Im Gastblog stellt Rainer Saurugg konkrete Maßnahmen vor, die zu einem besseren Lernprozess in der Schule führen könnten.

Wir schreiben das Jahr eins nach der Unterstufe: Üblicherweise melden sich besorgte Eltern nach der ersten verfleckten Mathe-Schularbeit Mitte November und wollen Unterstützung für Ihr Kind haben, damit die zweite Schularbeit am Beginn der AHS Oberstufe klappen wird. Ein Fünfer im Semesterzeugnis soll abgewendet werden.

Eine immer wieder praktizierte Alternative dazu ist abzuwarten, ob sich das "Problem" mit der zweiten Schularbeit vielleicht doch von selber lösen würde. Aus meiner langjährigen Praxis kann ich nur sagen, dass diese Eltern sich dann mit Februar melden, weil beide Schularbeiten sowie die Semesternote negativ sind. Jetzt müsse es also anders weitergehen.
Die nächste Stufe dieses Szenarios ist, wenn bereits die Klasse wiederholt werden musste und inzwischen drei Semester hintereinander negativ waren und nun im bevorstehenden vierten Semester (Sommersemester fünfte Klasse, zweiter Durchgang) der Turn-Around endlich gelingen muss.

Der Übergang zwischen Unter- und Oberstufe ist anspruchsvoller, als er sein müsste.
Foto: IMAGO/imageBROKER/Oleksandr Latkun

Schwachstellen in der Kommunikation  

Gerade in diesem "spätpubertären" Alter gilt es immer wieder abzuklären, wie viel die jungen Leute von selber auf die Reihe kriegen beziehungsweise wie viel Unterstützung seitens der Eltern in welcher Form auch immer angeboten wird. Plus auch die Frage, wie viel dann davon seitens der Jugendlichen angenommen wird. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist aber eine systemimmanente Schwachstelle in der Kommunikation seitens der Lehrer und Lehrerinnen. Es gibt zwar Elternabende, wo Mathematiklehrer und Mathematiklehrerinnen vom Beginn der Oberstufe und den kommenden Schularbeiten erzählen, aber es der großen Mehrheit der Eltern wie auch der Schüler und Schülerinnen gar nicht bewusst sein kann, wie sehr sich die Beispiele und die damit verbunden Anforderungen bei einer Schularbeit im Vergleich zur Unterstufe verändert haben. Spätestens bei regelmäßig grottenschlechten Ergebnissen ("Die Schularbeit musste knapp nicht wiederholt werden!") oder insgesamt vier Matheschularbeiten alleine im Wintersemester könnte man auf die Idee kommen, dass es nicht immer nur an den Schülern und Schülerinnen liegt, sondern am System. Und dieses, so mein Eindruck, scheint sich nicht zuständig zu fühlen.

Wo es scheitert

Punkt eins: Die fehlende Selbsteinschätzung seitens der Schüler und Schülerinnen. Der gymnasiale Stoff der fünften Klasse gleicht einem Fleckerlteppich: Terme, Gleichungen, Zahlenmengen, Mengen allgemein, Gleitkommadarstellung und vieles mehr. Hastig wird von einem Mini-Stoffgebiet zum nächsten weitergesprungen. Hauptsache, es wurde erledigt. Die Rechnung bekommen die Schüler und Schülerinnen dann bei der ersten Schularbeit präsentiert.

Exaktes Verstehen und präzise Zusammenhänge werden gefordert, natürlich neben den rechnerischen Skills. Rechnen alleine reicht jedoch schon lange nicht mehr für eine positive Note, du musst die sogenannten Grundkompetenzen meistern: Ankreuzbeispiele, die ein 360-Grad-Wissen zu jedem dieser Mini-Gebiete einfordern, mit Verständnis- und Vernetzungsdetails, die im Unterricht vielleicht gar nicht so genau oder nur so nebenbei vorgekommen sind. Oder wahrscheinlich nicht oder nur wenig bei der anderen Seite angekommen sind.

Füllbare Lücken

Und das geht Hand in Hand mit Punkt zwei: Die fehlende Vorbereitung auf die Schularbeit. Was hält Lehrer und Lehrerinnen eigentlich davon ab, eine Probeschularbeit zu schreiben? Einfach vorher eine Wissenscheck geben, der erstens nur aus Typ-1 Grundkompetenzen besteht und zweitens auch nicht benotet wird. Warum muss die zu erlernende Selbsteinschätzungskompetenz der Schüler und Schülerinnen immer  mit einer (schlechten) Note einhergehen? Genauso könnte es als Feedback für die Lehrer und Lehrerinnen gedacht sein, um zu erkennen, wo massive Verständnislücken bestehen und wo nach nachgeschärft werden müsste. Was mache ich nun als Nachhilfelehrer, wenn Rat und Tat suchende Eltern bei mir im Beratungsgespräch sitzen? So wie ich es sehe, fülle ich eine Lücke, die es eigentlich nicht geben müsste.

Vorbereitung ermöglichen

Punkt drei: Information über Unterstützungsmöglichkeiten.
Anscheinend bestehen hier äußerst unterschiedliche Bilder, ob und welche Unterstützungsmöglichkeiten den Schülern und Schülerinnen oder Eltern kommuniziert werden müssten. Glauben manche Mathematiklehrer und Mathematiklehrerinnen wirklich, dass der bloße Unterricht samt Schulbuch ausreicht? Und geschieht diese Einschätzung eigentlich mit Absicht oder nur aus Unkenntnis der Situation?

Fassen wir es kurz: Lehrkräfte haben neben der faktischen Stoffvermittlung natürlich auch die Aufgabe, Lernprozesse in Gang zu setzen und diese zu begleiten. Und dafür braucht es abhängig von Fach und Anforderungen – je nach Alter der Kinder – das nicht nur passende, sondern auch bestmögliche Material zum (Er-)Lernen, Üben und Festigen. Es liegt in ihrer Verantwortung, jungen Menschen sowie deren Eltern Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man sich ab der gymnasialen Oberstufe gut auf Schularbeiten vorbereiten kann. Ich möchte nun sechs Möglichkeiten aus der Praxis aufzeigen.

 1. Der AHS Aufgabenpool für Mathematik

Mehr Beispiele kennenlernen heißt auch mehr Varianten zu erkennen. Das geht sehr gut mit den originalen Maturabeispielen, vor allem bei Verständnisfragen. Filter ermöglichen das genaue Suchen von Grundkompetenzen beziehungsweise Themen. Lösungsvideos sind inklusive. Und das alles komplett kostenlos. Meiner Erfahrung nach kennt leider nur ein Bruchteil der Schüler und Schülerinnen zu Beginn der Oberstufe diese Möglichkeit. Bekommen sie in der Schule beigebracht, wie man diesen Aufgabenpool benutzt? Meistens Fehlanzeige!

2. Das Grundkompetenzen-Buch

Während der Aufgabenpool immer wieder bereinigt wird, wächst im Buch von Tizian Ruckenbauer die Sammlung an originalen AHS Maturabeispielen hingegen und ermöglicht ein noch besseres Eintauchen in die Materie. Nach Kapiteln strukturiert, natürlich mit Lösungen. Und ehrlich gesagt ist ein gedrucktes Buch auch eine Erholung von der digitalen Bildschirmarbeit. Kurzum: Ein treuer Begleiter für mehrere Jahre Oberstufe.

3. Übungsbücher vom Schulbuchverlag

Diverse Verlage bieten je nach Klasse Übungsbücher für das Kompetenztraining an (zum Beispiel "Lösungswege" oder "Mathematik verstehen"). Eine wichtige Ergänzung zum Schulbuch dank zusätzlicher, einschlägiger Beispiele. Es kann nicht schaden, gleich alle vier Bücher von der fünften bis zur achten Klasse zu kaufen.

4. Online-Zusatzmaterial von Schulbuchverlagen

Exemplarisch möchte ich auf dieses Angebot verweisen. Hier gibt es jede Menge Arbeitsblätter zu Grundkompetenzen kostenlos zum Downloaden. Auch Lehrer und Lehrerinnen greifen hier gerne zu, um schnell mal ein Arbeitsblatt aus dem Ärmel zaubern zu können.

5. Lernvideos

Im Vergleich zu Nachhilfestunden sind Lernvideos immer günstiger. "Mein Kind braucht aber jemanden, der neben ihm sitzt!", bekomme ich immer wieder zu hören, wenn ich im Beratungsgespräch auf mein kostenloses Videoportal verweise. Das mag auch stimmen, aber je älter Schüler und Schülerinnen werden, umso mehr sollten sie sich mit unterschiedlichen Wissensquellen selbständig befassen können. Die klassischen Anbieter mit umfangreichen Videomaterial sind hier Mathago, Competenz4U und Sofatutor.

6. Projekt "MmF"

Wie so oft im Leben: Es gibt gut und gut gemeint. Dies Angebot ist leider letzteres. Der Titel Mathematik macht Freude kommt für Jugendliche wohl eher "cringe" rüber. Und die Aufbereitung dieser vielen Arbeitsblätter wirkt für mich wie eine bloße Verlängerung des Schulbuches. Grundsätzlich ist das ganze Portal ja sehr vielseitig, aber wahrscheinlich sind Lehrkräfte die tatsächliche Zielgruppe und weniger die jungen Leute selber.

Nachhilfelehrer und Nachhilfelehrerinnen sind keine Wunderwuzzis und können auch keine Wunder vollbringen. Wir können nur versuchen, den Lern- und Aufholprozess mit passenden Materialien und Übungsmöglichkeiten zu unterstützen. Und eines habe ich über die Jahre gelernt: Die jungen Leute wollen üben und sich verbessern. Gutes Material muss hier daher das Gebot der Stunde sein.
Das Läuten der Pausenglocke sollte also nicht das Ende des Lernprozesses sein, sondern vielmehr der Anfang! (Rainer Saurugg, 11.4.2023)
 
 P.S. Ich stehe mit keinem der oben genannten Anbieter in irgendeiner geschäftlichen Beziehung. Diese Aufzählung soll vor allem der Orientierung der Eltern dienen.

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