Bundeskanzler Nehammer auf E-Mission. Wird es in Zukunft E-Fuels in Österreich geben?
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Die Aufmerksamkeit hatte Karl Nehammer diese Woche ganz auf seiner Seite. Autogipfel, Besuche in der Autoindustrie, Fachleute, die heftig debattierten – der Bundeskanzler wollte punkten. Als Stütze für die heimische Wirtschaft, als Sicherer von Arbeitsplätzen und als Retter des "grünen" Verbrenners: In dieser Rolle fühlt der ÖVP-Mann sich sichtlich wohl. Die Zukunft des Autos, sie bewegt ja nicht nur die Industrie. Gut fünf Millionen Pkws sind auf Österreichs Straßen unterwegs, die meisten von ihnen schlucken Benzin und Diesel. Noch.

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Neue EU-Regelung

Auslöser für die Aufregung um die Zukunft des Autos ist eine Regelung, auf die sich die EU kürzlich geeinigt hat: Ab 2035 dürfen nur noch jene Pkws und leichte Nutzfahrzeuge neu verkauft werden, die kein CO2 ausstoßen. Das gibt viel Stoff für heiße Debatten, denn es berührt die Frage: Wie werden und wollen wir künftig mobil sein?

Gemeint sind mit den EU-Plänen in erster Linie batterieelektrische Fahrzeuge. Eigentlich galt der Beschluss als fix. Doch als die Mitgliedsstaaten ihn final abnicken sollten, stellte sich Deutschland quer.

Die liberale FDP, die den Verkehrsminister Volker Wissing stellt, verlangte ein Schlupfloch: Autos mit klassischem Verbrennungsmotor sollen weiter verkauft werden dürfen und mit sogenannten E-Fuels betankt werden. Das sind synthetisch hergestellte Treibstoffe, die – wenn sie mit erneuerbarer Energie erzeugt werden – CO2-neutral sind. Schließlich einigte sich Deutschland mit der EU-Kommission: Auch in Zukunft dürfen Autos mit Verbrennungsmotoren verkauft werden – allerdings nur, wenn sie ausschließlich mit E-Fuels betankt werden können und nicht mehr mit herkömmlichem Benzin und Diesel.

Keine Verbote einzelner Technologien

Österreichs Kanzler sprang dankbar auf den Zug auf. Die Österreicher, die in Sachen Autoindustrie schwer von den großen deutschen Autobauern abhängig sind, haben ihre liebe Not mit der Wende zur grünen Mobilität. Auch hierzulande gibt es jede Menge Know-how in der Verbrennertechnologie. Doch damit soll es in absehbarer Zeit vorbei sein. Zu dreckig, zu klimaunfreundlich – die Zukunft gehört in der EU der E-Mobilität. Darauf haben sich auch große Player in der Industrie verständigt. Der Weg dahin ist für die betroffenen Zulieferbetriebe steinig und voll der Unwägbarkeiten. Wie lange noch können sie ihre Auspuffe, Kolben oder Getriebe an die großen Autobauer verkaufen? Wie sehr lassen sich Geschäfte außerhalb Europas betreiben? In vielen Weltregionen lässt der Abgesang auf den Verbrenner auf sich warten. Wie erfolgreich sind die bislang sehr erfolgreichen Unternehmen darin, neue Services und Produkte für Fahrzeuge zu erfinden, die eher Computern auf Rädern als Autos ähneln?

Viele Herren und ein paar Damen beim von Bundeskanzler Karl Nehammer (im Bild mit Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher) diese einberufenen Autogipfel in Wien.

In unsicheren Zeiten mit so vielen offenen Fragen nimmt so manch einer, was er kriegen kann. Und das sind gerne auch einmal die Kanzlerträume von synthetischen Kraftstoffen. Die, so lautet die Hoffnung, könnten das Verbrenner-Aus etwas nach hinten verschieben. Technologieoffenheit wird als Schlagwort wie Feenglitter darübergestreut – eines, das in der Wissenschaft ohnehin selbstverständlich ist. Schließlich wird auch in der EU-Regelung zu den C02-Standards nur festgelegt, dass Fahrzeuge kein CO2 mehr ausstoßen dürfen – ob durch Wasserstoffantriebe mit Brennstoffzellen, durch synthetische Kraftstoffe oder durch E-Mobilität: Verbote einzelner Technologien gibt es nicht. Aber es braucht die richtige Technologie für die passende Anwendung. Und hier hakt es noch. Der Stoff, aus dem die Träume sind, ist erstens noch gar nicht richtig verfügbar, zweitens sündteuer, drittens von sehr schlechter Energiebilanz.

Strom für den Kraftstoff

Woraus bestehen nun also diese neuen Kraftstoffe genau, die für so viel Aufregung sorgen?

E steht für Elektro, Fuel ist das englische Wort für Kraftstoff. E-Fuels sind ergo Kraftstoffe, die mit Strom hergestellt werden. Um so einen Kraftstoff herzustellen, wird zunächst im sogenannten Elektrolyseverfahren aus Wasser mithilfe von Strom Wasserstoff gewonnen (siehe Grafik). Danach wird der Wasserstoff, unter normalem Druck und Temperatur ein Gas, mit CO2 zusammengebracht, das etwa bei Fabriken abgefangen oder aus der Luft geholt wird. So entsteht eine Flüssigkeit, die wie Benzin, Diesel, Kerosin oder auch Schweröl verwendet werden und Autos, Flugzeuge oder Schiffe antreiben kann.

Das Problem dabei ist, dass das Verfahren teuer ist und sehr viel Energie kostet. Ein Gutteil des eingesetzten Stroms wird für den Produktionsprozess gebraucht und kommt nicht beim Motor an. E-Fuels sind knapp, aber umso gefragter. Gleich mehrere Branchen setzen ihre Zukunftshoffnung in sie, allen voran die Luft- und die Schifffahrt, der Schwertransport auf der Straße und die Chemieindustrie. Doch selbst alle weltweit bis 2035 geplanten E-Fuel-Projekte können nicht so viel Kraftstoff liefern, um das Kerosin zu ersetzen, das allein in Österreich in der Luftfahrt verbrannt wird.

"Der Hochlauf von E-Fuels wird noch zehn bis 15 Jahre dauern. Im Straßenverkehr muss E-Mobilität forciert werden." Jürgen Rechberger, AVL List

Es wird ein Griss um den Stoff geben. Das sagt auch Jürgen Rechberger, Leiter der Abteilung für Wasserstoff und Brennstoffzelle bei AVL List. Das Technologieunternehmen ist derzeit an der Entwicklung einer E-Fuels-Anlage in Graz beteiligt. Die Sorge einzelner Branchen, etwa der Luftfahrt, bei dem Rennen um den begehrten Stoff zu kurz zu kommen, sei berechtigt, sagt Rechberger. Der Hochlauf von industriell erzeugten E-Fuels werde noch zehn bis 15 Jahre dauern. Und danach stehe die Produktion im Wettbewerb mit dem Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft für Energie- und Industrieanlagen. "Deshalb muss im Straßenverkehr auch weiterhin die Elektromobilität forciert werden", sagt er.

Kanzler Nehammer stattete den Grazern am Freitag einen Besuch ab. Das Interesse ist schon etwas abgeflaut, doch man hält das Thema am Köcheln. Noch ein Punkt für den Kanzler. Man versichert einander, wie wichtig E-Fuels sind. Das sind sie auch, zweifellos – die Frage ist nur, wo sie eingesetzt werden. Auch wenn sie im Straßenverkehr eine Nischenrolle spielen, werde der Markt für E-Fuels sehr groß sein, schließlich seien sie für Luft- und Schifffahrt konkurrenzlos, sagt Rechberger. Allerdings, das betont etwa die Brüsseler Organisation Transport & Environment, seien Autos, die mit E-Fuels fahren, keineswegs emissionsfrei. Zum Beispiel entstünden bei der Verbrennung ebenso viele Stickoxide wie bei Benzin und Diesel.

Autos schaden der Umwelt und brauchen viel Platz. Warum das Auto in Wien immer noch so viel Raum einnimmt und was andere Städte anders machen.
DER STANDARD

Nicht C02-neutral

Emissionen sind die wichtigste Kennzahl der grünen Wende. Und da sieht Wifo-Ökonom Klaus Friesenbichler auch bei der E-Mobilität noch viele Fragezeichen. Batterieproduktion in China unter Einsatz von Kohle, Stromproduktion, die nicht ohne Gaskraftwerke auskommt. Ein E-Auto verursache heute grob geschätzt ein Drittel weniger C02als ein Verbrenner, richtig C02-neutral sei es jedoch bei weitem nicht, sagt Friesenbichler. Batteriebetriebe Autos taugten wohl lediglich als Übergangstechnologie zur emissionsfreien Mobilität. "Wohin die Reise geht, ist noch offen", sagt der Ökonom, der sich schon lange mit der automobilen Transformation beschäftigt.

Fischen im Wählerteich

Auch Friesenbichler pocht auf Technologieoffenheit. Beim grünen Koalitionspartner Nehammers wird so etwas nicht gerne gehört. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler hat ihre Unterschrift unter den Kompromiss, zu der neuen Regelung zu CO2-freien Fahrzeugen gesetzt, die E-Fuels explizit erwähnt. Die dieswöchige Kanzlertour durch die Autowelt hält man für ein Fischen nach Wählern im rechten Teich. Die FPÖ hat sich besonders vehement gegen das Verbrenner-Aus gesperrt.

Karl Nehammer (hier im Gespräch mit Helmut List) stattete am Freitag AVL List in Graz einen Besuch ab. Die Aufmerksamkeit ist aber am Ende der Woche schon etwas verflogen.
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Zudem sind jene Betriebe auffallend laut, die mit der grünen Wende besonders in Bedrängnis kommen werden, etwa Tankstellenbetreiber und Ölkonzerne. In der sogenannten E-Fuel-Alliance haben sich nicht nur, aber auch so manche Benzinbrüder zusammengetan. Die OMV gehört ebenso dazu wie Mineralölhändler. International ist vor allem Porsche aufgefallen. Der Hersteller, der mit seinen Luxusautos fette Gewinne einstreift, hat gemeinsam mit Siemens Energy eine E-Fuels-Anlage in Chile eröffnet. Sollten die synthetischen Treibstoffe in größerem Stil produziert werden können, hat der Autobauer wohl gute Chancen, seine teuren E-Fuels an die betuchte Kundschaft zu bringen. Eine Nische, die sich rechnen kann.

Schlechte Energiebilanz

Es gibt naturgemäß Interessenten an dem neuen Geschäft. Zuerst einmal jene, denen mit dem Verbrenner die Geschäfte nach und nach wegschmelzen werden. Neben der Mineralölindustrie gehören Unternehmen dazu, die Infrastruktur rund um den Verbrenner bereitstellen – Dinge, die ohne Öl und Sprit sinnlos sind. Für E-Fuels könnte die bestehende Tankstelleninfrastruktur, aber auch der bestehende Fuhrpark – vom Autobus, über den Lkw, bis zur Zugmaschine – ohne Umrüstkosten weiterverwendet werden. Das hätte für manche entlang der Wertschöpfungskette viel Charme. Sie könnten anderen Treibstoffen beigemischt oder eben als reiner Kraftstoff in den Tankstutzen gefüllt werden. In Raffinerien können die E-Fuels zu synthetischen Alternativen für Benzin, Diesel und Kerosin verarbeitet werden.

Kanzler-Besuch beim BMW in Steyr – hier der Blick auf die Halle die derzeit mit Blick auf den grünen Wandel Richtung E-Mobilität gebaut wird.

Viele schöne Gedanken, wäre da nicht der derzeit schwer zu übersehende Pferdefuß: die beschriebene sehr schlechte Energiebilanz. Zum Autogipfel hat Nehammer auch bekannte E-Mobilitätsskeptiker wie den Grazer TU-Professor Georg Brasseur geladen oder den deutschen Chemiker Robert Schlögl, der meint, die Politik blockiere Technologiemöglichkeiten. Vor der Kamera durften sie Nehammers Erzählung abrunden: Wir vergessen nicht auf die alte Autowelt – und auf alle, die auf ihr Auto angewiesen sind.

Es wird Gewinner und Verlierer auf dem Weg zur grünen Mobilität geben – auch in Österreich. Das ist klar. Welche Betriebe es wie treffen wird, ist offen. Exakte Zahlen, die Prognosen zulassen, gibt es schlicht nicht, sagt Wifo-Forscher Friesenbichler. Man will sich nun ein Bild machen. Eine echte Strategie, wohin die Reise geht, wurde am Gipfel nicht festgeklopft. Den grünen Koalitionspartner holte man gleich gar nicht an Bord. (Regina Bruckner, Alicia Prager, 22.4.2023)