Auf rein rhetorischer Ebene ist die Sache klar: Österreich steht unmissverständlich aufseiten der Ukraine. Die Regierung verurteilt den russischen Angriffskrieg nicht nur in Worten, sie hat auch ganz konkret alle EU-Sanktionen gegen Moskau mitgetragen. Österreich stellt Geld für humanitäre Zwecke im kriegsgeschundenen Land zur Verfügung, und es versorgt hierzulande Flüchtlinge aus ebendiesem.

Dennoch: Bei der Frage, wie es mit der Unterstützung des offiziellen Österreich für die Ukraine aussieht, manifestieren sich Widersprüche. Zuletzt zeigten sich diese anlässlich des Auftritts des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Parlament. Es hat zwei Anläufe gebraucht und über ein Jahr gedauert, ehe die Übertragung stattfand. Am Ende wohnten ihr weit weniger als die Hälfte aller Abgeordneten bei. Ein Großteil nannte Neutralitätsbedenken als Grund.

Es wäre an der Zeit, breit über Österreichs Neutralität zu debattieren. Im Bild: Die Flaggen der Nato Mitgliedsstaaten.
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Unstimmigkeiten ergeben sich auch aus dem Modus Vivendi, den die türkis-grüne Koalition bei den Abstimmungen über eine EU-Militärhilfe für Kiew gefunden hat. Sie enthält sich in Brüssel "konstruktiv", wie sie sagt, um die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs zu ermöglichen. Die Regierung will also die Unterstützung nicht torpedieren, aber "militärisch neutral" bleiben.

Um diese Haltung zu verbildlichen: Das Haus des Nachbarn brennt, er ruft um Hilfe. Wir wollen unseren Feuerlöscher nicht hergeben, hindern aber zumindest die anderen Nachbarn nicht daran, es zu tun. Die Neutralität sieht allerdings durchaus gewisse Handlungsmöglichkeiten vor, wie Österreich es mit seiner stets recht flexiblen Auslegung selbst vorexerziert hat. Grundsätzlich verbietet die Neutralität militärische Hilfe, das Prinzip ist jedoch seit dem EU-Beitritt nicht mehr in vollem Umfang gültig. Dass Österreichs Support für die Eumam-Mission zur Stärkung der ukrainischen Armee zulässig ist, die Ausbildung von ukrainischen Panzerfahrern aber nicht, erscheint nicht schlüssig.

Was hierzulande gerne als Tugend ausgelegt wird, offenbart viel mehr einen fragwürdigen Charakter. Auch weil wir uns, um beim Bild zu bleiben, für den Fall, dass es bei uns einmal brennen sollte, sehr wohl darauf verlassen, dass unsere Nachbarn uns zu Hilfe eilen: die EU, vor allem aber die Nato, denn ohne den mächtigen Nato-Partner USA an der Seite ist die gesamte Union nicht wehrfähig.

Dass die Neutralität – ihre Grenzen und auch ihr eventuelles Ende – nicht von der Staatsspitze abwärts unter Einbindung der Bevölkerung zur Debatte gestellt wird, ist angesichts der veränderten geopolitischen Großwetterlage ein grobes Versäumnis. Schweden und Finnland haben diese Diskussion geführt, Politik und Bevölkerung entschieden sich am Ende für die Nato. In Irland sind öffentliche Foren in Planung, auch die Schweiz steckt gerade die Grenzen ihrer Neutralität neu ab. Österreichs Regierung beharrt hingegen auf der Neutralität und rühmt sie als wertvolles diplomatisches Instrument.

Die vielzitierte "Brückenbau"-Funktion ist allerdings ein Mythos und eine rein österreichische Selbstwahrnehmung, die außerhalb der Landesgrenzen niemand teilt. Dass Bündniszugehörigkeit und Diplomatie einander nicht ausschließen, lebt das Nato-Gründungsmitglied Norwegen vor. Österreich ist keine Brücke – und sicherheitspolitisch nirgendwo klar verankert. Es muss sich eindeutiger positionieren. Sonst droht das Land am Ende isoliert dazustehen. (Anna Giulia Fink, 28.4.2023)