Ein Scharlatan bewirbt Chlordioxid als Medizin, und rechte und rechtsextreme Portale geben dem gerne eine Bühne: ein Musterbeispiel für den Doppelpass zwischen pseudomedizinischer Scharlatanerie und politischer Agitation.

Ohne Tierversuche geht leider kaum etwas in der medizinischen Grundlagenforschung. Daher kam dem deutschen Marketer Andreas Kalcker seine etwas in die Jahre gekommener Hund zupass. Kalckers Dackeldame lag nur noch apathisch in ihrem Körbchen, ehe ihr das Herrl ein paar Tropfen einflößte. Genauer gesagt: ein paar Tropfen CDL, eine Chlordioxidlösung. Chlordioxid ist Bestandteil von WC-Reinigern und wird in der Papierindustrie zum Bleichen verwendet. Kalcker hatte das als vermeintliche Medizin bereits länger zu Hause, er wäre jedoch noch skeptisch gewesen "gegenüber dem Wunderwässerchen", sagt er heute. Der Tierversuch war aber erfolgreich: Am Tag nach der Verabreichung von ein paar Tropfen CDL wirbelte Kalckers vierbeiniger Freund quietschvergnügt durch den Garten. So beginnen Erfolgsgeschichten in der Arzneimittelforschung.

Dackel läuft mit einem roten Ball im Maul auf einer Blumenwiese
Kalcker wechselte ob der guten Erfahrungen mit seinem Hund flott zur klinischen Studie mit Menschen.
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Nach dem Dackel kamen die Nachbarn dran

Kalcker wechselte ob der guten Erfahrungen mit seinem Hund flott zur klinischen Studie mit Menschen. Zunächst heilte er sich selbst von Arthritis. Vor der Selbstmedikation mit CDL konnte Kalcker nicht einmal eine Pfanne halten, danach spielte er wieder Klavier, sagt er. Ermuntert von den ersten Erfolgen klapperte Kalcker die Nachbarschaft ab. Dort hatte jeder ein Wehwehchen, und Kalcker hatte das Fläschchen mit CDL. Damit heilte Kalcker vorbei an allen Ärzten und Kliniken und Big Pharma eine Allergie, Diabetes und eine Quecksilbervergiftung, zum Beispiel.

RTV: Rechte Propaganda, Klamauk und Kalckers Gifte

Das Märchen mit dem Wundermittel ereignete sich vor etwa 16 Jahren. Kalcker erzählt diese tolle Geschichte im oberösterreichischen Milieuportal RTV. Um RTV etwas einzuordnen: Der ehemalige Sprecher der Identitären Bewegung, Martin Sellner, wird von RTV regelmäßig zum Talk geladen und als Migrationsexperte vorgestellt. An der Mondlandung säte die Astrophysik-Redaktion schon einmal Zweifel. Für Unterhaltung sorgte das selbsternannte Alternativmedium viele Jahre lang mit esoterischem Klamauk in der Programmnische "Zwischen Himmel und Erde". Manch Auftritt dort hat Kultstatus. Relevante politische Parteien kommen in den aktuellen Beiträgen eher schlecht weg, sieht man von FPÖ und AfD ab. Desinfotainer wie Sucharit Bhakdi und Impfgegner erreichen Heldenstatus, der ORF, die EU, die Nato und "Globalisten" wie die Weltgesundheitsorganisation WHO kriegen in eher bizarren Agitbeiträgen ihr Fett ab.

36 Euro für einen Vortrag

Wenn RTV jemanden wie Kalcker zum Talk lädt, hat er trotz blumigster und absurder Heilversprechen keine kritischen Fragen zu erwarten. Man spuckt jemandem nicht in eine Suppe, die man selbst gerne serviert. Am 23. Mai lädt der vom Portal RTV ins Leben gerufene Verein "RTV – Mein Verein" zu einem Vortrag Kalckers im Saal eines Dorfwirtshauses nahe Steyr: Der Vortrag heißt "Das Unmögliche ist jetzt", RTV bewirbt ihn in einem Trailer als "inspirierenden Gesundheitspflegevortrag, in dem die verborgenen Geheimnisse des Chlordioxids und wissenschaftliche Erkenntnisse" erläutert werden.

Wer 36 Euro lockermacht für den Eintritt, erfährt vermutlich nicht, dass Kalcker weder Mediziner noch Pharmazeut ist und dass man mit Chlordioxid besser den Pool oder die Badezimmerfließen putzt, sondern: dass CDL ein Wundermittel sei, das so gut wie jedes Ungemach heilt. Kalcker bezeichnet sich gerne als "Biophysiker". Ein Doktortitel sei ihm "honoris causa" verliehen worden von einer mexikanischen Universität ob seiner "wichtigen Beiträge".

Wundermittel gegen Krebs, Malaria und nebenbei Verhütungsmittel

Kalcker kleckert nicht, er klotzt auf seiner Webseite mit "Protokollen" zu Indikationen und Behandlungsempfehlungen. "Protokoll E" steht für Einläufe, beispielsweise bei Magen-Darm-Erkrankungen oder Krebs. "Protokoll M" skizziert eine erfolgsversprechende Therapie gegen Malaria. "Protokoll T" steht für "terminal" (engl.: tödlich verlaufend). Das lässt uns etwas erschrecken, ehe wir lesen: "Dieses Protokoll basiert auf den Erfahrungen einer Mutter, deren Tochter, bei der Krebs im Endstadium diagnostiziert wurde, trotz ihrer Hoffnungslosigkeit vollständig genesen ist."

"Protokoll V" steht der für vaginale Spülungen, die nicht nur dem Gebärmutterkrebs den Kampf ansagen: "Es kann auch als Verhütungsmittel dienen, wenn es nach dem Geschlechtsverkehr angewendet wird, da es die Spermien unbeweglich macht und eine Empfängnis verhindert." Onkologische Therapien und Verhütung aus einem Fläschchen – Kalcker muss dieser Arzt sein, dem die Frauen vertrauen und der Jesus auf den Fersen ist. In den Evangelien sind 27 Heilungen durch Jesus vermerkt, Kalker hat bereits 26 "Protokolle" veröffentlicht.

Die Wahrheit ist unromantisch: CDL ist gesundheitsschädlich

Das Märchen hat freilich ein paar Spielverderber: die Wissenschaft und die Justiz. Die evidenzbasierte Medizin steht Kalckers Erzählungen unromantisch diametral entgegen. CDL hat keine wie immer geartete heilende Wirkung, ernst zu nehmende Belege für eine therapeutischen Einsatz gibt es nicht. Vielmehr: Die Anwendung von CDL als Heilmittel ist gesundheitsschädlich, relevante Stellen warnen davor, CDL als Arznei zu missbrauchen. Das Propagieren von Chlordioxid als Heilmittel soll mit dem Tod eines fünfjährigen Buben zusammenhängen, dem von den Eltern CDL eingeflößt wurde. Medwatch berichtet über mehrere Todesfälle, die mit Kalckers Wundermittel zu tun haben sollen.

Ernstzunehmende Medien klären zur CDL-Scharlatanerie fundiert auf. Dass sie ihm keine Bühne geben, ist selbstredend selbstverständlich. Das ficht Kalcker, seine Anhänger und seine Medien-Claqueure aus dem vornehmlich rechten Spektrum nicht an. Das scharf rechte Portal Report24 aus Oberösterreich rezensierte im Jänner 2023 Kalckers Buch Bye Bye Covid – Die Lösung für das Coronavirus, von dem man nicht wissen will, dass Sie es kennen recht wohlwollend und orakelt: "Könnte auch CDL vom medizinischen Establishment unterdrückt worden sein, weil mit dem Präparat – anders als mit den sogenannten Impfstoffen – kein Profit zu machen ist?"

Rechte Portale mögen das: Hehre Kämpfer gegen das "Establishment"

So einfach kann die Welt sein, wenn man Feindbilder einst definiert hat. Dort ein "Establishment", das ein Wundermittel unterdrückt, hier der hehre und autodidakte "Forscher" Andreas Kalcker, der mutig gegen die vom Sturm finster Mächte angetriebenen Windmühlen kämpft für die Aufgewachten und deren Portemonnaie. Master-Kurse in der "Kalcker Akademie" kosten knapp 600 Euro, dafür ist man danach "Experte für oxidative Therapien". Inwieweit der Akademievorstand in den Verkauf der Chlordioxidlösungen involviert ist, lässt sich nur erahnen. Das Geflecht und die Besitzverhältnisse der unzähligen Anbieter von CDL-Produkten ist durchaus verwirrend.

Auch bei Auf1: Die Nachbarn Kalckers als Versuchskaninchen

Auch beim ebenfalls in Oberösterreich beheimateten Portal Auf1 war Kalcker zu einem Interview geladen. Im Intro des Beitrags baut die Moderatorin noch den Disclaimer ein, dass man keine Gewähr für die Korrektheit der Aussagen der Interviewgäste übernehme. Man wolle aber "dem Thema Raum widmen, den die Systemmedien (sic!) diesem Thema verwehren". Der Raum bei Auf1 ist ein 30 Minuten langer und als Interview getarnter Impulsvortrag, in dem Kalcker charmant und ungestört von seinem Wundermittel schwärmen kann.

Kalcker räumt ein, dass er "von der Substanz am Anfang überhaupt nicht wissen konnte, wie es funktioniert". Aber "klinisch" konnte man bald sehen, dass es wirkt. Kalcker erzählt wieder die Geschichte mit seinen Nachbarn: Diesmal sind es ein Diabetesbein, Bluthochdruck und Fibromyalgie, die Kalcker mit CDL aus seiner Hood vertrieb. Kalcker bedauert, dass Ärzte im Laufe ihres Studiums nichts von dem segensreichen Chlordioxid hören und lernen und schließt daraus: "Anstelle einen Arzt zu CDL zu fragen kann ich auch googeln." Die Moderatorin nickt bei alldem hingerissen.

Bei Auf1 schlägt die globalistische Giftschlange zu

Der Macher und Anchorman von Auf1 ist Stefan Magnet. Ein Teil seiner jugendlichen Vergangenheit führt ins rechtsextreme und neonazistische Milieu des "Bundes freier Jugend".
Die Gesundheitsnische des Portals ("Gesundheit Auf1") hat auch Verständnis für absurdesten Tand aus der Welt der Fake-Medizin. Bei "globalistischen" Einrichtungen hört sich der Spaß aber auf bei Auf1: Die Weltgesundheitsorganisation WHO ist im Weltbild des Portals auf der finsteren Seite der Macht. Im Auf1-Webshop kann man einen Folder bestellen zum "WHO-Diktat".

Auf dem Titelblatt finden wir einen Totenkopf hinter Impfspritzen und ein entstelltes Logo der WHO. Die ikonische und friedliche Schlange, die wir unter anderem vom Symbol der Pharmazeuten kennen, wird zur Giftschlange, die mit weit geöffnetem Maul frontal zuzuschlagen droht. Die Vorderseite des WHO-Folders ist schlüssig, wenn man die Hintergründe des Auf1 Machers und Anchorman kennt.

Der gemeinsame Nenner: Wissenschaft verächtlich machen

RTV, Report24 und Auf1 sind nur eine kleine Auswahl von rechten Portalen, esoterischen Influencern und Verschwörungsplauderern, die Kalcker und dessen Gift CDL hofieren. Ob die Macher dieser Medien CDL konsumieren, wissen wir nicht. Ebenso wenig wissen wir, ob Kalcker mit den politischen Hintergründen seiner medialen Claqueure d'accord geht.

Doch wir kennen den kleinsten gemeinsamen Nenner der Akteure: die Verächtlichmachung von Wissenschaft. Rechten Fake-News-Schleudern ist jeder Schrat willkommen, der sich im Kampf gegen die Rationalität vor den Karren spannen lässt. Die Zerstörung des redlichen Diskurses durch absurden Mumpitz und Spitzen gegen vermeintlich sinistre Mächte ("Globalisten"), das ist ihr Geschäft. Dem Marketer Kalcker ist wiederum kein Portal zu dubios, um seine "Chlordioxid-Expertise" zu propagieren – solange niemand blöd nachfragt. Das ist sein Geschäft. (Christian Kreil, 22.5.2024)