Schriftsteller Dominik Barta wundert sich in seinem Gastkommentar, "wie oberflächlich die Lohndebatte das öffentliche Bewusstsein bestimmt". Ein Grund dafür sei, dass sie "vom gefühligen Nations-Kultur-Wir-Gedöns übertönt" wird.

Träumt von einer rot-weiß-roten "Festung Österreich": der freiheitliche Parteiobmann Herbert Kickl.
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In gebotener Kürze können wir festhalten, dass das Grundversprechen des Kapitalismus seit Ende des 18. Jahrhunderts (bis heute) lautet: "Es sei dir möglich, mittels individueller Leistung Wohlstand zu lukrieren." Dieses Versprechen bildet die klassische Kernidee des bürgerlichen Zeitalters. Der Handwerker, der Bankier, der Kaufmann oder die Künstlerin erheben sich aus der ehernen Ordnung aristokratischer Verhältnisse, wo Einkommen aus ererbtem Kapital gezogen wird, und erwirtschaften ein modernes Arbeitseinkommen, das auf individueller Tüchtigkeit und Intelligenz beruht.

Dieser sogenannte Kapitalismus hat von Anfang an Schwierigkeiten. Er beginnt nicht und nie auf einem freien Feld, auf einem freien Markt. Immer hat er es mit gewachsenen Verhältnissen zu tun, mit Asymmetrien des Besitzes, des Einflusses, mit blanker Skrupellosigkeit, die er aber in Kauf nimmt, um in Gang zu kommen. Die typisch kapitalistische Diskussion um den "gerechten Lohn" bildet diese Grundproblematik von Anfang an ab. Von David Ricardo über Karl Marx, John Maynard Keynes, Milton Friedman bis Thomas Piketty und Markus Marterbauer diskutieren teils liberale, teils sozialistische Ökonomen über das richtige Verhältnis zwischen traditionellen Kapitaleinkommen und modernen Lohneinkommen.

"Rechte Parteien haben in Bezug auf einen gerechten Verteilungsschlüssel zwischen Kapital und Arbeit nichts zu sagen."

Debatten über den richtigen Lohn bilden das Herzstück einer ausgewogenen, kapitalistischen Wirtschaftsordnung, und so sollte es auch sein. Nur wenn die Lohnpolitik innerhalb einer Ökonomie möglichst gerecht ist, bleibt das bürgerliche Grundversprechen des Kapitalismus intakt, dass sich Leistung nämlich lohnt.

Angesichts ihrer Zentralität frappiert, wie oberflächlich die Lohndebatte das öffentliche Bewusstsein bestimmt. Das hat zwei Gründe: Einerseits ist sie technisch und komplex und erfordert ein kognitives Niveau, das vom tagespolitischen Diskurs regelmäßig unterflogen wird. Andererseits wird die Lohndebatte vom gefühligen Nations-Kultur-Wir-Gedöns überblendet. Rechte Parteien haben in Bezug auf einen gerechten Verteilungsschlüssel zwischen Kapital und Arbeit, Gewinn und Löhnen, brutto und netto nichts zu sagen, von Floskeln abgesehen. Ernsthafte, mathematisch und sozialpolitisch gesättigte Erörterungen ökonomischer Fragen sind mit den FPÖ-Landesparteichefs Udo Landbauer (Niederösterreich) und Dominik Nepp (Wien) oder Parteiobmann Herbert Kickl unvorstellbar. Wie wirkt sich eine Erhöhung der Reallöhne "in the long run" aus? Wie viel Prozent wären am besten? Nur in Österreich oder in der gesamten EU? Was wäre der Unterschied? Wären Steuern praktikabler? Wie soll mit Kapitaleinkünften umgegangen werden?

Absurde Reime

Dafür pochen rechte Parteien auf die Bedeutung von Flaggen und Hymnen, sie streuen absurde Reime und warnen vor der Unterwanderung des "inländischen Volkskörpers" (was immer das sein mag). Nicht die auf dem Bankkonto spürbaren Auswirkungen der Ökonomie, sondern xenophober Quatsch treibt die Realpolitik vor sich her.

Was ist zu tun? Erstens, so denke ich, müssen wir den xenophoben Unsinn dorthin schieben, wo er hingehört, das heißt ins Zentrum der kapitalistischen Theorie. Fluchtursachen lassen sich kapitalistisch deuten. Migrationsbewegungen folgen einer Logik, die wir nicht irrational-fremdenfeindlich, sondern ökonomisch lesen sollten.

Übrigens: Bedeutet Einwanderung nach kapitalistischer Lesart tatsächlich eine Bedrohung? Für wen? Für Europa oder die Herkunftsländer?

Zweitens muss die ideologische Kluft zwischen liberaler und linker Deutung des Kapitalismus in Anbetracht der rechten Hetze zeitweilig ausgesetzt werden. Dass jeder Mensch das Recht hat, sich Wohlstand zu verdienen – diese Überzeugung sollte uns über ideologische Feinabstimmungen hinweg einen. Vielleicht müssen wir uns der historischen Radikalität dieses Versprechens aufs Neue bewusst werden. Vielleicht müssen wir anerkennen, dass der Kapitalismus eine Idee ist, die immer schon über Europa hinausreichte und die gesamte Menschheit dynamisierte – die Klimafolgen machen dies überdeutlich.

Vulgäre Schlichtheit

Jedenfalls müssen wir klar herausstreichen, dass rechte Begriffe wie "Volk", "Kultur" oder "Nation" zutiefst antikapitalistisch, das heißt antibürgerlich sind. In seiner vulgären Schlichtheit will das rechte Denken ins aristokratische Zeitalter zurück. In der "Festung Österreich" wird es dem einfachen Mann indes nicht mehr möglich sein, sich etwas zu erarbeiten. In rot-weiß-rote Lumpen gewickelt kann er dann nur noch hoffen, inländisch genug zu sein, um von Kickls Gnaden ein Almosen zu erhalten. (Dominik Barta, 14.2.2023)