Traut sie sich, oder traut sie sich nicht? Diese Frage stellt sich, seit Umweltministerin Leonore Gewessler am vergangenen Freitag selbstbewusst verkündete, sie werde alles tun, um dem umstrittenen Renaturierungsgesetz im EU-Rat zuzustimmen, aber die klare Botschaft der Stadt Wien, die ihr das eigentlich ermöglicht, nicht zur Kenntnis nahm. Es scheint fast so, als wollte sich die grüne Ministerin ein letztes Schlupfloch lassen, um den Koalitionsfrieden mit der ÖVP, die das Gesetz vehement ablehnt, zu wahren.

Umweltministerin Leonore Gewessler kann zeigen, worum es bei der Europawahl wirklich geht.
Umweltministerin Leonore Gewessler kann zeigen, worum es bei der Europawahl wirklich geht.
APA/HELMUT FOHRINGER

Das wäre in dieser Causa ein Fehler. Gewessler hat hier die Chance, einem grundsätzlich sinnvollen europäischen Regelwerk zum Durchbruch zu verhelfen. Denn von Österreichs Zustimmung könnte es abhängen, ob beim nächsten Umweltministerrat Mitte Juni die notwendige Mehrheit zustande kommt.

Die vorliegende Verordnung ist bereits ein Kompromiss, in dem auf die Bedenken der Landwirtschaft Rücksicht genommen wird – so viel, dass Naturschutzorganisationen gar nicht mehr glücklich sind. Aber die Bauernschaft fordert stets noch mehr und hat sich in letzter Zeit fast immer durchgesetzt. Sie besitzt trotz der kleinen Menge an Menschen, die heute in der EU noch zu ihr zählt, eine auffallend mächtige Lobby, weil sie gut organisiert ist und an die sentimentalen Gefühle der Menschen appellieren kann.

Bauernlobbyist als Landwirtschaftsminister

In Österreich hat sie es besonders leicht, weil sich Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig seit seinem Wechsel aus dem Bauernbund ausschließlich als Interessenvertreter der Bauern sieht und die Bedürfnisse der restlichen 97 Prozent der Bevölkerung ignoriert. Ob Freihandel, das Verbot von Laborfleisch oder nun der Naturschutz – stets übernimmt er die Positionen des Bauernbundes und vertritt sie mit oft widersprüchlichen Argumenten. Und Kanzler Karl Nehammer setzt bei der aktuellen Causa noch eine antieuropäische Polemik drauf, indem er wieder gegen die "Überregulierung aus Brüssel" wettert.

Gewessler kann sowohl der Bauernlobby als auch der ÖVP die Stirn bieten. Da die Ablehnungsfront der Länder gegen das Gesetz, die sie gebunden hätte, durch den Wiener Schwenk zusammengebrochen ist, kann sie die österreichische Position im EU-Umweltministerrat bestimmen. Die von manchen Juristen vertretene Rechtsmeinung, sie müsse sich mit Totschnig und anderen ÖVP-Ministern absprechen, ändert nichts an dieser Kraft des Faktischen. Genauso haben ÖVP-Minister allzu oft in Brüssel Einwände der Grünen ignoriert und den Koalitionspartner gedemütigt.

Kein Ausweg für die ÖVP

Dafür kann sich Gewessler nun revanchieren und dabei für die europäische Natur etwas Gutes tun. Nicht einmal ein Koalitionsbruch würde der ÖVP helfen, denn dann hätte der Bundespräsident die Zügel in der Hand. Gewessler muss sich nur trauen – und dies möglichst vor dem Wahlsonntag am 9. Juni deutlich verkünden.

Denn damit würde die Ministerin auch klarstellen, worum es bei der Europawahl und im Herbst auch bei der Nationalratswahl wirklich geht: nicht um den Charakter von Spitzenkandidatinnen und -kandidaten, sondern um Sachpolitik, die nur auf der europäischen Ebene gestaltet werden kann. Für all jene, die wegen Lena Schilling an den Grünen zweifeln, wäre dies ein Grund, dennoch grün zu wählen – oder eine andere Partei, die den Klima- und Naturschutz ernst nimmt. (Eric Frey, 26.5.2025)