Der Schriftsteller Maxim Biller ist immer für einen Streit gut, ...

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... diesmal trifft es Autorenkollegin Eva Menasse.

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Abgesehen davon, dass immer noch neue Fälle von Juden verunglimpfenden Darstellungen auf der Documenta in Kassel auftauchen, die deshalb zwar nicht vorzeitig geschlossen, aber in den nächsten Monaten von sieben Wissenschafterinnen und Wissenschaftern unterschiedlicher Disziplinen begleitet werden soll, wie die Verantwortlichen am Montag mitteilten, gibt es ein Spin-off zum Antisemitismusstreit rund um die Schau.

Die Akteure sind die Schriftstellerin Eva Menasse und ihr Kollege Maxim Biller. Der stets Streitlustige mutmaßte vor eineinhalb Wochen in der Süddeutschen Zeitung (SZ) in einem mit "Wie links ist Eva Menasse?" betitelten Gastbeitrag über deren Haltung zum Judentum. "Was ist mit Eva Menasse passiert? Kann die Menasse nicht mehr schreiben? Kann sie nicht mehr denken?", fragt Biller mit gespielter Besorgtheit.

Kritik an reflexhafter Reaktion

Ja, was ist passiert? Billers Zorn zog ein Ende Juni im Spiegel erschienener Essay Menasses auf sich. Darin äußerte sie sich zu den antisemitischen Documenta-Kunstwerken. Sie fand das inkriminierte "Wimmelbild des Schreckens" des Kollektivs Taring Padi zwar nicht gut. Ob es abgehängt (wie geschehen), bloß verdeckt oder nur mit eine Erklärtafel versehen hätte werden sollen, wusste die lang schon in Berlin lebende Österreicherin nicht zu sagen. Aber sie wusste: "Ich habe (…) keine Angst vor zwanzig Jahre alten antisemitischen Karikaturen aus Indonesien, auch nicht vor denen, die sie gewebt oder gemalt haben."

Was Menasse kritisierte, war die reflexhaft aktivistische, oberflächliche Art, mit der gegen das Bild vorgegangen worden sei. Der "diskursive Reinigungsfuror" müsse erkennen, "gegen welchen Antisemitismus man sofort angehen muss" und gegen welchen nicht. Deutschland kriege man, meint Menasse, nicht "bald, vielleicht schon übermorgen, antisemitenfrei".

Welcher Antisemitismus ist es, gegen den vorzugehen sei? Wiewohl zuletzt der öffentliche "Fokus" auf "den muslimischen sowie den ziemlich vagen, irgendwie ‚kulturellen‘ oder linken Antisemitismus" gerichtet worden sei, habe sie Angst vor "Leuten, die versuchen, mit einer Maschinenpistole in eine vollbesetzte Synagoge einzudringen". Also vor "Neonazis".

"Drang zur Übererfüllung"

Menasse fehle die "Verhältnismäßigkeit der Debatten". Zudem ortete sie statt Expertise "Bauchgefühl" und, da "man nach all den Jahren im eigenen Purgatorium vollumfänglich verstanden zu haben glaubt, was Antisemitismus ist, und sich selbst frei davon wähnt", einen "deutschen Drang zur Übererfüllung" bei der Ahndung des Ungeists bei anderen. Sie vertrat eine in dieser Form in den medialen Debatten wenig präsente Meinung.

Biller hielt ihr, die in dem Text zudem ein Stück weit Verständnis für die mal als israelkritisch und mal als antisemitisch bezeichnete Kampagne BDS äußerte, dafür "demagogische Sprache und Logik", "neurechte Verdrehung von Gut und Böse, Opfer und Täter" vor. Am Ende mutmaßte er gar, Menasse habe "die Seiten" gewechselt, wolle keine Jüdin mehr sein, und konstruierte aus zusammengeklaubten Schnipseln unlautere Gedanken der Autorin: Sollten bei ihr "in einem kleinen Nebensatz aus Israelis Nazis werden? Ja, was sonst."

Erb- und Entscheidungsfragen

Menasse stieg darauf nicht ein. Stattdessen antwortete in der SZ Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main und bis Anfang Juli externer Berater der Documenta. Von der hat er sich zurückgezogen, weil bei den Machern Aufklärungswille fehle. "Wie jüdisch ist Eva Menasse?", diese Frage sieht er im Zentrum von Billers Text. Mit dem Titel "Gute Juden, linke Juden" meinte Mendel nicht, dass linke Juden gute Juden seien, im Gegenteil: Die Idee existiere, dass politisch linke, propalästinensische Juden keine "echten" Juden sein können, legte er dar.

In Menasses Fall kommt noch etwas hinzu. Mit Vienna hat die Autorin 2005 eine fulminante jüdische Familiensaga vorgelegt. Das anerkennt auch Biller. Doch: Nach dem orthodoxen Religionsgesetz, der Halacha, ist nur der jüdisch, dessen Mutter jüdisch ist. Menasse hat aber "nur" einen jüdischen Vater. 1938 entkam dieser vor den Nazis nach England. Nach dem Krieg kehrte Hans Menasse heim nach Wien und wurde Fußballnationalspieler. Die Mutter ist katholisch. "Ich habe mich mein ganzes Leben lang mit dieser Frage herumgeschlagen, was ich bin", zitierte Biller Menasse zum Zwiespalt. Und gab bissig Anweisung: "Man muss sich einfach nur entscheiden, das ist alles."

Spaltung mit Tradition

Das ist fast versöhnlich für Biller als Anhänger der orthodoxen Definition. Oder bloß willkommenes Sujet für eine weitere Spitze. In der Vergangenheit griff er verbal auch den wie Menasse patrilinear jüdischen Autor Max Czollek dafür an, dass er sich öffentlich als jüdisch bezeichnet. Es geht für Mendel in Billers Kritik an beiden also letztlich um die Frage, wer "echt" jüdisch sein und wer das entscheiden darf – und Mendel stellt sich gegen Billers "hegemonialen Versuch", dies "festzulegen".

Die Spaltung in zwei, mit Biller und Menasse nun aufeinanderprallende, Seiten erklärte Mendel beim Angriff Billers gegen Czollek so: Liberale Jüdinnen und Juden seien vor den Nazis eher in die USA geflohen, konservativere nach Osteuropa und Palästina. So verfestigten sich Sichtweisen. Billers Rigidität ist für Mendel hinterfragenswürdig. Binnenpluralität sei nämlich "die DNA jüdischen Denkens". (Michael Wurmitzer, 2.8.2022)