Manchmal wird Unmögliches doch wahr, so etwa diese Woche: Die endete für die ÖVP noch schlimmer, als sie begonnen hatte. Dabei war schon der Montag eine Katastrophe gewesen: Da war publik geworden, dass die Staatsanwaltschaft nun auch gegen Klubchef August Wöginger ermitteln will, außerdem hatte DER STANDARD über untergriffige Chats von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner berichtet. Am Freitag kam es noch dicker, nämlich mit einem raren politischen Nachgeben und einer Watsche in der Kronen Zeitung: Kolumnist Michael Jeannée, normalerweise der ÖVP recht zugetan, richtete Karl Nehammer aus: "Ich glaube nicht, dass Sie der richtige Kanzler sind."

Gleichzeitig erfolgte der vorläufige Abzug des Kärntner Verfassungsschutzchefs Stephan Tauschitz, dessen Bestellung internationale Kritik ausgelöst hatte. Während der Woche hatten Landeshauptleute begonnen, die Impfpflicht zu demontieren, und die Grünen hatten sich erstmals öffentlich gegen eine Vorsitzführung beim aktuellen U-Ausschuss durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) ausgesprochen.

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Der ÖVP wird nichts anderes übrigbleiben, als sich einem Reinigungsprozess zu unterziehen und dann über ein klares politisches Programm nachzudenken.
Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Mittlerweile wirkt es fast so, als wäre Karl Nehammer nicht der neue ÖVP-Chef, sondern deren Masseverwalter. Laut einer Umfrage von OGM im Auftrag des Kurier glaubt mittlerweile nur mehr ein Prozent der Befragten, dass die ÖVP "weniger korrupt" als andere Parteien sei – das muss man drei Jahre nach Erscheinen des Ibiza-Videos, in dem die damalige FPÖ-Spitze die halbe Republik verhökern wollte, erst einmal schaffen.

Zugeschanzte Posten

Die Volkspartei ist nicht nur deshalb orientierungslos geworden. Schon unter Kurz war die inhaltliche Tiefe nicht gegeben – "FPÖ-Politik, nur modern" hatte sein Team in Strategiepapieren geschrieben. Mittlerweile ist aber völlig unklar, wofür die ÖVP steht. Der Slogan von der "Leistung, die sich lohnen muss", wird durch zugeschanzte Posten und Korruptionsfälle persifliert. Die angebliche Überwindung der Pandemie samt durch Kurz ausgerufener "cooler Zeit" ab Sommer 2021 wird durch die Einführung der Impfpflicht konterkariert.

Wahlplakate von 2019 liefern auch keine Hinweise, wie sich die ÖVP ausrichten wird: "Einer, der unsere Sprache spricht" ist angesichts der Chat-Zitate eher problematisch; von "Werten" ganz zu schweigen.

Man kann Häme über die ÖVP ausschütten – faktisch ist es aber bedenklich, wenn die nach Mandaten klar stärkste Partei, die noch dazu den Kanzler und viele Landeshauptleute stellt, in einem derartigen Zustand ist. Das lähmt nicht nur das Pandemiemanagement, sondern auch jedwede Weichenstellung für die Zukunft.

Fraglich ist auch, wo jene Österreicherinnen und Österreicher eine politische Heimat finden sollen, die konservativ denken, sich aber ob der Skandale enttäuscht von der ÖVP abwenden. Der Volkspartei wird nichts anderes übrigbleiben, als sich einem Reinigungsprozess zu unterziehen und dann über ein klares politisches Programm nachzudenken. Ihre Lage war schon vor der Übernahme von Kurz trist. Durch ihn wurde die ÖVP nicht inhaltlich revitalisiert, sondern gedopt und aufgehübscht.

Vielleicht ist es aber gar nicht möglich, sich als Regierungspartei so zu reformieren. Nach dreißig Jahren an der Macht wäre es jedenfalls keine Schande, auch einmal auf der Zuseherbank Platz zu nehmen – zumindest im Bund. (Fabian Schmid, 11.2.2022)