Am 30. Mai 2019 hatten Aktivistinnen und Aktivisten die Wiener Ringstraße blockiert. Es kam zu zahlreichen Festnahmen und auch zu mehreren Verfahren gegen beteiligte Polizeibeamte.

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Sieben Fauststöße und zwei weitere Stöße mit der Faust oder mit dem Handballen versetzte der Polizist Philipp D. einem Demonstranten am Rande einer Klimademo im Mai 2019. So stellte es das Landesgericht für Strafsachen Wien 2021 in seinem Urteil fest und verurteilte den Polizisten wegen Körperverletzung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten mit einer Probezeit von drei Jahren. Das Oberlandesgericht (OLG) Wien ersetzte die bedingte Haftstrafe des Polizisten jüngst durch eine Geldstrafe und nahm in dem Urteil, das dem STANDARD vorliegt, auch Bezug auf aktuelle Klimaproteste, die laut OLG "immer radikaler" werden.

Wörtlich heißt es im Urteil des Dreiersenats: "Umgekehrt darf aber allzu defensives polizeiliches Agieren aus Angst vor persönlichen Konsequenzen nicht dazu führen, das Funktionieren von Wirtschaft oder Verkehr oder auch das Eigentum Dritter dem in der jüngsten Vergangenheit immer radikaleren Aktionismus zu opfern."

Fast vier Jahre nach dem Vorfall kritisierten vergangene Woche Klimaaktivisten die Polizei erneut für aggressives Vorgehen: Auf der Straße angeklebte Personen sollen von Polizeibeamten weggerissen worden sein, ohne zuvor den Klebstoff zu lösen. Die Polizei kündigte an, den Vorfall zu überprüfen.

Schläge waren nicht verhältnismäßig

Doch zurück zu dem Fall Ende Mai 2019: Da blockierten Klimaaktivistinnen und -aktivisten die Wiener Ringstraße im Bereich der Urania, wobei es zu zahlreichen Festnahmen kam. Einer der Demonstranten wurde von Polizisten zur Identitätsfeststellung weggetragen und auf den Boden gelegt. Der Mann zog seine Arme unter seinen Oberkörper, sodass die Polizisten diese nicht hervorziehen konnten. Der Polizeibeamte Philipp D. versetzte ihm die genannten Schläge in den Rücken, damit der auf dem Boden liegende Mann seine Arme lockere – ein nicht verhältnismäßiger Einsatz von Körperkraft, der auch nicht durch die Befugnisse des Waffengesetzes gedeckt war, wie das Straflandesgericht im Oktober 2021 feststellte.

Außerdem stellten die Schläge eine erniedrigende Behandlung im Sinne von Artikel drei der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Das Opfer trug Hämatome und eine Nierenprellung davon, D. wurde zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Auf derselben Demonstration wurde ein weiterer Demo-Teilnehmer mit dem Kopf unter einen Polizeibus gehalten und beinahe überrollt. Der dafür verantwortliche Polizist erhielt schlussendlich eine Geldstrafe in Höhe von 2.250 Euro.

Straflandesgericht: "Fehlende Verantwortungsübernahme"

In dem erstinstanzlichen Urteil über Philip D. steht, dem Polizisten war "die Einhaltung der objektiven Sorgfaltspflichten zumutbar, zumal es zu den Aufgaben eines Polizeibeamten gehört, in derartigen Situationen auch bei Anstrengung und allenfalls Übermüdung verhältnismäßig zu agieren." Ein weiterer Polizist wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, weil er einen tatsachenwidrigen Amtsvermerk über die Demonstration mitverfasst und außerdem vor Gericht falsch ausgesagt hatte. Beide Freiheitsstrafen wurden allerdings bedingt nachgesehen. Eine Diversion kam laut Gericht bei beiden Angeklagten aufgrund der "fehlenden Verantwortungsübernahme" und aus "generalpräventiven Gründen aufgrund ihrer Stellung als Polizeibeamte" nicht in Betracht. Eine "Generalprävention" bezeichnet die abschreckende Wirkung von Strafen gegenüber der Allgemeinheit.

Philipp D. ergriff in der Folge Rechtsmittel gegen das Urteil. Eine Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof wies dieser zurück, eine Berufung an das OLG hatte aber jüngst Erfolg: Der Dreiersenat ersetzte mit dem Urteil vom 15. Dezember 2022 die bedingte Freiheitsstrafe von vier Monaten durch eine Geldstrafe in der Höhe von 120 Tagessätzen à 40 Euro, insgesamt also 4.800 Euro. Dabei wurden allerdings drei Viertel für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Der Polizist muss also 1.200 Euro bezahlen.

OLG: "Mitnichten anlasslos"

Was war die Begründung des OLG für diese Entscheidung? Die Strafe des Landesgerichts sei nicht "tat- und schuldangemessen gewichtet", entschied der Dreiersenat und zählt mehrere Beweggründe auf. Zunächst sei zu ergänzen, "dass der Tathandlung erhebliche Provokationen der einschreitenden Polizisten durch das Opfer […] vorangegangen sind", der Demonstrant sei dem Platzverweis nicht nachgekommen und habe sich unter anderem derart "unkooperativ" verhalten, "dass die ihn tragenden Beamten ihn wegen seiner Bewegungen auf dem Weg zur Identitätsfeststellungszone zwischenzeitig am Boden absetzen mussten, worauf (das Opfer, Anm.) diese als schwächlich verspottete".

In weiterer Folge widersetzte sich der Demonstrant seiner Festnahme, was dem OLG zufolge zwar die Faustschläge in den Rücken des Opfers nicht rechtfertigt oder entschuldigt, "doch handelte es sich dabei mitnichten um einen Fall anlasslos brutalen Vorgehens der Exekutive". Dementsprechend geringer wiege auch die persönliche Schuld des Berufungswerbers D. Auch die Stellung von D. als einem Polizeibeamten sei nicht erschwerend zu bewerten, so das Urteil weiter.

Senat warnt vor "immer radikalerem Aktionismus"

Dem abschreckenden Effekt auf andere Exekutivorgane sei bereits durch die Aburteilung der Tat Genüge getan. Diese zeige, dass Gewalt durch Polizisten auch in einer "aufgeheizten Situation" nicht ungeahndet bleibe.

Für Montagfrüh haben Mitglieder der Letzten Generation erneut Aktionen in Wien angekündigt. Die IG Architektur rief in sozialen Medien dazu auf, sich diesem Protest unter dem Titel "Wo ist der Klimaplan der Regierung?" solidarisch anzuschließen. (Levin Wotke, 20.2.2023)