Dirigiert die Eröffnung und die erste Salzburger Opernpremiere: Teodor Currentzis.

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Salzburg – Die Ouverture spirituelle ist als nachdenkliche "Einschwingreihe" gedacht. Sie soll introvertiert jenen Ausnahmezustand herstellen, den die Salzburger Festspiele für sich ersehnen. Unter dem Titel Sacrificium wird am Dienstag im Großen Festspielhaus denn auch Kantor Naftali Wertheim eröffnen. Ihm folgt Schostakowitsch 13. Symphonie, bekannt als Babi Jar. Sie thematisiert das von den Nazis 1941 verübte Massaker an ukrainischen Juden, woran die UdSSR erst 1991 mit einem Denkmal erinnern wollte. Sollte es vor dem Festspielhaus zu Protesten kommen, wird jedoch nicht die UdSSR gemeint sein, sondern der Dirigent Teodor Currentzis. Er, der auch die Bartók/Orff-Premiere dirigieren wird, steht seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine inmitten einer Debatte um seine Haltung zum russischen Regime.

Currentzis, der mit seinem Ensemble MusicAeterna in St. Petersburg situiert ist, kritisierte 2017 zwar öffentlich den über Regisseur Kirill Serebrennikow verhängten Hausarrest. Zum Ukraine-Krieg jedoch: Schweigen. Currentzis hat auch nicht den offenen Brief unterschrieben, den Dirigent Vladimir Jurowski initiiert hat, um den Angriff zu verurteilen. Gleichzeitig wird sein Orchester von der VTB-Bank unterstützt, die auf der Sanktionenliste steht. Und der russischen Aeterna-Stiftung steht Elvira Nabiullina vor, russische Zentralbankchefin. Auch dass Currentzis in Russland unlängst eine von Gazprom gesponserte Tournee unternahm, macht ihn der Übernähe zum Regime verdächtig.

Vermutung gegen Vermutung

Das wirkt alles fragwürdig angesichts des brutalen Kriegs. Andererseits hat der Dirigent versucht, mit künstlerischen Mitteln zu reagieren. Er hat als Chef des SWR-Orchesters bewusst ukrainische Werke aufgeführt. Auch war im Konzerthaus mit MusicAeterna ein Benefizkonzert geplant, dessen Erlös der Caritas übergeben worden wäre. Da der ukrainische Botschafter das Geld nicht annehmen wollte, wurde das Konzert abgesagt.

Loyalität hingegen bei den Festspielen, Intendant Markus Hinterhäuser hält am Dirigenten fest. Er habe keine Bemerkung von Currentzis gefunden, die Sympathie für das System Putin oder den Krieg zum Ausdruck gebracht hätte. "Sein ganzes Wirken sehe ich als Gegenmodell. MusicAeterna setzt sich aus Musikern verschiedenster Herkunft zusammen, in der Hauptsache russische, aber auch ukrainische", so Hinterhäuser zur APA.

So kämpft Vermutung gegen Vermutung. Schweigt Currentzis, da er abhängig ist und sein Orchester schützen will oder weil er den Krieg befürwortet? Ist er ein Opportunist wie Karajan im Verhältnis zum Naziregime? Ist er ein Sympathisant wie Karl Böhm (Briefe mit einschlägigem "Führergruß" belegten es ...). Glaubt er, sich der Kunst unpolitisch widmen zu können? Eines Tages wird man mehr wissen. Nicht jeder "fühlt sich imstande, klar auszusagen, da eine solche Aussage unter Umständen der Person selbst oder ihren Angehörigen, Freunden und Arbeitskollegen in Russland Schaden zufügen könnte", heißt es im offenen Brief von Jurowski. Das zumindest würde Currentzis wohl unterschreiben. (Ljubiša Tošic, 19.7.2022)