Es sind einige wenige Konflikte auf der Welt, die den Großteil der politischen und medialen Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Daneben gibt es jene Krisen, die allgemein unter dem Begriff "vergessene Konflikte" subsummiert werden. Obwohl sie zum Teil seit Jahrzehnten schwelen, tauchen nur gelegentlich in den internationalen Medien Berichte über sie auf. Einer dieser Konflikte, die unter dem Radar einer internationalen Öffentlichkeit stattfinden, ist der Unabhängigkeitskampf in Westpapua. Seit mehr als sechzig Jahren wird dieser Kampf von Papuanern gegen die indonesische Herrschaft geführt, die sich auf ein mehr als zweifelhaftes Referendum beruft, das euphemistisch "Act of Free Choice" genannt wurde. Über die Jahrzehnte wurde der Kampf in unterschiedlichen Intensitäten geführt, doch in den vergangenen Jahren hat sich der Konflikt zunehmend wieder verschärft. Während die Regierung in Jakarta hart gegen Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung vorgeht und die indonesische Justiz willkürliche Urteile gegen Aktivisten verhängt, werden die Kämpfe in den östlichsten Provinzen Indonesiens wieder zunehmend blutiger und brutaler ausgetragen.

Seit nunmehr einem Jahr befindet sich der neuseeländische Pilot Phillip Mark Mehrtens in der Gefangenschaft militanter Separatisten in Westpapua. Die diplomatischen Bemühungen um seine Freilassung sind durchwachsen, Befreiungsversuche durch Indonesiens Militär endeten blutig, und die internationalen Medien berichteten nur sporadisch über den Entführten. Neuseeland forderte nun zum Jahrestag der Entführung erneut die umgehende Freilassung des Piloten. Die Rebellen kündigten ihrerseits die baldige Freilassung Mehrtens' an, ohne jedoch einen konkreten Zeitpunkt zu nennen.

Nach Landung gekidnappt

Phillip Mark Mehrtens landete seine Maschine am 7.2.2023 um 8.17 Uhr auf dem Flugfeld Paro im Bezirk Nduga in der Provinz Papua Penunungan ("Hochland von Papua"). Die Maschine, eine Pilatus PC-6 Porter der indonesischen Fluggesellschaft Susi Air, kam aus der rund 150 Kilometer entfernten Stadt Timika in der Provinz Papua Tengah ("Zentralpapua") und hatte fünf Passagiere aus Nduga an Bord. Kurz nach der Landung riss der Kontakt zur Luftraumüberwachung ab. Die Sicherheitsbehörden starteten eine Suchaktion und fanden die Maschine brennend vor.

Mit Hubschraubern wurde von indonesischen Polizeieinheiten Nachschau gehalten, was mit der vermissten Susi-Air-Maschine geschehen ist.
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Das indonesische Militär erklärte, dass das Flugzeug von der Organisasi Papua Merdeka ("Organisation für ein freies Papua", OPM) in Brand gesteckt wurde und die Insassen als Geiseln entführt worden seien. Noch am selben Tag bestätigte der Sprecher der OPM, Sebby Sambom, die Angaben. Er erklärte, dass der Angriff von dem örtlichen Kommandeur Egianus Kogoya durchgeführt wurde. Kogoya ist ein Anführer der Tentara Pembebasan Nasional Papua Barat ("Nationale Befreiungsarmee Westpapuas", TPNPB), die den militärischen Arm der OPM darstellt.

Der TPNPB-Kommandant Egianus Kogoya mit dem gekaperten und später angezündeten Flugzeug.
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Die fünf Passagiere – indigene Papuaner – wurden rasch freigelassen. Doch der Pilot werde gefangen gehalten, bis die indonesische Regierung die Unabhängigkeit Westpapuas anerkenne, andernfalls werde er getötet, wurde verlautbart.

Berüchtigte Armeeeinheit

Mehrtens hätte 15 Arbeiter aus Paro ausfliegen sollen, die zuvor von den Separatisten bedroht worden waren, weil sie sie für Agenten Jakartas hielten. Die Arbeiter wurden nun ebenso wie die kurzzeitig gekidnappten Passagiere mit Polizeihubschraubern in Sicherheit gebracht.

Mit Polizeihubschraubern wurden am 8. Februar die Passagiere des Susi-Air-Flugzeuges und Arbeiter aus Paro nach Timika in Sicherheit gebracht.
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Susi Air ist nach der Besitzerin und ehemaligen Fischereiministerin Susi Pudjiastuti benannt. Sie rief Anfang März die Entführer auf, ihren Piloten freizulassen.
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In der Folge flog die indonesische Armee zwei Bataillone der berüchtigten Spezialeinheit Kopassus in das Gebiet ein und versuchte, die Einheit Kogoyas zu isolieren. Zu diesem Zweck wurden auch tausende Zivilisten aus dem Gebiet gebracht, um zu verhindern, dass die Separatisten Unterstützung aus der Bevölkerung erhielten. Kopassus-Einheiten waren bereits 1996 bei der Beendigung einer mehr als vier Monate dauernden Entführung mehrerer WWF-Mitglieder im ebenfalls im Hochland gelegenen Mapenduma in Einsatz. Fünf Soldaten, acht Separatisten und zwei Geiseln starben damals. Einer der getöteten Unabhängigkeitskämpfer war Daniel Yudas Kogoya – der Vater von Egianus Kogoya.

Die TPNPB veröffentlichte bald Fotos und Videos, die Mehrtens umringt von Kämpfern zeigen. Die Forderung nach der Unabhängigkeit wurde erneuert, die indonesischen Behörden behaupteten hingegen, Kogoya habe Waffen im Tausch gegen den Gefangenen gefordert, was man abgelehnt habe.

Die Kämpfer der Befreiungsarmee Westpapuas veröffentlichten bald nach der Entführung Bilder und Videos des Piloten.
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Der entführte Phillip Mehrtens trägt ein T-Shirt der "Organisation für ein freies Papua".
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Offensive trotz Verhandlungsbereitschaft

Der emeritierte australische Politologieprofessor Damien Kingsbury wurde bereits im Februar von der TPNPB als Vermittler mit der neuseeländischen Regierung akzeptiert, doch diese erklärte Ende Mai, andere Gesprächskanäle zu suchen. Die Separatisten waren zu diesem Zeitpunkt bereits offenbar frustriert von der festgefahrenen Situation, in der vonseiten Neuseelands wenig Einsatz zu bemerken war. Schon im März hatten die indonesischen Truppen eine Offensive gestartet, um Mehrtens mit Gewalt zu befreien – obwohl die TPNPB zuvor Verhandlungsbereitschaft gezeigt und vor militärischen Befreiungsversuchen gewarnt hatte: Diese würden das Leben des Gefangenen gefährden. Für die Separatisten waren die indonesischen Angriffe der Beweis dafür, dass sich Neuseelands Regierung nicht ausreichend eingebracht hatte – schließlich hatte Wellington zuvor eine gewaltfreie Lösung der Krise gefordert.

"Freund und Familienmitglied"

Kingsbury erklärte, dass die Separatisten aus seiner Sicht den neuseeländischen Wechsel der Kommunikationskanäle nicht akzeptierten. Sie befürchteten demnach, dass Wellington die Beziehungen zu Jakarta höher priorisiere als Mehrtens' Schicksal und die Gespräche schleifen lasse, während die indonesischen Truppen militärisch Tatsachen schaffen würden. Jedenfalls gaben die Entführer Ende Mai bekannt, sie würden Mehrtens töten, wenn nicht binnen zwei Monaten ernsthafte Verhandlungen über ihre Forderungen geführt würden. Dass tatsächlich die Ermordung Mehrtens' eine Option der Separatisten war, ist zweifelhaft, denn nach Ablauf der Frist im Juli erklärte Sebby Sembom, der Pilot sei ein "Freund und Familienmitglied" der TPNPB.

"Freund und Familienmitglied" Phillip Mehrtens mit der verbotenen westpapuanischen Morgensternflagge in der Hand.
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Optimistische Geisel

Mehrtens selbst erklärte in den Videobotschaften mit der verbotenen westpapuanischen Morgensternflagge in der Hand, er werde gut behandelt und versorgt. Er zeigte sich optimistisch, ging jedoch bereits in den ersten Videos davon aus, noch geraume Zeit nicht heimkehren zu können. Ende April warnte er eindringlich vor gewaltsamen Befreiungsversuchen. Es sei drei Monate her, dass er aus Paro entführt wurde. Wie man sehen könne, "bin ich immer noch am Leben. Ich bin gesund, ich habe genug zu essen und zu trinken. Ich lebe mit den Leuten hier." Man bewege sich je nach Bedarf gemeinsam von Ort zu Ort: "Wir sitzen zusammen, wir ruhen uns zusammen aus. Indonesien hat in der vergangenen Woche Bomben in der Gegend abgeworfen. Bitte, das ist nicht nötig, es ist gefährlich für mich und alle hier. Danke für Ihre Unterstützung", sagte Mehrtens damals. Die militärische Vorgehensweise Indonesiens hat seit März zumindest 15 Soldaten das Leben gekostet, aufseiten der TPNPB starben zumindest zehn Menschen.

Phillip Mehrtens rief dazu auf, keine militärische Befreiungsaktion zu versuchen.
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Freilassung gefordert und angekündigt

Ob die neuerlichen Aufrufe Wellingtons zur Beendigung der Geiselnahme nun Früchte tragen werden, bleibt abzuwarten. Mehrtens' fortgesetzte Gefangenschaft diene niemandes Interessen, sagte Außenminister Winston Peters am Dienstag. Man arbeite mit einer Reihe von Regierungsbehörden weiterhin intensiv mit den indonesischen Kollegen zusammen, um die Freilassung zu erreichen. Auch Jakarta erklärte, man setzte auf Verhandlungen mithilfe von Vertretern von Religionsgemeinschaften und Gemeinden.

Die Rebellen kündigten am Mittwoch die Freilassung Mehrtens' an. Der TPNPB-Generalstabschef Terianus Satto sagte, dass der Pilot freigelassen werde, um die Menschlichkeit und die Menschenrechte zu bewahren. Einen Zeitpunkt für die Freilassung nannte Satto nicht.

Ein indonesischer Militärsprecher gab bei einer Pressekonferenz zum Stand der Offensive gegen die Rebellen am 16. April den Tod eines Soldaten bekannt. Mittlerweile sind 15 Soldaten getötet worden, zehn Separatisten kamen ums Leben.
APA/AFP/ADEK BERRY

Fragmentiertes Westpapua

Dass sich Neuseeland in den Gesprächen mit Indonesien für die Sache der Westpapuaner einsetzen könnte, scheint ausgeschlossen zu sein. Für Indonesien, das de facto als Kolonialmacht agiert, ist das rohstoffreiche, aber kaum erschlossene Gebiet wirtschaftlich enorm wichtig. Seit langem werden gezielt Personen aus anderen Landesteilen hier angesiedelt – mittlerweile sind mehr als vierzig Prozent der Einwohner Westpapuas nichtmelanesischen Ursprungs. Die Region wurde ursprünglich als eine einheitliche Provinz verwaltet, 2003 jedoch in zwei Teile geteilt und im Jahr 2022 auf sechs Provinzen fragmentiert. Bei den indonesischen Generalwahlen werden kommende Woche damit auch erstmals die Abgeordneten der neuen Provinzen bestimmt – zweifellos ein weiterer Schritt, um die indonesische Herrschaft zu zementieren und die Autonomie der Region zu schwächen. (Michael Vosatka, 7.2.2024)