Carmen Thornton ist selbstständige Rechtsanwältin in Wien. Ihre Kanzlei ist spezialisiert auf Trennungen und Scheidungen sowie Obsorge- und Unterhaltsverfahren. Auf derStandard.at/Familie beantwortet sie rechtliche Fragen bezüglich des Familienlebens.

Foto: Jana Madzigon

Derzeit sind 16,9 Prozent der österreichischen Bevölkerung armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Vor allem Kinder trifft das hart.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Vor knapp drei Jahren haben sich die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten aller Parteien in der Elefantenrunde vor der Nationalratswahl 2017 in ungewohnter Einigkeit für einen staatlich garantierten Mindestunterhalt für Kinder in Höhe von 250 Euro pro Monat ausgesprochen. Doch leider erfüllten sich die Hoffnungen der vielen Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher nicht, denn das Interesse, den Versprechungen auch Taten folgen zu lassen, nahm nach der Wahl deutlich ab. Eine Umsetzung der Ankündigung aus dem Jahr 2017 ist bis heute nicht erfolgt, obwohl eine Unterstützung von Alleinerzieherinnen und Alleinerziehern dringend notwendig wäre.

Kindesunterhalt liegt oft unter der Armutsgrenze

Aktuelle Zahlen der Armutskonferenz im Mai 2020 zeigen nämlich: In Österreich sind derzeit 16,9 Prozent der österreichischen Bevölkerung (knapp 1,5 Millionen Menschen) armuts- oder ausgrenzungsgefährdet, und besonders betroffen sind Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher und deren Kinder. Ein alleinerziehender Elternteil mit einem Kind gilt als armutsgefährdet, wenn er weniger als 1.671 Euro im Monat zur Verfügung hat. Bei zwei Kindern liegt die Armutsgrenze bei 2.056 Euro. Für jedes Kind braucht man also zumindest 385 Euro, um nicht armutsgefährdet zu sein.

Der Kindesunterhalt wird hingegen vom Einkommen des geldunterhaltspflichtigen Elternteils berechnet und beträgt im Regelfall zwischen 16 Prozent (bis sechs Jahren) und 22 Prozent (ab 15 Jahren) des monatlichen Nettoeinkommens. Bei zusätzlichen Sorgepflichten (wie etwa mehreren Kindern) reduzieren sich diese Prozentsätze. Wenn der unterhaltspflichtige Elternteil wenig verdient, reicht dieser Betrag oft bei weitem nicht aus, um die notwendigen Kosten für das Kind zu decken und ist oft sogar niedriger als der versprochene Mindestunterhalt von 250 Euro.

Erschwerend kommt hinzu, dass Kinderbetreuungskosten, die aufgrund einer Berufstätigkeit des betreuenden Elternteiles notwendig sind (zum Beispiel für Kindergarten, Hort oder eine Tagesmutter), nach der Rechtsprechung keinen Sonderbedarf darstellen und daher aus dem laufenden Unterhalt bezahlt werden müssen. Das führt dazu, dass sich eine Vollzeitbeschäftigung aufgrund der zusätzlichen Kosten für die Nachmittagsbetreuung finanziell oft gar nicht lohnt. Bei einem Teilzeiteinkommen von etwa 1.000 Euro im Monat kommt man mit einem monatlichen Unterhaltsbetrag von 250 Euro oder weniger selbst mit der Familienbeihilfe nicht einmal über die Armutsgrenze.

Kinderarmut ist ein Gesellschaftsproblem

Es ist daher offensichtlich, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Kinderarmut ist ein Gesellschaftsproblem, das sich oft über mehrere Generationen fortsetzt. Welche Zukunftschancen Kinder haben, hängt maßgeblich vom sozialen und wirtschaftlichen Status der Eltern ab. Kinder, die in Armut aufwachsen, haben schlechtere Bildungschancen und soziale Nachteile.

Notwendig wäre daher ein staatlich garantierter Mindestunterhalt, der sich am Bedarf orientiert und es Alleinerzieherinnen und Alleinerziehern ermöglich, zumindest die notwendigsten Kosten für ein Kind zu bestreiten. Derzeit wird der durchschnittliche finanzielle Bedarf eines Kindes, der natürlich maßgeblich vom Alter des Kindes abhängt, in den sogenannten Regelbedarfssätzen erfasst. Diese basieren allerdings auf einer Erhebung aus dem Jahr 1964 und sind (trotz regelmäßiger Anpassung) in der Realität vollkommen ungeeignet. Aktuell beträgt der Regelbedarfssatz für Kleinkinder (null bis drei Jahre) gerade einmal 213 Euro, für Volksschulkinder (sechs bis zehn Jahre) 352 Euro pro Monat. Alle Eltern wissen aber aus eigener Erfahrung, dass die tatsächlichen Kosten für ein Kind weit höher sind. Und wenn nach den aktuellen Zahlen der Armutskonferenz zumindest ein Betrag von 385 Euro pro Kind benötigt wird, wird sofort klar, dass die österreichischen Regelbedarfssätze selbst bei bescheidenen Lebensverhältnissen nicht ausreichend sind, um ein Kind angemessen versorgen zu können.

Um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, müssten daher die Regelbedarfssätze an die realen Begebenheiten angepasst werden und sichergestellt werden, dass jedes Kind zumindest einen Unterhalt in Höhe des Regelbedarfs bekommt. Wenn der nach der Prozentwertmethode ermittelte Unterhalt niedriger ist als der Regelbedarf, weil der Unterhaltspflichtige sehr wenig verdient, sollte die Differenz vom Staat übernommen werden. In einem der reichsten Länder der Welt muss es möglich sein, dass jedes Kind unabhängig vom Einkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils einen angemessenen Unterhalt bekommt und auch Kinder von Alleinerzieherinnen und Alleinerziehern angemessene Zukunftschancen haben. Das sollte in der Politik – unabhängig von den parteipolitischen Befindlichkeiten – eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. (Carmen Thornton, 18.8.2020)