Österreich stehe in der EU ziemlich allein auf weiter Flur, sagt der ehemalige Diplomat und Kreisky-Sekretär Thomas Nowotny im Gastkommentar. Leonore Gewesslers Anti-Atomstrom-Position diene lediglich der innenpolitischen Profilierung der Bundesministerin.

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Staaten wie etwa Frankreich setzen seit langem schon auf Atomstrom: Die Kühltürme in Dampierre-en-Burly sind nicht zu übersehen.
Foto: Reuters / Benoit Tessier

Österreich hat sich verpflichtet, ab 2030 hundert Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Quellen – also ohne Ausstoß von Treibhausgasen – herzustellen. In diesen verbleibenden acht Jahren wird der Bedarf an Elektrizität zugleich weiter, und zwar stark ansteigen. Besonders hoch wäre der zusätzliche Verbrauch von Elektrizität, wenn in der Industrie von fossilen Energieträgern auf Elektrizität umgestellt würde – zum Beispiel in der Stahlerzeugung.

Der weitere Ausbau der österreichischen Elektrizitätserzeugung aus heimischen, nicht fossilen Quellen stößt an seine Grenzen. Das Potenzial von Wasserkraft ist weitgehend ausgeschöpft. Topografie, Witterung und die recht dichte Besiedlung des Landes behindern die großflächige Nutzung von Solar- und Windenergie.

Vier Argumente dagegen

Schon jetzt muss ein Viertel der in Österreich verbrauchten Elektrizität aus dem Ausland importiert werden. Ein Großteil davon wurde in ausländischen Kohle- und Atomkraftwerken erzeugt. Zwangsweise müssen sich diese Stromimporte erhöhen und damit auch der Anteil des Atomstroms an dem in Österreich verbrauchten Strom. In Österreich selbst aber darf Atomstrom nicht erzeugt werden. Das verbietet ein 2011 einstimmig sogar in den Verfassungsrang erhobenes Gesetz.

Die Gegner der Nutzung von Atomenergie stützen sich hauptsächlich auf vier Argumente: Wie die Unfälle in Tschernobyl und Fukushima gezeigt hätten, wäre die Nutzung der Kernenergie einfach zu gefährlich. Auch sei der Bau von Kernkraftwerken finanziell aufwendig und die Elektrizitätserzeugung durch Kernkraft daher unwirtschaftlich. Noch dazu wäre die Frage der Endlagerung der verbrauchten radioaktiven Brennstäbe nicht gelöst. Und schließlich würde die friedliche Nutzung der Kernenergie den Weg öffnen zu einer wenig friedlichen Nutzung, also zur Herstellung von Atomwaffen.

Der Sicherheitsaspekt

Der erste Einwand ist der wohl gewichtigste. Es ist auch jener, welcher den Beschluss des österreichischen "Atomsperrgesetzes" motiviert hatte. Mit Befürchtungen über katastrophale Folgen des Unfalls in einem Atomkraftwerk muss man sich daher auch ernsthaft auseinandersetzen. In Fukushima war die auslösende Ursache eine gigantische, durch ein Seebeben ausgelöste Flutwelle (Tsunami), welche die Notstromaggregate des Kernkraftwerkes außer Betrieb gesetzt hatte. Die Katastrophe in Tschernobyl wurde durch ein verantwortungslos riskantes Experiment ausgelöst, bei dem es zum Aussetzen der Stromversorgung kam, welche zum Betrieb des Kühlwassersystems notwendig gewesen wäre.

Aber selbst wenn man diese beiden auf so ungewöhnliche Art ausgelösten Unfälle in der Bilanz einschließt, welche die durch die unterschiedlichen Arten von Energieerzeugung verursachten Todesfälle registriert, selbst dann zeigt sich, dass – so gemessen – die Stromerzeugung durch Atomkraft die bei weitem sicherste Art der Stromerzeugung ist. Diese Einsicht fußt auf einer immerhin schon mehr als sechzigjährigen Erfahrung mit der friedlichen Nutzung der Kernkraft.

Kann der Betrieb eines Atomkraftwerkes auch dazu genutzt werden, um Atomwaffen zu entwickeln? Ja, aber davon haben nur einige, sehr wenige, sich in einer Ausnahmesituation befindliche Staaten (wie Israel) Gebrauch gemacht. In allen übrigen Fällen hat die Atomenergiebehörde IAEA wirksam darüber gewacht, dass die Atomkraftwerke nicht auf diese Weise ihrem Zweck entfremdet werden.

"Die Politik muss sicherstellen, dass auch in Zukunft Elektrizität stets verlässlich zur Verfügung stehen wird."

Das Problem der Endlagerung von Atommüll ist in der Tat ungelöst. Mit der Zwischenlagerung des Atommülls in Wasserbecken hat es aber bislang keine gröberen Probleme gegeben. Und ja, der Bau von Atomkraftwerken ist extrem kostspielig – zumindest der Bau von Kraftwerken des bisher gängigen Typs. Aber dafür sind dann die laufenden Kosten des Betriebs der Kraftwerke geringer und die für den Bau aufgenommenen Kredite infolge der jetzigen Niedrigzinsen leichter abzuarbeiten. Außerdem verteuert sich die alternative Energieerzeugung aus fossilen Quellen durch die künftigen Ökosteuern, und man arbeitet zurzeit an der Entwicklung von kleineren, modularen Reaktoren (SMR), die in Serie und vorgefertigt und daher auch billiger hergestellt werden könnten.

Der entscheidende Beitrag der Kernkraftwerke ist aber deren Funktion zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit. Die Politik muss sicherstellen, dass auch in Zukunft Elektrizität stets verlässlich zur Verfügung stehen wird. Ein länger dauernder Ausfall der Stromversorgung hätte katastrophale Folgen. Will man die Kohle- und Gaskraftwerke abschalten, weil deren Betrieb mit dem Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen verbunden ist, dann könnten nur die emissionsfrei arbeitenden Atomkraftwerke diese Grundversorgung sicherstellen.

Weg freimachen

Gemäß der Internationalen Atomenergie Agentur IAEA sind zurzeit weltweit 50 neue Kernkraftwerke in Bau; einige davon auch in Europa.

In der Europäischen Union geht es nun darum, Atomkraft als Quelle für die Lieferung von emissionsfrei erzeugter Energie anzuerkennen und auch den Weg für die Entwicklung der SMR-Reaktoren freizumachen. Dagegen hat sich eine kleine Gruppe von Staaten gestellt, die Österreich einschließt. Deren einst prominentestes Mitglied Deutschland ist aber aus der Gruppe ausgeschieden. Im Widerstand gegen Atomkraft und deren Weiterentwicklung steht Österreich in der Union also ziemlich allein auf weiter Flur. Dementsprechend wird Österreich einen Beschluss zur Anerkennung der Atomkraft als "emissionsfrei" nicht verhindern können. Dennoch droht Umweltministerin Leonore Gewessler einen solchen Beschluss später durch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof außer Kraft setzen zu wollen. Das dient lediglich der innenpolitischen Profilierung der Bundesministerin als Hüterin der reinen Lehre.

"Österreich erweist sich dadurch lediglich und wieder einmal als unsolidarischer Störenfried."

Das vorgeblich angestrebte Ziel wird durch eine solche Klage sicher nicht erreicht. Österreich erweist sich dadurch lediglich und wieder einmal als unsolidarischer Störenfried. Außenpolitisches Kapital kann verspielt werden. Viel ist schon verspielt worden. Stattdessen sollte sich Österreich zur Sicherstellung der Versorgung mit Elektrizität an der Entwicklung der kleinen, modularen Atomreaktoren beteiligen. Das Atomsperrgesetz würde das nicht verhindern. (Thomas Nowotny, 17.12.2021)