Vizekanzler Mitterlehner ist kein "Zahlenexperte"

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Für die wartenden Journalisten gab es anstatt eines Ergebnisses Schnitten.

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Finanzminister Schelling kurz vor Verhandlungsbeginn.

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Wien – Zumindest einmal geht's noch: Ein weiterer nächtlicher Verhandlungsmarathon hat am Samstag noch keine Einigung zwischen SPÖ und ÖVP zur Überarbeitung des Regierungsprogramms gebracht. Gegen Mitternacht vertagte man sich erneut. Am Sonntagnachmittag geht es weiter.

Es habe "intensive Arbeitssitzungen" gegeben, die Frage der Finanzierung für die Projekte sei dabei ausführlich diskutiert worden, sagte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) nach Mitternacht gegenüber Journalisten. Was man sich nun vorgenommen habe, sei "absolut in Reichweite", ebenso die "Methode", wie Einsparungen realisiert werden können, um sich das Paket leisten zu können.

Auftritt als Team "Sinn und Zweck der ganzen Übung"

Sonntagmittag – die Sechser-Runde trifft sich um 13 Uhr im Bundeskanzleramt – sollen dann jene Punkte, die weniger finanzielle Belastungen bedeuten, aber politisch wichtig seien, wie Integration, Sicherheit und andere Projekte, diskutiert werden, erklärte Kern weiter.

Der Kanzler betonte, dass es ihm wichtig sei, dass die Bundesregierung als Team auftritt: "Das ist Sinn und Zweck der ganzen Übung." Es solle eine Strategie gemeinsam umgesetzt werden. Nach der "Vorgeschichte" dieser Koalition, den "vielen quälenden Diskussionen", bei denen man eher den Anschein eines Gegeneinanders als eines Miteinanders gehabt habe, soll nun ein Team geformt werden, bei dem jeder seinen Beitrag leiste und gemeinsame Ziele verfolgt werden.

Die Finanzverhandlungen haben am Samstagabend begonnen.

Finanzminister Hans Jörg Schelling hatte schon am Nachmittag im APA-Gespräch erklärt: "Inhaltlich sind die wesentlichen Punkte diskutiert und vorbereitet. Da gibt es wenig Diskrepanzen. Der ganz große kritische Punkt ist jetzt die Gegenfinanzierung, und die Gegenfinanzierung kann nur durch Einsparungen erfolgen." Ein Abschluss ohne Gegenfinanzierungsmaßnahmen ist für Schelling jedenfalls nicht denkbar. "Die müssen hinein. Das ist eine Bedingung von mir."

Im Wesentlichen geht es im Verhandlungsfinale also um die Frage: In welchem Jahr treten welche Maßnahmen in Kraft und wie wirkt sich das auf das Budget aus? Die Experten des Finanzministeriums haben dazu bereits Kalkulationen angestellt. Am Sonntag soll noch einmal alles durchgerechnet werden. ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner wollte sich am Samstag auf keine Zahlenspiele einlassen, er sei "kein Zahlenexperte". Laut dem Vizekanzler liegt schon vieles am Tisch: "Wir wollen Klarheit." Es brauche aber zwei Partner, die ein gemeinsames Ergebnis erzielen.

Mehr Geld für Arbeitslose

Ein viel diskutiertes Thema waren beispielsweise die Kosten für Maßnahmen für ältere Arbeitnehmer. Die SPÖ möchte die Förderungen für langzeitarbeitslose Menschen, die älter als 50 Jahre sind, ausbauen. Die Angebote in sozialökonomischen Betrieben und gemeinnützigen Projekten sollen ausgebaut werden (mehr dazu hier).

Für die ÖVP ist das "kein ideologisches Problem", wie es heißt. Man sei aber skeptisch, ob die Kosten- und Nutzenrechnung stimme. Die Schwarzen haben ihrerseits wieder eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen aufs Tapet gebracht. Dabei geht es um längere Wegzeiten oder die Frage, ob Arbeitslose mit betreuungspflichten Kindern Jobs im MIndestausmaß von 20 Wochenstunden (statt bisher 16) annehmen müssen. Konsens gibt es hier aber noch keinen.

Verwirrung um Sozialpartner

Etwas Verwirrung herrschte zuletzt bei der Frage der Arbeitszeitflexibilisierung. Zunächst war von einer Auslagerung an die Sozialpartner die Rede, was ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner dann wieder relativierte. Im Gespräch ist nun, dass die Sozialpartner noch ein halbes Jahr Zeit bekommen, selbst einen Vorschlag zu machen und dass dann, sollten diese zu keinem Ergebnis kommen, ein fertig vorliegender Gesetzesentwurf durch die Regierung umgesetzt wird. Es geht dabei, wie berichtet, um die Anhebung der täglichen Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden in Betrieben mit Gleitzeitmodellen. Im Gegenzug sollen die Mitarbeiter längere Freizeitblöcke konsumieren können.

Klar dürfte mittlerweile sein, dass es keinen gesetzlichen MIndestlohn geben wird, dass die Sozialpartner aber aufgefordert werden, die 1.500-Euro-Marke rasch flächendeckend zu erreichen. Festgeschrieben haben wollen die Roten auch, dass man sich in Brüssel für eine Lohnschutzklausel einsetzt. Zur Erinnerung: Die SPÖ hätte gerne, dass EU-Ausländer in Branchen mit hoher Arbeitslosigkeit nur dann Jobs in Österreich annehmen dürfen, wenn das AMS keinen Inländer findet. Da dieses Thema ohnehin nicht national gelöst werden kann und sich in Brüssel keine Mehrheiten dafür abzeichnen, dürfte die ÖVP nichts dagegen haben, es als Ziel festzuschreiben – gleichzeitig mit dem Wunschm die Familienbeihilfe für EU-Ausländer zu indexieren.

Lohnnebenkosten senken

Weitgehend Konsens herrscht laut Verhandlern, dass es eine weitere Senkung der Lohnnebenkosten geben wird. Das endgültige Go gibt es aber auch hier erst, wenn die Gegenfinanzierung geklärt ist. Auch eine weitere Anhebung der Forschungsprämie (sie wurde erst Anfang 2016 von zehn auf zwölf Prozent angehoben) sowie weitere Investitionsanreize für Industriebetriebe und die Abschaffung der kalten Progression sind geplant.

Spannung rund um Sechserrunde plus Lopatka

All diese Punkte ging die "Sechserrunde", bestehend aus Kern, Mitterlehner, den Regierungskoordinatoren Thomas Drozda (SPÖ) und Harald Mahrer (ÖVP) sowie SPÖ-Klubchef Andreas Schieder und Hans Jörg Schelling, am Samstag ab 18.30 Uhr durch.

Anfangs ebenfalls dabei, weil sich die Termine etwas verschoben haben: ÖVP-Klubchef Reinhold Lopakta, weil auch die Reformen rund um das Wahlrecht kurz thematisiert werden sollten – einig war man sich etwa zuvor schon über einen vorgezogenen, zusätzlichen Wahltag.

Nach knapp dreißig Minuten war dieser Themenkomplex aber schon abgeschlossen – und der schwarze Klubchef verließ die Sechserrunde. Details zur Einigung gab es von seiner Seite vorerst nicht. Laut Verhandlerkreisen soll eine Enquete zum Wahlrecht im Gespräch gewesen sein.

Schieder drängt auf "verbindliche" Ergebnisse

Dafür drängte SPÖ-Klubchef Andreas Schieder bei seiner Ankunft auf "verbindliche" Ergebnisse. Erstaunt zeigte er sich über einzelne Wortmeldungen über fertige Ergebnisse von ÖVP-Seite – gemeint war offenbar Innenminister Wolfgang Sobotka, der tagsüber Inhalte der Sicherheitsgruppe ausplauderte, zum Teil aber wieder zurückrudern musste. Wie bereits in den vergangenen Tagen, sei es zentral, dass "intensiv" an "echten Ergebnissen" gearbeitet werde, die in den nächsten Wochen umgesetzt werden können, meinte Schieder.

Dass Mitterlehner meinte, die Verhandlungen könnten schon am Wochenende ins Finale gehen, quittierte Schieder mit dem Satz: "Mir wäre am liebsten gewesen, am Donnerstag oder Freitag alles fertig zu haben."

Kein Ultimatum mehr

Kern, der ursprünglich ein Ultimatum bis Freitag gesetzt hatte, hatte zuletzt den Druck etwas herausgenommen. Auch ein Ergebnis Anfang der kommenden Woche sei ausreichend, sagte er. Am Ende müssten aber alle Verhandler den Pakt auch unterschreiben, erklärte er – was Sobotka aber am Samstag prompt ablehnte.

Doch auch Schieder betonte am Abend, ihm sei wichtig, dass am Schluss jeder in der Regierung zu dem ausverhandelten Paket steht, denn schon oft habe er später Nachverhandlungen erlebt. Vorerst bleibt also weiter offen, ob die Koalition weiterhin aufrecht bleibt – oder ob es vorgezogene Neuwahlen gibt. (go, nw, APA 28.1.2017)