"Mein Name ist Nino aus Wien. Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag und eine angenehme Fahrt" oder "Was für ein wunderschöner Stadtteil, Wien ist auch schön, könntet ihr euch einmal anschaun", säuselt der Musiker aktuell aus Lautsprechern der zur Leipziger Messe fahrenden Straßenbahnlinie 16. "Haben Sie schon gehört, dass Österreich zu Gast bei der Buchmesse ist?" Klar!

Ist ja nicht so, als ob die in der ganzen Stadt von Plakaten lächelnden Autorinnen und Autoren es einen leicht übersehen lassen würden. Während am Tag vor dem Start in den Messehallen gerade einmal die nackten Regalfächer in den Kojen montiert waren und der Büchergroßteil noch in den Transportkisten steckte, stellte sich Österreich am Mittwochvormittag bei der Eröffnungspressekonferenz zur Buchmesse trotzdem noch einmal vor.

"Investition" statt Subvention

"Der österreichischen Literatur jenseits von Klischees und Konvention, einer Literatur mit Haltung statt Opportunismus die Bühne zu bieten, die sie verdient", sei das Ziel, sagte Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne). Sie betonte, die zwei Millionen Euro für den Auftritt seien keine Subvention, vielmehr eine "Investition". Nicht solle das "Schaulaufen" in Leipzig als "blinder Nationalstolz missverstanden" werden, sie kam in Frieden und streute den Gastgebern Rosen: "Wir wurden als Gastland eingeladen und als beste Freunde willkommen geheißen."

Österreichs Kulturstaatsekretärin Andrea Mayer und Benedikt Föger, Präsident des Hauptverbands des österreichischen Buchhandels, sind auch in Leipzig.
Foto: APA/dpa/Jan Woitas

Die Stadt Leipzig und die Messe revanchierten sich und bekundeten ihre Freude ob des tollen Programms. Man habe sich Österreich auch wegen seiner Kompetenz für Südosteuropa als Gastland gewünscht. Überhaupt reiche die Verbundenheit nicht nur zurück bis 2002, als Österreich erstmals mit Gemeinschaftsstand und dem Café angereist kam. Die Idee zu "Leipzig liest" hatte einst ein Österreicher.

Beste Rahmenbedingungen also für gelungene Messetage? Tatsächlich sollte sie sich nach drei Ausfällen heuer bewähren. Zweimal kam Corona dazwischen, 2022 wollten dann wichtige Konzernverlage nicht mehr: Sie wollten die für sie wirtschaftlich irrelevante Messe abdrehen, regte sich die Branche auf. Alle widersprachen. 40 Länder sind auf der Messe vertreten. 2082 Aussteller bedeuten heuer aber ein Fünftel weniger. Auch die 2400 Events sind weniger als früher, internationale Autorengäste sind auch rarer.

Kleineres Programm

Offiziell und "sehr konservativ" rechnet man mit 130.000 Besuchern, der Hälfte von 2019. Optimistisch kann man derzeit sein, weil Leipzig, Sachsen und der Bund mit Geld aushelfen. Nervös will man für 2024 aber nicht werden. Dafür beklagte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels neben Kostensteigerungen für die Verlage eine allgemeine Kaufzurückhaltung und Frequenzrückgänge in den Innenstädten sowie dass immer weniger und auch schlechter gelesen würde. Dabei habe "Lesen wirtschaftliche Relevanz" hinsichtlich Fachkräften. Kann man der Politik so das eigene Gewerbe schmackhafter machen?

Sprachperformance von Franziska Füchsl.
Foto: APA/dpa/Jan Woitas

Womit wir wieder bei Österreich wären. Begonnen hatte der Termin mit einer immer wieder ins Singende reichenden Sprachperformance von Franziska Füchsl. Von "ogsoffn" wechselte sie ins Englische und zurück zu "bliamlan". Eigenwillig, aber so charmant, dass man dieser Literatur alles durchgehen lassen mag.

Charme, dieses Wort möchte man nach den ersten Kostproben über den Gastlandauftritt schreiben, der gegen Klischees arbeitet, um doch von deren Anklängen zu profitieren. Mit Schweinchen und Wäschekluppen repräsentiert etwa die Ausstellung "Jetzt & Alles" 50 Jahre österreichischer Literatur. Das "Zeugs", mit und aus dem Texte entstehen, ist nämlich Angelegenheit des Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig, für das die ÖNB die Schau aus eigenen Beständen zusammengestellt hat.

Verständigungspreis

"Alles" ist dabei übertrieben, man muss sich auf engem Raum auf Highlights beschränken. Wanderschuhe von Peter Handke etwa, noch mit Matsch an den Sohlen. Bunte Kluppen gehörten Friederike Mayröcker. Was hat sie mit denen gemacht? Zettel geordnet! Eine Schweinchenkollektion war Recherchematerial für Robert Menasses EU-Roman "Die Hauptstadt". Vieles ist zum ersten Mal ausgestellt. In die heimische Nationalbibliothek kommt die eineinhalb Jahre lang vorbereitete Schau leider nicht.

Die Schweinchen sind Teil eines Konvoluts von Recherchematerial zu Robert Menasses EU-Roman "Die Hauptstadt".
Foto: Österreichische Nationalbibliothek

Abends bei der Eröffnung im Gewandhaus erhielt dann die seit dem Angriffskrieg im Exil lebende Russin Maria Stepanova den Literaturpreis zur Europäischen Verständigung. Die Autorin verurteilte in ihrer Rede den Krieg gegen die Ukraine.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte zuvor eine sehr humorvolle Rede über die "hervorragende Literatur" Österreichs (wobei er bei diesem Urteil nicht objektiv sei), Mehrsprachigkeit seit der Monarchie, deutsch-österreichische Sprachdifferenzen ("Jo, schau ma amol" müsse gar nichts bedeuten) und Dialekte ("Strengen Sie sich gar nicht an", riet er dem deutschen Publikum nach einer Kostprobe Kaunertalerisch) gehalten. Höhepunkt: Das einst von der FPÖ im Wiener Dialekt plakatierte "Daham statt Islam" mache im Kaunertal gar keinen Sinn, weil es dort "Dahuam statt Isluam" heißen müsste. Das Publikum war auch von dieser Charmeoffensive begeistert. (Michael Wurmitzer aus Leipzig, 26.4.2023)