Hans Jörg Ulreich, Sprecher der österreichischen Bauträger der WKO, fordert in seinem Gastkommentar eine radikale Reform am Wohnungsmarkt – nicht nur beim Mietrecht.

Seit Jahrzehnten fordern neben der Immobilienbranche Expertinnen und Experten eine längst überfällige Mietrechtsreform. Dass jetzt ausgerechnet der grüne Vizekanzler Werner Kogler, wenn auch in einem ganz anderen Kontext, eine Diskussion darüber eröffnet, hat überrascht. Sein Denkansatz ist aus vielen Gründen nicht umsetz- und schon gar nicht rechtlich haltbar. Aber er fügt sich gut in die Art, wie die österreichische Politik Probleme zum Thema aufarbeitet: Als Erstes wird "Mieten runter!" gefordert, um als Nachsatz einen verbalen Schlag gegen die "böse" private Immobilienwirtschaft hinzuzufügen.

Böser privater und guter öffentlicher Wohnbau? Tatsache ist: Es braucht leistbare Wohnungen.
Foto: APA/Neubauer

Sozial gerechte und ökologische Wohn(bau)-Politik geht jedenfalls – und das macht auch Koglers Ansatz deutlich – zwischen plakativen Politslogans und ideologischen (Vor-)Urteilen unter. Um wirklich greifende Reformen im Mietrechtsgesetz (MRG) umzusetzen, wird es aber eine andere Perspektive brauchen, abseits von der "Öffentlicher Wohnbau ist gut"- und "Private Immobilienwirtschaft ist böse"- oder der umgekehrten Sicht – und zwar von allen Beteiligten.

Keine Haie

Die uns ewig verkaufte heile soziale Wohnungswelt gibt es nicht mehr. Da nutzt auch kein aus dem Hut gezaubertes blutrünstiges Immobilienhaimonster, das für alle Schieflagen geradestehen soll. Dass Kogler nun Mietzinsabschläge im Richtwertsystem fordert, hat in erster Linie mit dem von meiner Branche viel kritisierten Umstand zu tun, dass der Richtwert auch die Mietzinsbildungsgrundlage im Gemeindebau darstellt. Allein ein Blick in den Wohnungsanzeiger von Wiener Wohnen macht deutlich, wie stark Gemeindebaubewohnerinnen und -bewohner zukünftig von einer Gaspreiserhöhung betroffen sind. Ein Heizwärmebedarf von weit über 150 ist dort nämlich keine Seltenheit.

Fakt ist: Dringend zu sanierender und energiefit zu machender Wohnraum befindet sich mehrheitlich nicht in der Hand von milliardenschweren Immobilienhaien, sondern in öffentlicher Hand. Hinzu kommen unsanierte, gemeinnützige Bestandsbauten, einige wenige große Immobilienunternehmen, und der Rest gehört privaten Vermieterinnen und Vermietern, kleinen bis mittleren Unternehmen oder dient der Eigennutzung.

"Die Hürden der alteingefahrenen Glaubenssätze rund um den österreichischen Wohnungsmarkt scheinen jedoch unüberwindbar."

Dass das Richtwertsystem den sozialen öffentlichen Mietpreis regelt und unter anderem gleichzeitig am privaten Wohnungsmarkt ausschließlich am Gebäudealter festgemacht wird, kritisiert die private Immobilienwirtschaft schon lange. Wird die private Mietpreisregelung endlich von der öffentlichen rechtlich losgelöst, so kann Kogler für Gemeindebauten gerne eine Mietreduktion mangels alternativer Energiequelle fordern. Das ist zwar nicht der Energieeffizienz-Weisheit letzter Schluss, populistisch aber verständlich. Auch die jährliche Mietzinserhöhung kann so für die kommenden Jahrzehnte ausgesetzt werden – im Gemeindebau natürlich.

Für den privaten Markt sind solche Maßnahmen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich nicht tragbar. Und es macht im Übrigen ganz generell keinen Sinn, den Mietzins unter den gegebenen Umstellungshindernissen an eine Energiequelle statt an die Energiekennzahl, nämlich an den für jedes Objekt bekannten Heizwärmebedarf, zu koppeln. Denn es ist eine von vielen Seiten angeprangerte Schieflage, dass energieeffizient sanierte Altbauten im Mietrecht Neubauten gegenüber massiv benachteiligt werden.

Günstiger Wohnbau

Eine Anpassung wäre am privaten Wohnungsmarkt der schnellste Weg, um Sanierungen sofort anzukurbeln und um alte Baujuwele rundum effizient zu erhalten. Es stimmt schon, dass Österreich im Vergleich zum Rest der Welt in den vergangenen Jahrzehnten Pionierleistungen im Bereich von sozialem, günstigem Wohnbau geleistet hat. Heute könnten wir auf diesen alten Errungenschaften aufbauen und sie genauso bahnbrechend weiterentwickeln. Dafür brauchen wir echte Reformen, nicht nur im Mietrecht.

Statt ins Leere laufender Abbruchauflagen, Mietpreisbremsen oder Leerstandsabgaben, die zugegebenermaßen für Mieterinnen und Mieter auf den ersten Blick gerecht wirken, braucht es mutige, wenn auch unpopuläre Veränderungen, etwa bei der Vergabe von sozialem, billigem Wohnraum. Das Wiener Medianeinkommen liegt derzeit bei rund 23.000 Euro, um eine günstige Gemeindebauwohnung zu bekommen, darf eine Einzelperson im Jahr in Wien rund 50.000 Euro netto verdienen, und dies wohlgemerkt nur beim Einzug. Statt nach Vormerkdatum nach Einkommen zu reihen wäre der erste Schritt zu einer gerechten Vergabe von sozialem Wohnraum.

Neue Stadtteile

Eine Senkung der Einkommensobergrenze und eine laufende Evaluierung des Einkommens in Verbindung mit einer Mietzinsanpassung wären ebenso eine Möglichkeit, um vorhandenen billigen Wohnraum sozial fair zu vergeben. Sogenannte "Fehlbelegungsabgaben" im sozialen Wohnbau sind mittlerweile durch die effiziente Datenerhebung dank Digitalisierung in unseren Nachbarländern wieder im Kommen und würden bei uns durchaus Sinn machen.

Es gibt unzählige spannende und zukunftsweisende Projekte, die allen Seiten – Mieterinnen und Mietern, Wirtschaft, Politik und Umwelt – guttun würden. Die Hürden der alteingefahrenen Glaubenssätze rund um den österreichischen Wohnungsmarkt scheinen jedoch unüberwindbar. Und während die aktuelle Politik weiter nur Mietsenkungen zulasten der Vermieterinnen und Vermieter fordert, statt sich auf neue Wege einzulassen, bleibt die Sanierungsrate weiter bei nahezu null und fällt das Land im freien Fall durch den Klimaschutz durch.

Da nutzen innerstädtische Nebelduschaktionen genauso wenig wie ein Begrünungsleitfaden oder das Bauen neuer Stadtteile auf wertvollem, grünem Umland. Mit der aktuellen Herangehensweise kommen wir – auch wenn die politischen Maßnahmen für Mieterinnen und Mieter noch so gut klingen – keinen Schritt weiter. (Hans Jörg Ulreich, 30.8.2022)