Die am Mittwoch abgehaltenen Präsidenten- und Parlamentswahlen in Indonesien bestimmen nicht nur die wichtigsten Personalien in dem südostasiatischen Inselstaat neu, sie stellen auch eine Weichenstellung für die Menschenrechte in der drittgrößten, doch fragilen Demokratie der Welt dar. Dass der berüchtigte Ex-General Prabowo Subianto Djojohadikusumo die Wahl um das Präsidentenamt gewinnen wird, stand den Umfragen zufolge kaum infrage.

Ob er schon in der ersten Wahlrunde den Sieg einfahren konnte oder gegen einen der beiden anderen Kandidaten – Ganjar Pranowo und Anies Baswedan – in eine Stichwahl muss, wird die Auszählung der rund 205 Millionen Stimmen zeigen. Prabowo muss hierzu nicht nur mehr als fünfzig Prozent der Stimmen erhalten, er benötigt auch in der Hälfte der 38 indonesischen Provinzen zumindest zwanzig Prozent der Stimmen. Eine stichprobenartige landesweite Teilauswertung von Stimmzetteln durch drei Meinungsforschungsinstitute sieht ihn jedenfalls bei rund 59 Prozent und damit als klaren Sieger. Noch am Mittwoch erklärte sich Prabowo zum Sieger der Wahl.

Prabowo Subianto (links) galt als Favorit bei der Präsidentenwahl. Ganjar Pranowo (Mitte) und Anies Baswedan (rechts) lagen in Umfragen abgeschlagen zurück.
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Nepotismus mit System

Der Journalist und Buchautor Andreas Harsono ist seit Jahrzehnten ein aufmerksamer Beobachter und Chronist der Situation der Menschenrechte in dem riesigen Vielvölkerstaat. Für die NGO Human Rights Watch ist er seit 2008 tätig. Er sieht die kommende Regierung mit Sorgen, äußert jedoch auch scharfe Kritik am scheidenden Präsidenten Joko Widodo. Jokowi, wie der Präsident in Indonesien genannt wird, habe in seiner zweiten Amtszeit begonnen, Macht anzuhäufen, sagt Harsono. Seinem ältesten Sohn Gibran Rakabuming Raka verhalf er zum Bürgermeisteramt in seiner Heimatstadt Surakarta, ein Job, der schon für Jokowi das Sprungbrett für höhere Weihen war. Seinen Schwiegersohn Bobby Nasution hievte er ins Bürgermeisteramt in Medan, der drittgrößten Stadt auf Sumatra. Damit der laut Verfassung für das Amt zu junge Gibran als Vizepräsidentschaftskandidat im Tandem mit Prabowo antreten konnte, musste Jokowis Schwager Anwar Usman als Chef des Verfassungsgerichtes die rechtlichen Grundlagen zurechtbiegen. Jokowi setzte außerdem viele seiner Freunde und Verwandten auf strategische Positionen.

Die Unzufriedenheit mit Jokowis Präsidentschaft ist groß, dennoch dürfte dies der Kandidatur Prabowos und Gibrans kaum schaden.
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Auch in den Gesetzbüchern hat die Regierung Jokowis bedenkliche Spuren hinterlassen, berichtet Harsono: "Er weichte das Antikorruptionsgesetz auf, erließ das Gesetz zur Schaffung von Arbeitsplätzen, um den Arbeitsschutz und die Landrechte zu schwächen, und verabschiedete ein neues Strafgesetzbuch, das im Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsstandards steht." Auch die indonesische Wahlkommission wurde durch Jokowi kompromittiert: "Sowohl gegen die Kommission als auch gegen das Verfassungsgericht wurden Untersuchungen durchgeführt, dabei wurde festgestellt, dass sie gegen ihre jeweiligen Verhaltenskodizes verstoßen. Jokowi schwächt nicht nur die junge Demokratie Indonesiens, sondern baut auch viele Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte ab", bedauert Harsono.

Andreas Harsono (rechts) mit der Asien-Direktorin von Human Rights Watch, Elaine Pearson, und dem Vizedirektor Phil Robertson bei einer Pressekonferenz in Jakarta im Jänner 2022.
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Ex-General als lieber Opa

Prabowo, der 1998 wegen des Verschwindenlassens von Demokratieaktivisten aus der indonesischen Armee entlassen wurde und in den Wahlen 2014 und 2019 der erbitterte Gegner Jokowis war, wurde vom Präsidenten als Verteidigungsminister in die Regierung geholt und damit salonfähig gemacht: "Das war zweifellos ein Auftrieb für Prabowo", konstatiert Harsono. Entgegen der gebotenen Zurückhaltung bei der Wahl seines Nachfolgers half Jokowi mit, dass der 72-jährige Prabowo sein Image in seiner Kampagne mit Gibran aufpolierte und sich als lieber und guter Opa und Katzenliebhaber inszenieren konnte. Offiziell stellte sich der Präsident freilich nicht hinter einen der Kandidaten – schließlich war mit Ganjar Pranowo auch ein Kandidat von Jokowis eigener Partei, der "Demokratischen Partei des Kampfes Indonesiens" im Rennen um das Präsidentenamt. Als Umfragendritter war Pranowo jedoch faktisch aussichtslos abgeschlagen, wohl nicht zuletzt aufgrund Jokowis dynastischen Träumen.

Ex-General Prabowo und Präsidentensohn Gibran als liebenswerte Wahlkampf-Comicfiguren.
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Die Wahlurnen wurden zum Teil unter abenteuerlichen Bedingungen in entlegene Dörfer gebracht, wie hier auf Sulawesi.
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Der Präsidentschaft Prabowos werde es an Legitimität mangeln, da die Nominierung als unethisch verurteilt wurde, ist Harsono überzeugt. Eine recht starke Opposition werde aber zu einer instabilen Regierung führen. Dabei gehe es noch gar nicht um einen möglichen kommenden Konflikt zwischen den Djojohadikusumos und den Widodos, meint Harsono. Der scheidende Präsident Jokowi wolle mithilfe eines Stellvertreters seine Macht bewahren, doch sein Sohn sei dann schließlich nur der Vizepräsident – "ein Ersatzreifen im indonesischen System".

Eine Unterstützerin Prabowos und Gibrans erhielt bei einer Wahlveranstaltung Eier als Werbegeschenk.
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Konflikt in Westpapua

Eine besondere Bedeutung hat die Wahl für die nach Unabhängigkeit strebende Konfliktregion Westpapua im Osten Indonesiens. Hier hat Prabowo als Verteidigungsminister nicht gezögert, das Militär hart gegen Separatisten vorgehen zu lassen. Ursprünglich war Westpapua nach der indonesischen Besetzung in den 1960er-Jahren eine einheitliche Provinz im indonesischen Staatsverband. Nach einer Zweiteilung vor rund zwei Jahrzehnten folgte Ende 2022 eine weitere Aufsplitterung des von rund 5,6 Millionen Menschen besiedelten Gebietes in insgesamt sechs Provinzen. Die neu eingerichteten Provinzen erhalten im Rahmen der Wahl erstmals auch eine gewählte Provinzregierung. Für die indigenen Papuaner bedeutet die Aufsplitterung eine Schwächung. "Sie werden geteilt und geteilt und wieder geteilt. Es wird schwieriger sein, die vielfältigen ethnischen Gruppen der indigenen Menschen zu einen", sagt Harsono: "Das bedeutet, dass sie politisch schwächer sind." Sie würden demnach gezielt schwächer gemacht.

Das zugrunde liegende Problem in Westpapua sei der Rassismus, sagt Harsono: "Es sind braune Menschen, die ein rassistisches Verhalten und rassistische Vorschriften gegen dunkelhäutige Menschen haben." Und weiter: "Ich fürchte, es hört nicht auf." Harsono zeigt sich pessimistisch, denn die indonesische Regierung habe diesen Rassismus gegen die Papuaner niemals thematisiert. Für Indonesiens Selbstverständnis ist Westpapua ein untrennbarer Bestandteil des Staatsverbandes. Während die Unabhängigkeit Osttimors schließlich zähneknirschend akzeptiert wurde, könnte einen Unabhängigkeit Westpapuas zur kompletten Desintegration des Staates führen, schließlich besteht die indonesische Bevölkerung aus rund 360 Ethnien.

In Timika in Westpapua wird ein Wahllokal errichtet. Einer der Männer trägt ein Shirt mit der verbotenen Morgensternflagge Westpapuas.
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Wegschauende Nachbarn

Auch die neuseeländische Buchautorin, Friedensaktivistin und ehemalige Abgeordnete Aucklands, Maire Leadbeater, sieht die Aussichten für die Papuaner wenig optimistisch. Von Leadbeater stammt das Buch "See No Evil: New Zealand's Betrayal of the People of West Papua", in dem sie sich mit der Rolle ihrer eigenen neuseeländischen Regierung in der Westpapua-Frage kritisch befasst. Tatsächlich handelt die neuseeländische Regierung in der Frage Westpapuas auf Basis einer konsequent proindonesischen Außenpolitik. Das zeigte sich auch im Fall der Entführung des neuseeländischen Piloten Phillip Mehrtens, der vor mehr als einem Jahr von papuanischen Unabhängigkeitskämpfern als Geisel wurde. Vertreter von Kirchen und Gemeinden drängten die Regierung in Wellington, eine Vermittlerrolle einzunehmen, doch das hat diese nicht im Geringsten dazu bewegt, auch nur anzudenken, das Thema einer westpapuanischen Selbstbestimmung bei den indonesischen Partnern anzusprechen. Auch beim Unabhängigkeitskampf Osttimors sei Neuseeland bis zum Schluss, nach dem Referendum von 1999, auf der falschen Seite gestanden, sagt Leadbeater. Im Gegensatz dazu habe Neuseeland im Konflikt um die Unabhängigkeit Bougainvilles von Papua-Neuguinea tatsächlich eine positive Rolle bei der Friedensvermittlung gespielt. Diese Politik des Wegschauens bei den Menschenrechtsverletzungen in Westpapua sei in Neuseeland parteiübergreifend, lediglich Minderheitsparteien wie die Grünen und Te Pāti Māori würden die Selbstbestimmung der Papuaner unterstützen. Neuseeland sei diesbezüglich außenpolitisch eine Mitläufernation: Die Positionierung sei auch eine Folge der engen Zusammenarbeit mit den USA, Großbritannien, Australien und Kanada im sogenannten Five-Eyes-Abkommen, das als Sicherheitsallianz die Geheimdienstzusammenarbeit regelt.

"Idiotisches" Massaker

Vor der kommenden Präsidentschaft Prabowos warnt auch der US-amerikanische Journalist Allan Nairn. Nairn weiß, wovon er spricht, schließlich hat er die Gewalt der indonesischen Repression am eigenen Leib erlebt. Im November 1991 überlebte er das Massaker der indonesischen Truppen an 271 osttimoresischen Zivilisten auf dem Friedhof Santa Cruz. Soldaten der Kopassus-Spezialeinheiten schlugen ihm mit dem Gewehrkolben den Schädel ein, als er sich ihnen in den Weg stellte. 2001 interviewte Nairn Prabowo und sprach mit ihm über Massaker in Osttimor und über dessen Sicht der Demokratie. Prabowo nahm sich dabei kein Blatt vor den Mund und schwadronierte darüber, ob er schon bereit sei, als ein faschistischer Diktator bezeichnet zu werden. Das Land brauche ein autoritäres Regime, es sei nicht bereit für die Demokratie. Das Santa-Cruz-Massaker bezeichnete Prabowo als "idiotisch" – weil es vor überlebenden Zeugen durchgeführt wurde. Das Ereignis habe die indonesische Niederlage markiert. "Man massakriert keine Zivilisten vor der Weltpresse", sagte Prabowo laut Nairn. "Vielleicht machen es Kommandeure in Dörfern, von denen niemand etwas erfahren wird, aber nicht in der Provinzhauptstadt."

Steigender Islamismus

Neben der Unterdrückung von Bestrebungen nach Autonomie, Unabhängigkeit und Separatismus stellt auch ein steigender islamischer Fundamentalismus den indonesischen Staat vor zunehmende Probleme. Im Jahr 2016 hat die Nationale Kommission über Gewalt gegen Frauen in Indonesien insgesamt 421 allesamt zwischen 2009 und 2016 erlassene Verordnungen identifiziert, die Frauen und religiöse Minderheiten diskriminieren. Eine wissenschaftliche Studie dokumentierte, dass bis April 2019 mehr als 700 von der Scharia inspirierte Verordnungen verabschiedet wurden. Das häufigste Ziel dieser Regelungen waren Frauen und Mädchen, die alleine mit 120 verschiedenen Vorschriften unter den Hijab gezwungen werden. Unter Jokowis Vorgänger im Präsidentenpalast, Susilo Bambang Yudhoyono, wurden diese diskriminierenden Vorschriften toleriert, und Jokowi setzte keine Schritte, um diese Entwicklung wieder rückgängig zu machen. "Ich hoffe, dass die neue Regierung versuchen wird, diese Vorschriften rückgängig zu machen" sagt Harsono. Allzu groß sind diese Hoffnungen freilich nicht: Human Rights Watch hat vor der Wahl allen drei Kandidaten einen Fragebogen zu den verschiedenen Themen aus dem Bereich der Menschenrechte vorgelegt. Während die Kampagnenteams von Ganjar Pranowo und Anies Baswedan zu den Themen Stellung bezogen, ignorierte das Duo Prabowo/Gibran das Ersuchen. Dies deutet wohl kaum darauf hin, dass sich die künftige Regierung sonderlich eingehend mit menschenrechtlichen Fragen befassen wird.

Chinas Hinterhof

Auch für die internationale Rolle Indonesiens werden die kommenden Jahre komplizierter werden. In der Region stoßen die Interessen des Westens auf einen wachsenden Einfluss Chinas, was sich in diversen Konfliktbereichen bemerkbar macht. Generell sei Indonesiens Außenpolitik immer von der Prämisse bestrebt gewesen, blockfrei zu sein, sagt Harsono. "Das wird nicht einfach sein, weil Indonesien im Hinterhof Chinas liegt" – schließlich sei China mittlerweile der größte ausländische Investor in Indonesien. Leadbeater glaubt diesbezüglich nicht an große Veränderungen der Positionierung Indonesiens. Zwar vertrete Jakarta in einigen Punkten Positionen, die im Widerspruch zu den USA stehen, wie zum Beispiel in der Palästina-Frage. Dennoch sei Indonesien im Grunde immer noch ein Verbündeter Washingtons. (Michael Vosatka, 14.2.2024)