtskonformen Wording"

Eine Anlaufstelle für Mieterinnen und Mieter ist in dieser Causa auch der private Verbraucherschutzverein. Obfrau Daniela Holzinger-Vogtenhuber hat bisher rund 120 Fälle gesammelt und an Anwältin Sigrid Urbanek weitergeleitet, mit der sie hier zusammenarbeitet. Für Vereinsmitglieder mit Rechtsschutzversicherung fallen dabei keine Kosten an, ansonsten höchstens 90 Euro.

"Der erste Schritt ist immer ein Vergleich", sagt auch sie. Man arbeite also mit dem Vermieter an einem "rechtskonformen Wording im Mietvertrag", welches sich der Vermieter dann oft auch etwas kosten lasse. In der Mehrzahl der Fälle wird aber der Klagsweg beschritten, "und da bekommt man als Mieter mit hoher Wahrscheinlichkeit recht", schätzt Holzinger-Vogtenhuber. Genauso wie Peschel hält auch sie die Situation für eindeutig, die bisherigen OGH-Entscheidungen ließen da wenig Interpretationsspielraum.

Ändert der OGH noch seine Meinung?

Tatsächlich sagen auch die meisten Wohnrechtsexperten, dass es zumindest erstaunlich wäre, würden die Höchstrichter in einem Individualverfahren von der Linie wieder merklich abweichen. Denkbar ist es aber doch, denn in einem Individualverfahren wird die ganze Sache noch mal von Grund auf neu verhandelt, und mit guten Argumenten könnte man eventuell etwas ausrichten.

Der Wohnrechtsexperte Christoph Kothbauer weist darauf hin, dass sich bisher mit der Thematik "nur" die Senate 2 und 8 des OGH befasst haben, noch nicht aber der Senat 5, der die meisten Wohnrechtsthemen entscheidet. "Es wäre also sehr spannend, was der Senat 5 dazu sagt." Gewisse Modifikationen seien sicher möglich, "außerdem fällt im Individualverfahren das Prinzip der kundenfeindlichsten Auslegung einer Klausel weg", und man habe in so einem Verfahren dann auch zwei konkrete Parteien, die das Höchstgericht auch befragen könne. Bei einer Verbandsklage ist das nicht der Fall.

40 Seiten an Argumenten

So wie Kothbauer glaubt auch der Wiener Rechtsanwalt Reinhard Pesek daran, dass die Linie des OGH nicht in Stein gemeißelt ist – auch wenn sie seit März 2023 in nunmehr bereits zwei weiteren Entscheidungen vom Mai 2023 und vom März 2024 beibehalten wurde. Doch in Individualverfahren gelte ein anderer Auslegungsmaßstab als in einem Verbandsprozess, und daher könne im Einzelfall durchaus von einer Zulässigkeit einer typischen Wertsicherungsvereinbarung ausgegangen werden.

Pesek war bei der jüngsten, ebenfalls von der Arbeiterkammer angestrengten Verbandsklage auf der anderen Seite, er vertrat einen großen Vermieter mit rund 500 Wohnungen, gegen den die Klage gerichtet war. Mit einer 40 Seiten dicken Expertise hatte er sich vorbereitet (siehe unten).

"Am Rande zur Provokation"

"Die meisten unserer Argumente hat der OGH aber nicht einmal beachtet und stattdessen auf die beiden im Vorfeld ergangenen, nicht näher begründeten Entscheidungen verwiesen", sagt Pesek dem STANDARD. Dabei ist es aus seiner Sicht beispielsweise eine wesentliche Frage, wie weit der Grundsatz der "kundenfeindlichsten Auslegung" einer Klausel tatsächlich gehen muss. Und müssten Vermieterinnen und Vermieter nicht längst Vorkehrungen treffen für den Fall, dass nach dem ersten gewonnenen Individualverfahren eines Mieters hunderttausende folgen werden?

Auch Wohnrechtsexperte Kothbauer kritisiert, dass sich der Senat 8 des OGH die Argumente der Gegenseite – also von Pesek – nicht einmal angeschaut hat. "Das ist am Rande zur Provokation", sagt Kothbauer aufgebracht dem STANDARD. Denn es gebe in der Literatur erhebliche Zweifel an der bisherigen Rechtsprechung. "Es muss eine Entscheidung geben, die sich auch mit der Kritik auseinandersetzt." Möglicherweise kommt diese Anfang kommenden Jahres, denn so lange dürfte es noch dauern, bis die erste OGH-Entscheidung auch in einem Individualverfahren vorliegt.

"Das Chaos bricht aus"

Doch es könnte auch sein, dass die Politik noch dazwischengrätscht. Denn die Causa hat natürlich auch eine politische Dimension.

"Das Chaos bricht aus", wenn plötzlich hunderttausende Mietverträge ungültig werden, so hört man es aus der Immobilienwirtschaft, also von Vermieterinnen und Vermietern. Volkswirtschaftlich sei das nicht zu verantworten, deshalb müsse die Politik sich des Themas annehmen. Nach Informationen des STANDARD wird von maßgeblichen Teilen der Immobilienwirtschaft auch seit Monaten darauf hingearbeitet, die unangenehme Causa per Gesetz aus der Welt zu schaffen. Die ÖVP hat dafür grundsätzlich offene Ohren, doch die Grünen sträuben sich, heißt es. Ernsthaft daran gearbeitet wird derzeit offenbar nicht.

Aber würde eine Reparatur rechtstechnisch überhaupt funktionieren? "Jein", sagt Christoph Kothbauer. Der Zwei-Monats-Aspekt könnte eventuell mit einer neuen gesetzlichen Wertsicherung repariert werden, die für alle Mietverträge gilt. "Da ließe sich wohl eine Lösung finden." Allerdings ist bei allfälligen Reparaturversuchen "die österreichische Gesetzgebung nicht autonom", europäisches Recht gibt hier den engen Rahmen vor.

Natürlich hoffe man in Expertenkreisen, dass sich der Gesetzgeber dieser Sache annimmt. Andernfalls drohe jahrelange Rechtsunsicherheit, "und das schädigt den Wirtschaftsstandort". Doch allzu optimistisch ist Kothbauer nicht. "Es gibt nur ein kleines Zeitfenster, und die Politik befindet sich schon im Wahlkampfmodus."

Gute Verhandlungsbasis für Mieter

Anwalt Pesek schlägt vor: Der Gesetzgeber könnte anordnen, dass eine Klausel, die die Zwei-Monats-Sperrfrist nicht enthält, in den ersten beiden Monaten nach Vertragsabschluss einfach nicht gültig ist – ansonsten aber aufrecht. "Das ist nach manchen Zivilrechtsexperten aber zweifellos europarechtlich schwierig zu argumentieren." Denn genau aus europarechtlichen Gründen muss eine Klausel, die rechtswidrige Bestimmungen enthält, ganz entfallen – und nicht bloß zum Teil.

Pesek weist jedoch auf Meinungen hin, nach denen die relevante gesetzliche Bestimmung auf keinen europarechtlichen Vorgaben beruht und daher die strengen Vorgaben des Europarechts nicht anwendbar sind. Eine europarechtskonforme gesetzliche Lösung sei für den Gesetzgeber somit prinzipiell möglich, so Pesek.

"Die Wahrscheinlichkeit, dass das gesetzlich repariert wird, ist aber sehr gering", räumt er ein – und hofft darauf, dass der OGH an die Rechtsprechung im Individualverfahren doch noch mal etwas anders herangeht.

Gut ist die Situation aber mitunter jetzt schon für Mieterinnen und Mieter. "Es ist im Moment alles angerichtet für einen Vergleich", sagt Christoph Kothbauer. Soll heißen: Vermieterinnen und Vermieter seien derzeit für Verhandlungen offen. "Die Kompromissbereitschaft ist hoch." Und wenn man wisse, worum's geht, sei die Immo-Community "sicher auch bereit, einen hohen Preis zu zahlen". (Martin Putschögl, 22.5.2024)