Beleidigungen auf einer Social-Media-Plattform
Symbolfoto: Häme und Hass in sozialen Medien haben enorme Wirkmacht und ufern in regelmäßigen Abständen immer wieder völlig aus. Mit dem Digital Services Act versucht die Europäische Union, auch dieses Problem in den Griff zu bekommen.
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In den Augen vieler Menschen sind Social-Media-Portale vornehmlich zu Kanälen für Hassbotschaften, Desinformation und demokratiefeindliche Kampagnen geworden. Man hat vielleicht längst aufgehört, auf diesen Plattformen "mitzureden", oder den einen oder anderen Account überhaupt gelöscht. Zwar ist das verständlich. Man überlässt damit aber den Trollfabriken, ihren willfährigen Mitläufern und all jenen, die undifferenziert substanzlose Meinungen hinausposaunen wollen, das Feld. Man akzeptiert, dass sie das eigentlich praktische Werkzeug Social Media unbrauchbar machen.

Es hat gedauert, bis Gesellschaft und Politik begannen, sich zu wehren. Nationale Reformen zur Strafverfolgung wurden bisher vielfach als zahnlos kritisiert. Neue Hoffnung bringt der vor kurzem vollständig in Geltung getretene Digital Services Act (DSA), mit dem die EU ergänzend zur nationalen Strafverfolgung auch die Betreiber von Social-Media-Plattformen viel stärker in die Pflicht nimmt. Bis das EU-Gesetz seine Wirkung voll entfalten kann, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Die Regeln müssen exekutiert, Strafen verteilt, Streitfälle ausjudiziert werden und die Folgen auf die Online-Kultur einwirken. Die Frage ist: Hat der DSA das Zeug dazu, Social Media wieder zu einem angenehmeren Platz zu machen?

Empfindliche Strafen für große Plattformen

Clara Rauchegger, die sich an der Universität Innsbruck mit Europarecht und Recht der Digitalisierung beschäftigt, ist durchaus optimistisch. "Ich glaube schon, dass die Effekte des DSA spürbar sein werden – spätestens dann, wenn die EU-Kommission den großen Plattformen empfindliche Strafen auferlegt", sagt die EU-Rechtlerin. "Gleichzeitig dürfen sich die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten nicht zurücklehnen. Wir brauchen mehr Know-how und zusätzliche Ressourcen bei den nationalen Behörden, um Straftaten effizient verfolgen zu können. Rechtsanwälte und NGOs sagen durchaus, dass da noch viel mehr möglich ist."

Durch den DSA sollen illegale Inhalte nicht punktuell, sondern auf breiter Basis unterbunden werden. Allerdings sind weiterhin die Nutzerinnen und Nutzer gefragt, Inhalte als rechtswidrig zu melden. Die großen Plattformen, für die die strengsten Regeln gelten, sind nun aber tatsächlich verpflichtet, aktiv zu werden und offensichtlich illegale Inhalte zu löschen. Melder und Posting-Autor müssen zeitnah Feedback bekommen und können Einspruch erheben. Die Betreiber müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass das Meldesystem nicht missbraucht wird.

Vorrangig bearbeitet werden Eingaben von "vertrauenswürdigen Hinweisgebern". Für diese Rolle können sich Expertinnen und Experten, Wissenschafterinnen und Wissenschafter oder NGOs bewerben – in Österreich gehört etwa der Antirassismusverein Zara dazu. Erstmals bekommt zudem auch die Forschung einen Zugang zu Nutzerdaten und darf die Arbeitsweise der Plattformen analysieren. "Mit diesem Maßnahmenpaket hofft man, auch organisierte Einflussnahme durch Fake-Accounts mit wiederkehrenden Inhalten oder Hatespeech-Bots in den Griff zu bekommen", sagt Rauchegger.

Massives Lobbying gegen Werbebeschränkung

In der Vergangenheit wurden Millionen Nutzerdaten für Wahlbeeinflussung missbraucht. In Erinnerung blieb der Skandal um das Unternehmen Cambridge Analytica, das Facebook-Profile für den US-Wahlkampf 2016 und die Brexit-Kampagne illegal auswertete. "Im DSA gibt es keine spezifische Regelung zur Wahlbeeinflussung", räumt Rauchegger ein. "Was aber helfen könnte, sind die Vorschriften zur Werbetransparenz und die Einschränkung von gezielter Werbung." Unter anderem muss klar ersichtlich sein, wer Werbung schaltet und bezahlt und warum man sie zu sehen bekommt.

Gleichzeitig gibt es ein vollkommenes Verbot personalisierter Werbung, die auf sensiblen Daten wie ethnischer Herkunft, sexueller Orientierung oder politischer Meinung basiert. "Dass man dieses Verbot durchsetzen konnte, war eine Überraschung", sagt die EU-Rechtlerin. "In Brüssel gab es massives Lobbying dagegen – ein Zeichen dafür, dass diese Praktiken bisher im großen Ausmaß üblich waren."

Unternehmenszentrale des Social-Media-Dienstes X
In Downtown San Francisco strahlt das Firmenlogo X auf dem Dach der Unternehmenszentrale des ehemals als Twitter bekannten Social-Media-Konzerns. Seitens der Onlineplattform gibt es heftigen Widerstand gegen den Digital Services Act der Europäischen Union.
AP/Noah Berger

Verhaltenskodex für Politiker

Für Rauchegger ist eines der wichtigsten Elemente des DSA die abgestufte Systematik, bei der Riesen wie Facebook, Tiktok oder Alibaba die strengsten Regeln auferlegt wurden. Sie werden von der EU-Kommission selbst kontrolliert. "Einzelne Betreiber, etwa Elon Musk mit seinem X, vormals Twitter, versuchen sich gegen den DSA aufzulehnen. Bereits in der Vergangenheit schreckte die EU-Kommission aber nicht davor zurück, hohe Geldstrafen zu verhängen. Es ist also durchaus zu erwarten, dass sich die Betreiber letztendlich an den DSA halten werden", sagt Rauchegger.

Das vergleichsweise avancierte Regelwerk konnte in der EU auch deshalb durchgesetzt werden, weil in der EU selbst – anders als in den USA oder China – keine großen Plattformen entstanden. "Bei der Regulierung von KI im sogenannten AI Act, der den DSA ergänzt, musste man dagegen viel mehr Rücksicht auf eine in diesem Bereich stärkere Industrie in Europa nehmen", sagt die Expertin.

Abzuwarten bleibt, wie stark sich die spürbare Veränderung, die Rauchegger sieht, auf die Gesprächskultur im Netz auswirken wird. Viele Stimmen fordern weitere Maßnahmen. Zuletzt gab etwa die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) Handlungsempfehlungen an die Politik ab: Dazu gehören neben einem Ethikrat für politische Werbung und einer reformierten Medienförderung auch ein Verhaltenskodex für Politiker. Sie sollen als Vorbilder agieren und sich an "grundlegende Standards" halten. Letztendlich muss die Veränderung nicht nur von Behörden und Plattformen, sondern auch von den Nutzern selbst kommen. (Alois Pumhösel, 25.3.2024)