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Im Grunde ist so ein leerer Raum uninteressant. Noch dazu, wenn man nicht hinkommt. Andererseits sind genau diese Plätze der Stoff, aus dem die Tagträume von Buben – das behaupte ich jetzt einmal so, weil ich noch keine Frau getroffen habe, die nur eine Spur von Begeisterung bei der Erwähnung jener Orte gezeigt hätte – aller Altersstufen sind: Seit ich dort war, weiß ich, dass eine kleine Erwähnung der Höhlen genügt, den Entdecker im Städter zu wecken. Spätestens dann, wenn ich sage, wo sie sind: Unter dem Gürtel nämlich.

Es war vor Jahren. Irgendwie war das Gespräch wieder mal darauf gekommen, dass der Gürtel unter die Erde verlegt werden müsste. Und inmitten all der Sager über die Mühseligkeiten, Abgase zu entlüften, Auf- und Abfahrten zu schaffen und was Unfallstellen abzusichern, sagte einer, dass es die Tunnels ohnehin schon gäbe: Dort wo Mariahilfer Straße und Gürtel aufeinander träfen, gäbe es unter jeder Gürtelrichtungsfahrbahn eine Röhre. Dreispurig. Das einzige was fehle, wären die Auf- und Abfahrten. Und – ja – wenn wir ihm nicht glauben, könne er es sogar arrangieren, dass wir diese Tunnel besichtigen könnten.

Zwei Löcher

Ein paar Wochen später waren wir drinnen: Hinter einer jener Türen in den weißen Wänden der meisten U-Bahn-Stationen – die man als Passant nur bemerkt, wenn unmittelbar vor einem plötzlich die Wand aufgeht, weil jemand herauskommt – führte ein Gang zunächst in einen riesigen Lagerraum voll alter Schwarzweißmonitore. Dann kam war eine stinknormale, kleine Zimmertür. Dahinter erstreckte sich in – sinnloser Weise ständig eingeschaltetem – mattflackernden Neonlicht der Tunnel. Und zwar ziemlich beeindruckend: Lang genug, um die Mariahilfer Straße bequem zu unterqueren. Und alle, die wir da unten standen hatten den gleichen Gedanken: Höchstens die U-Bahn könnte sich durch den Krach, den man hier schlagen könnte gestört fühlen. Egal ob in einem Club, in Proberäumen oder – meinetwegen – einem Schießkeller. Und zwar – wie unser Guide lächelnd anmerkt – gleich zweimal. Schließlich gäbe es ja auch noch den zweiten Tunnel.

Unser Guide genoss das Staunen. Deshalb legte er noch ein Schäuferl nach und führte uns drei Türen weiter. Plötzlich standen wir über der U-Bahn: Wie in einem Canyon bretterte die U3 zu unseren Füßen vorbei und entschwand wie ein glitzernden Wurm im Dunkel vor uns. Ein Traumszenario für jeden mittellustigen Film über urbane Endzeitszenarien, seufzte einer in unserer kleinen Gruppe. Ein Traum aller Geschäfts- und Museumsleute in der Umgebung, die dringend Lagerflächen in der Umgebung suchen, sagte unser Führer: Der leere Raum über der U-Bahn und unter der Straße ließe sich nämlich leicht und unproblematisch erstens nutzbar und zweitens zugänglich machen. Bloß habe halt beim U-Bahnbau keiner an so etwas gedacht. Und weil es ein bisserl mühsam wäre, jetzt darüber nachzudenken, gäbe es in der Stadt eben eine Menge Leute, die hoffen, dass diese Potenziale in ein paar Jahren einfach vergessen sein würden. Wir könnten es ja versuchen – er könne uns jetzt schon vorhersagen, dass alle Ideen und Wünsche in der Wattewand kommunaler Ideenabwürgungsbürokratie sehr schnell ersticken würden.

Unser Guide sollte recht behalten: Jedes Mal, wenn wir unsere Geschichte von den leeren Räumen unter der Stadt erzählten, leuchteten Augen. Dann kamen Ideen. Und ein par Wochen später seufzte jemand, dass man es in Wien halt nicht immer leicht habe. Schade. Denn insgeheim hoffen wir immer noch, dass einmal etwas in den Löchern passieren wird. Schon alleine weil unser Guide uns damals versprochen hat, uns noch ein paar andere geheime Plätze zu zeigen. Gegen die sollen die Gürteltunnels Besenkammerln sein. Die Schlüssel dafür habe er bei seiner Pensionierung mit zu sich nach Hause genommen.

Nachlese

--> Flugrattenpflege
--> Telefonieren für 0 Cent
--> Spaß mit den Nachbarn
--> Drei Zentimeter
--> Noch ein Zimmer
--> Eleanor Rigby
--> Quartierschreberei revisited
--> Weitere Stadtgeschichten ...