Bild nicht mehr verfügbar.

Sie hören einfach so. Direkt aus dem Lautsprecher des Smartphones. Sie sehen nicht einmal aus, als wäre ihnen die Sache unangenehm.

Foto: getty images

Ich weiß wirklich nicht, was sie mir sagen wollen. Dass sie Aufmerksamkeit wollen, ist offensichtlich. Warum sollte man so etwas sonst tun? Und keine Sorge, ich beobachte sie ganz genau. Aber dann? Nichts weiter. Sie sitzen einfach da. Starren auf ihr Handy. Hören Musik. Laut. In der U-Bahn. Keine Kopfhörer. Kein 08/15-Smartphone-Headset, keine klobigen Over-Ears, keine ohrenverschmalzten In-Ears.

Sie hören einfach so. Direkt aus dem Lautsprecher des Smartphones. Sie sehen nicht einmal aus, als wäre ihnen die Sache unangenehm. Nein, sie tun es mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre es das Normalste der Welt, seine Mitmenschen mit dem eigenen Musikgeschmack zu be-un-glücken.

Sie zucken nicht einmal mit der Wimper, wenn ich ihnen meinen ultragenervten Blick zuwerfe, mit den Augen rolle oder ein passiv-aggressives Schnaufen in ihre Richtung loslasse. Klar könnte ich sie auch ansprechen und darauf aufmerksam machen, dass ihr Gedudel niemanden interessiert – aber wie reagiert darauf wohl jemand, der glaubt, sein Handy ist der U-Bahn-Wurlitzer?

Bitte helft ihnen!

Ich vermute ja, dass dieses Verhalten ein offener Hilfeschrei ist, ein Akt der Verzweiflung, weil sie gefangen sind im Universum des schlechten Musikgeschmacks. In Wahrheit warten sie darauf, dass endlich einer der anderen Fahrgäste aufspringt, ihnen das Smartphone aus den Händen reißt, es auf den klebrigen U-Bahn-Boden schmettert und so lange darauf herumtrampelt, bis kein einziger Ton mehr aus dem Gerät kommt.

Was mich besonders besorgt, ist die Tatsache, dass viele dieser Pseudo-DJs ihre Musik nicht über irgendeine Streaming-Plattform hören, sondern sich die entsprechenden Videos anschauen! Wissen sie etwa nicht, dass es so etwas wie Spotify gibt? Versuchen sie, trotz unbegrenzter Surfkapazität ans Limit ihrer Datenrate zu kommen? Brauchen sie auch den visuellen Reiz, um akustische Signale wahrnehmen zu können? Wieso dürfen diese Leute U-Bahn fahren?

E-Scooter – Ghettoblaster des österreichischen Mittelstands

Neuerdings ist diese Art von Menschen auch auf einem anderen Verkehrsmittel anzutreffen: dem E-Scooter. Die Lautsprecherbox am Lenker montiert, cruisen erwachsene Menschen durch die Straßen Wiens. Gut, dass Erwachsene mit einem Tretroller um die Ecke biegen – mit dieser Art der freiwilligen Selbsterniedrigung hat man sich mittlerweile abgefunden. Und hätten besagte Scooter ein Fenster zum Herunterkurbeln und Ellenbogen-raushängen-Lassen, dann wäre auch dieses Phänomen im Straßenverkehr nicht neu: männlicher Fahrzeuglenker, dessen Testosteronhaushalt ihn dermaßen zu verwirren scheint, dass er seinem Leiden durch Beschallung der Außenwelt Ausdruck verleihen muss.

Die Kopfhörerlosen in den Öffis sind zwar auch vorwiegend männlich, deren Problem scheint mir aber weit komplexer. Beinahe so wie das jener Menschen, die in der U-Bahn Videotelefonieren und dabei alle Mitfahrenden live ins Wohnzimmer von Tante Trude projizieren. Aber das ist eine andere Geschichte. (Margit Ehrenhöfer, 5.9.2022)