Die berühmte Treppe in der Leipziger Messe. Heuer wird es besonders viel heimische Präsenz geben.

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Als Österreich 1995 zum letzten Mal Buchmessengastland war, damals in Frankfurt, hielt Robert Menasse die Eröffnungsrede. 28 Jahre später hätte er das in Leipzig fast wieder getan. Hat sich so wenig in der heimischen Literatur geändert? Man hätte das jedenfalls entschieden verneinen müssen. Die Frage stellt sich nun also nicht mehr. Doron Rabinovici wird nach einer Planänderung am Donnerstag den 400 Quadratmeter großen Gastlandstand einweihen.

Insgesamt werden im Zuge des kuratierten Gastlandprogramms und mit den davon unabhängig angereisten Präsentationen rund 200 heimische Verlage in Leipzig sein. Zu zeigen gibt es viel: 8500 Bücher sind 2022 in österreichischen Ver lagen erschienen. Begonnen haben die Gastlandbemühungen vor über zehn Jahren und sieben Kulturministern und -staatssekretärinnen.

Beispielloser Aufwand

Dass eine Pandemie dazwischenkommen würde, damit konnte keiner rechnen. Der Aufwand des Auftritts ist, passend zur Wiedergeburt der Messe nach Corona, beispiellos. Aus Angst, der um ein Jahr verschobene Termin könnte doch noch ausfallen, macht man schon seit vergangenem Frühjahr Programm.

Es soll in den Leipziger Messehallen heuer wieder voll werden. Die Jahrgänge 2020 und 2021 wurden Corona-bedingt abgesagt. 2022 hätte die Buchmesse wieder stattfinden sollen, da spielten aber einige große deutsche Konzernverlage nicht mit. Offiziell sahen sie sich "aufgrund der Unwägbarkeiten der Pandemie aktuell nicht in der Lage". Das rief in der Branche viel Ärger hervor und man fürchtete, die Riesen wollten die für ihre Geschäfte wenig wichtige, aber Kosten verursachende Messe abdrehen. Alle beeilten sich, das Gegenteil zu bekunden. Heuer sind sie wieder dabei.
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Natürlich ist das für ein Nachbarland, zumal mit derselben Sprache, leichter als für ein Land von der anderen Seite des Globus. Doch fragt man beim Organisator, dem Hauptverband des österreichischen Buchhandels, nach, würde man es nicht nur wieder so machen: "Denn dass man für nur vier Tage diesen Riesenaufwand der Vorbereitung auf sich nimmt, ist ja eigentlich eine Katastrophe", sagt Geschäftsführer Gustav Soucek. Das verlängerte Programm koste nicht so viel mehr. Soucek hat neben positivem Feedback auch schon Anfragen zum Konzept erhalten. Das Projekt könnte beispielhaft für kommende Gastländer werden.

Dekorpakete zum Erfolg

2,2 Millionen Euro lässt sich das offizielle Österreich den Auftritt, der es über die Literatur hinaus mit darstellender Kunst, Musik, Ausstellungen als Kunst- und Kulturnation präsentieren soll, kosten. Etwa die Hälfte davon fließt in die Auftritte der Künstler. Jeder Auftritt ist bezahlt, heißt es vom HVB. Das ist für eine Messe keine Selbstverständlichkeit. Je eine halbe Million Euro ist in den Messestand und ins Marketing geflossen. Deutsche Journalisten und Buchhändler wurden nach Österreich eingeladen, Dekorpakete an deutsche Buchhandelsketten verschickt.

Limbus ist einer der kleineren heimischen Verlage. Es mag daran liegen, dass der in Innsbruck ansässige Verlag im offiziellen Aufgebot vertreten ist, doch Verleger Bernd Schuchter ist mit dem Auftreten Österreichs zufrieden. Er will in Leipzig "Präsenz" zeigen, "gerade als kleinerer Verlag aus der Provinz". Schuchter bemerkt bereits gesteigertes Interesse für sein Programm, klingt aber nicht so, als würde er sich Wunder erwarten. Denn der Anteil heimischer Verlage am deutschen Buchmarkt ist mit ein bis zwei Prozent klein. Ihn zu vergrößern ist ein Ziel des Gastlandauftritts. Aber: "Natürlich denken deutsche Medien erst an deutsche Verlage. Es gibt Nationalgrenzen. Die wird auch ein Gastlandauftritt wohl nicht niederreißen."

Zu viel?

Dass Limbus trotzdem die Hälfte seines Umsatzes in Deutschland macht, liege einerseits an beharrlicher Arbeit am Buchhandel, am einen oder anderen deutschen Autor im Programm und drittens an der Nische, die man sich mit Lyrik geschaffen habe. Das Verlagsprogramm dieser Saison hat Schuchter indes nicht auf Leipzig hingetrimmt. Denn tatsächlich erscheinen von David Schalko bis Robert Seethaler dieser Tage auch viele Titel heimischer Autoren in deutschen Verlagen. "Wenn der ganze Markt jetzt mit österreichischen Autoren überschwemmt wird, wer soll das alles rezensieren? Das geht ja nicht."

Katja Gasser hat den Gastland-Auftritt unter dem Titel "Mea ois wia mia" kuratiert.
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Ebenso im offiziellen Gastlandprogramm involviert ist der Verlag Carl Ueberreuter aus Wien, mit fünfeinhalb Mitarbeiterinnen ein kleines, aber für heimische Größenverhältnisse beispielhaftes Haus. Der Deutschland-Anteil am Umsatz ist trotz Bestsellern hierzulande gering. Oft höre man: "Das ist zu österreichisch … für uns nicht relevant", sagt Verlagsleiterin Birgit Francan. Noch schwieriger sei das beim Sachbuch. Zwar sei es da "wirtschaftlich deutlich besser, als deutschsprachiger Verlag wahrgenommen zu werden" statt als österreichischer. Doch "das Österreichische gehört zu unserer Identität".

Marktbeobachtung

Den größten Teil des Gastlandauftritts macht mit einem Drittel die Belletristik aus. Von Sachbüchern über Ratgeber bis Kinderbücher ist aber alles dabei. Welche Zahlen man in ein paar Jahren messen will, um zu beurteilen, ob das Projekt ein Erfolg war? Konkrete Zahlen nennt Soucek nicht. Man werde aber Verlage nach Veränderungen fragen.

Welche Markteffekte hat man nach dem Auftritt in Frankfurt 1995 bemerkt? Laut Soucek keine. "Vielleicht hat sich damals aber das Phänomen beschleunigt, dass österreichische Verlage als Scouts für deutsche gelten. Das kann uns jetzt natürlich auch passieren", sagt er. "Aber damit müssen und können wir seit Jahrzehnten gut leben." So geht es also am Mittwoch mit der Eröffnung los. Am Donnerstag wird der Preis der Leipziger Buchmesse vergeben, Clemens J. Setz ist – als heimischer Beitrag – nominiert. (Michael Wurmitzer aus Leipzig, 26.4.2023)