Die Rechtsprechung ist zwar teilweise progressiv, dennoch gibt es einen Fleckerlteppich restriktiver Erlässe, sagen Conny Felice, Paul Haller und Anton Cornelia Wittmann von der HOSI Salzburg im Gastkommentar. Sie fordern: Österreich muss nachbessern. Lesen Sie zu dieser Debatte auch das Streitgespräch zwischen Grünen-Politikerin Faika El-Nagashi und Katta Spiel von der TU Wien sowie den Gastkommentar von Mihaela Pavlicev (Uni Wien) und Günter Wagner (Yale) zur biologischen Perspektive.

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Geschlechtseintrag per Selbstauskunft, ohne umstrittenes Gutachten, das soll in Deutschland bald möglich sein.
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Endlich soll in Deutschland das Transsexuellen-Gesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Das sorgt für viel Zuspruch, aber auch für heftigen Gegenwind. "Künftig soll es eine einheitliche Regelung für alle transgeschlechtlichen sowie nichtbinären und intergeschlechtlichen Menschen geben, die ihren Geschlechtseintrag oder ihre Vornamen ändern wollen", heißt es in der Zielsetzung des Papiers, das Justiz- und Familienministerium im Juni vorlegten. Von einer einheitlichen Regelung sind wir in Österreich weit entfernt.

Weltweit einzigartig

Gleich vorweg: Nicht alle trans, nichtbinären oder intergeschlechtlichen Menschen wollen ihren Vornamen oder Geschlechtseintrag rechtlich ändern lassen. Für manche ist es jedoch eine existenzielle Notwendigkeit. Wer möchte schon mit einem Geschlechtseintrag im Ausweis herumlaufen, der weder die eigene Geschlechtsidentität noch das äußere Erscheinungsbild (also den Geschlechtsausdruck) repräsentiert? Ein falscher Geschlechtseintrag kann Diskriminierung, Gewalt, Probleme im Beruf oder beim Berufseinstieg sowie im sozialen Leben bedeuten. Studien der EU-Grundrechteagentur zeigen auf, dass trans- und intergeschlechtliche Menschen besonders stark von Diskriminierung und Gewalt betroffen sind. Selbstbestimmung beim Geschlechtseintrag wird diese Probleme nicht gänzlich lösen, aber sie ist ein wichtiger und längst überfälliger Schritt.

Beim Personenstand sind wir in Österreich progressiv und restriktiv zugleich. So gibt es in Österreich – und das ist weltweit einzigartig – gleich sechs Optionen beim Geschlechtseintrag: weiblich, männlich, divers, inter, offen und die gänzliche Streichung des Geschlechtseintrags. Möglich machte dies die Klage einer intergeschlechtlichen Person. Alex Jürgen klagte auf Anerkennung der eigenen Geschlechtsidentität und bekam 2018 schließlich vor dem Verfassungsgerichtshof recht. Erstaunlich restriktiv ist Österreich beim Zugang zu den mittlerweile nicht ganz so neuen Geschlechtseinträgen. So müssen intergeschlechtliche Menschen wie Alex Jürgen medizinische Gutachten vorlegen, wenn sie eine der vier "alternativen Optionen" in Anspruch nehmen wollen.

"Von Selbstbestimmung sind wir noch weit entfernt."

Ein anderer Erlass regelt die Änderung des Vornamens und den Personenstandswechsel zwischen "weiblich" und "männlich" für trans Menschen. Auch hier sind wir von Selbstbestimmung noch weit entfernt. Bis 2006 durften Menschen nicht verheiratet sein, wenn sie ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollten. Ein De-facto-Scheidungszwang für manche trans Menschen. Bis 2009 galt der sogenannte Operationszwang. Neben unwürdigen körperlichen Begutachtungen mussten Menschen medizinische Eingriffe und Zwangssterilisationen an sich durchführen lassen, um in ihrem Geschlecht rechtlich anerkannt zu werden. Beide Regelungen verstoßen gegen die Menschenrechte und wurden durch Höchstgerichte gekippt. Bis heute ist ein Personenstandswechsel ein langwieriges, mit finanziellen und bürokratischen Hürden verbundenes Unterfangen. Selbstbestimmung Fehlanzeige.

Auch in Österreich braucht es ein umfassendes Selbstbestimmungsgesetz anstelle eines Fleckerlteppichs an restriktiven Erlässen. Zumal das geplante Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland nicht nur die Selbstbestimmung beim Geschlechtseintrag und der Vornamenswahl in Angriff nimmt, sondern auch geschehenes Unrecht wiedergutmachen möchte. So soll es "Anerkennungsleistungen", also Entschädigungszahlungen, für "trans- und intergeschlechtliche Personen geben, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen" waren. Auch die Förderung von Beratungsstrukturen für nichtbinäre, trans- und intergeschlechtliche Menschen ist vorgesehen. All das geht im öffentlichen Diskurs leider unter.

"Zu möglicherweise berechtigten Sorgen um die rechtliche Ausgestaltung des Selbstbestimmungsgesetzes gesellen sich immer öfter auch transfeindliche Argumente und rechte Rhetorik."

Eine hitzige Debatte ist in den letzten Wochen von Deutschland auf Österreich übergeschwappt. Zu möglicherweise berechtigten Sorgen um die rechtliche Ausgestaltung des Selbstbestimmungsgesetzes gesellen sich immer öfter aber auch transfeindliche Argumente und rechte Rhetorik. Trans Frauen wird darin ihr Frau-Sein abgesprochen, und das Wort "Frau" dürfe nicht verschwinden. Mitunter werden trans Frauen als potenzielle "Straftäter" dargestellt, die sich Zugang zu Frauenschutzräumen erschleichen wollen. Diese Rhetorik gleicht einer Opfer-Täter-Umkehr und geht auf Kosten von trans Frauen, die besonders häufig von Gewalt betroffen sind. Sie geht außerdem an den Lebensrealitäten von trans Menschen vorbei, macht diese unsichtbar und hat das Potenzial, geschlechtliche Minderheiten nachhaltig in ihren Rechten zu schwächen.

Get over it

Die Löschung des Wortes "Frau" ist freilich weder geplant noch eine Forderung von trans Aktivist:innen. Und ja, es gibt Frauen mit Penis – get over it. Die österreichische Rechtsprechung hat sich damit bereits vor über zehn Jahren beschäftigt. Der Verfassungsgerichtshof prüfte im Jahr 2009, ob eine trans Frau sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen müsse, um rechtlich als Frau anerkannt zu werden. Kurzantwort: Nein. Denn das würde Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und damit der Achtung des Privat- und Familienlebens widersprechen. Eine trans Frau kann rechtlich also auch ohne geschlechtsangleichende Operationen den Geschlechtseintrag "weiblich" erhalten. Sie gilt rechtlich damit als Frau. Ein Selbstbestimmungsgesetz würde daran nichts ändern, weder in Deutschland noch in Österreich. Warum fällt es uns so schwer, trans Frauen auch gesellschaftlich als Frauen anzuerkennen und ihnen Selbstbestimmung zuzugestehen? (Conny Felice, Paul Haller, Anton Cornelia Wittmann, 25.7.2022)