Viel Arbeit, aber auch viel Freude hat Wolfgang Handler in und mit seiner Gemischtwarenhandlung im Arsenal im dritten Wiener Gemeindebezirk.

Fotos: Robert Newald

Ganz verborgen am Haupteingang des Wiener Arsenals ist Herr Handler zu finden: ein Greißler, wie er früher einmal war.

STANDARD: Es gibt fast nichts, was es hier in Ihrem Laden nicht gibt, vom frischen Fisch bis zur Schuhpasta – wenn nicht lagernd, dann auf Bestellung. Nach welchen Kriterien stellen Sie das Sortiment zusammen?

Wolfgang Handler: Ich esse gern, und ich weiß, was gut ist. So suche ich mein Warenangebot aus – und offensichtlich passt es (lacht). Wenn ich etwas Neues entdecke, probier ich es aus. Kauft es niemand, ist es wieder weg. Für Stammkunden besorge ich natürlich, was gebraucht wird. Das inspiriert wieder andere Kunden.

Von Feinkost bis Schuhpasta – es gibt fast alles für den täglichen Bedarf beim Greißler im Arsenal.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Sie gehören keiner Einkaufsgemeinschaft an. Kann man ohne Adeg, Nah & Frisch oder Spar überleben?

Handler: Das weiß ich nicht, ich habe es nie mit ihnen ausprobiert. Der Steuerberater meines Vaters, der mir ein väterlicher Freund wurde, hat mir abgeraten. Er hatte gesehen, dass ich damals, in den 1990er-Jahren nach der Übernahme des Geschäfts von meiner Mutter, viel Initiative hatte. Einkaufsgemeinschaften schreiben den Händlern die Rabattaktionen vor, sogar einen Großteil des Sortiments – das hat mit Selbstständigkeit nicht mehr viel zu tun. Ich bin eher der Typ, der zum Großhändler geht und spezielle Konditionen aushandelt.

"Hereinspaziert", scheint Wolfgang Handler zu rufen. Die Tür zum Laden ist unscheinbar.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Seit wann verhandelt ein David mit einem Handels-Goliath?

Handler: In der Covid-Zeit war das so, da wurde mir das vom Großhandel geradezu aufgedrängt. Denen war die Gastronomie weggebrochen und mit ihr bis zu 30 Prozent der Kunden. Da war plötzlich einiges möglich bei den Konditionen. Wenn man über Jahre jede Woche in den Großmarkt fährt, entwickelt man ja eine Beziehung zu den Mitarbeitern dort – wie ich auch zu meinen Kunden. Wenn einer nicht mehr kommt, dann geht er mir ab! Besonders im ersten Lockdown fielen viele Händler und Wirte aus, ein Teil von ihnen ist nie wiedergekommen.

STANDARD: Das begann schon vor Corona, vor der Registrierkassenpflicht sperrten viele Gasthäuser zu. Jetzt könnte man darüber spekulieren, ob dies jene waren, die am Fiskus vorbeigewirtschaftet und Angst hatten, beim Finanzamt aufzufliegen ...

Handler: Diesen Widerstand und diese Verzögerungstaktik – auch der Wirtschaftskammer – hab ich nie verstanden. Das war sinnlos, denn es gab einen Stichtag und zwei Jahre Vorlaufzeit, das war zu schaffen. Ich habe mir damals ein teures System um 6.000 Euro angeschafft und bin vom Finanzamt sofort kontrolliert worden. Das war okay, ich bekam Rückmeldung, dass mein System passt, und alles war erledigt. Das kann sich vielleicht nicht jeder leisten, aber Probleme hatten vor allem jene, bei denen Kassensystem und Software nicht harmonierten.

Am Postschalter bilden sich oft lange Schlangen.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Wie haben Sie die Covid-Krise überlebt? Damals war es still im Arsenal. Wirtschaftsforschungsinstitut und Telekom Austria waren im Homeoffice, Heeresgeschichtliches Museum und Tennisplätze gesperrt ...

Handler: Sie werden es nicht glauben, aber besonders während des ersten Lockdowns lief das Geschäft super. Das waren die zwei besten Jahre. Denn die Bewohner im Arsenal haben Menschenansammlungen und Supermärkte, wie von der Politik empfohlen, gemieden und hier eingekauft. Das hat dann mit der Zeit wieder nachgelassen. Jetzt spüren wir die starke Teuerung.

STANDARD: Welche Waren und Produkte werden weniger nachgefragt, weil es (zu) teuer geworden ist?

Handler: Das kann ich so eindeutig gar nicht sagen. Den Trüffel-Gouda gönnt man sich vielleicht seltener, andere kaufen weniger, vielleicht nur zehn Deka statt 15. Aber der Bauarbeiter spart Gott sei Dank nicht bei seiner Jause.

Der Chef in seinem Element: Wolfgang Handler an der Kassa.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Mieten steigen, die Energiepreise explodieren. Können Sie die steigenden Kosten für Kühlung, Heizung, Strom und Miete in dieser Rasanz überhaupt weitergeben?

Handler: Die Fixkosten explodieren heuer, und ich bin froh, dass ich die Pacht zahlen kann. Noch geht es sich aus, aber sicher nicht ewig. Die Preise für Gebäck sind noch unverändert, aber Öl und Konserven kosten sehr viel mehr, Wurst und Käse werden fast täglich teurer. Ich kann knapp kalkulieren, weil ich viele Waren selbst vom Großhandel abhole, das macht's billiger. Früher kamen die Vertreter und Napoli, Manner und Coca-Cola und belieferten uns direkt, auch der Bierkutscher kam mehrmals die Woche. Das ginge sich heute nicht mehr aus, das wäre viel zu teuer.

STANDARD: Wie alt ist Ihre Kundschaft im Durchschnitt – salopp formuliert, vom Aussterben bedroht?

Handler: Nein, das stimmt so nicht mehr, sie verjüngt sich langsam. Aber in den 1990er-Jahren, als ich das Geschäft von meiner Mutter übernommen habe, sah es nicht rosig aus. Das war eine echte Durststrecke. Die Kinder der Beamten wurden erwachsen, zogen weg, nur die Alten blieben hier. Damit war das klassische Jausengeschäft dezimiert. In der Nähe hat dann auch noch eine Hofer-Filiale eröffnet, das haben wir natürlich gespürt.

STANDARD: Hat sich das Publikum seit der Privatisierung der Buwog verändert? Früher wohnten in den Bundeswohnungen im Arsenal Beamte und Bundesheerbedienstete, Supermärkte waren weit vom Schuss, die Verkehrsanbindung ausbaufähig ...

Handler: Es verändert sich sehr, es ziehen wieder junge Familien her. Jetzt ist der Mix wieder viel besser. Die Post hilft mir natürlich auch, das bringt Frequenz, weil die Leute Pakete abholen. Anderseits verursacht es auch Kosten. Sagen wir so: Ohne Post würde ich mehr verdienen, weil ich keinen Angestellten bräuchte.

Das Angebot für die Jause ist ausgewählt und täglich frisch.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Stichwort Frequenz: Beim Haupteingang ins Arsenal gab es jahrzehntelang eine Tabak-Trafik. Das wäre doch ideal als Ergänzung, nicht?

Handler: Ich hätte die Trafik gern gehabt, hatte sogar schon einen Vertrag mit der Monopolverwaltung mit zwei Automaten. Aber dann bin ich draufgekommen, dass ich nur eine Verbundtrafik gewesen wäre, also eine, die nicht hauptsächlich vom Tabakgeschäft lebt. Die Spanne betrug plötzlich nur fünf Prozent statt zehn. Das hätte sich nie gerechnet! Die Ware ist ja im Voraus zu zahlen, und bei sieben Prozent Zinsen für die Kontoüberziehung hätte ich draufgezahlt. Die Verkaufsregale hätte ich auch noch selber kaufen müssen. Mein Steuerberater hat damals gesagt, er kündigt mir als Klient, wenn ich das mache.

STANDARD: Die Politik verspricht Unterstützung für Nahversorger. Haben Sie davon je etwas bemerkt, oder ist das in der Stadt sowieso eine Illusion?

Handler: Auch in der Großstadt braucht es Nahversorgung! Die Leute vergessen, dass sie auch einmal alt werden und die Mobilität nachlässt. Politische Ankündigungen und Straßenumbauten allein sind zu wenig. Der Konsument entscheidet, nicht die Politik. Wer einen Nahversorger will, muss auch dort einkaufen, zumindest ab und zu. Unter Grätzel verstehe ich, dass dort auch Geschäfte leben können, aber das ist allzu oft nicht der Fall.

Wie in einer italienischen Bar: süßes Gebäck und Mehlspeisen.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Sie stehen von 6 Uhr früh bis 8 Uhr abends im Geschäft, samstags bis Mittag, Sie liefern auch Einkäufe aus. Je ans Aufhören gedacht?

Handler: Nein, ich bin ja gern im Geschäft, ich mag den Umgang mit den Leuten. Ein Bürojob wäre nichts für mich. Wenn es nach der Beraterin von der Wirtschaftskammer gegangen wäre, die 1994 da war, um den Bürgeskredit zu bestätigen, gäbe es das Geschäft wohl nicht mehr. Ich müsse mich spezialisieren, hat sie gedrängt. "Wofür?", hab ich gefragt, "für die Wurst?" Es kommt doch keiner wegen der Wurstspezialiäten, wenn er WC-Papier braucht!

STANDARD: Würden Sie Ihren Kindern empfehlen, das Geschäft zu übernehmen?

Handler: Die Frage stellt sich nicht. Mein Vater, ein Polizeioffizier, war damals entsetzt, als ich das Jus-Studium abgebrochen und das Geschäft übernommen habe. Studium, Fußballspielen und Teilzeit im Geschäft, das ist sich nicht ausgegangen. Meine Freunde im Polizeisportverein haben dann gespottet: "Der Greißler mit Matura". Aber ich sag Ihnen: Heute brauchst du die Matura, damit du diesen Job machen kannst.

STANDARD: Sie sind jetzt 60 – suchen Sie schon einen Käufer?

Handler: Ich will das Geschäft natürlich lieber verkaufen als zusperren. Aber eine Warteschlange für 60 Stunden Arbeit in der Woche gibt es noch nicht (lacht). Sollte sich niemand finden für den Laden, wird den Menschen hier etwas fehlen. Dann ist die Post auch weg! Ich bin überzeugt, dass so ein Geschäft eine Zukunft hat, das Image ist hoch, es gibt ein soziales Umfeld. Es geht ja auch um ein erfüllendes Berufsleben und nicht nur darum, möglichst viel Geld zu verdienen. (Luise Ungerboeck, 6.8.2022)