5. Juni 1995: Peter Guggi, von Michael Hatz umarmt, wurde ein anderer Mensch. Er hatte das Cupfinale entschieden.


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Peter Guggi im Jahr 2023. Ab und zu schaut er sich Rapid-Spiele live an.

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Michael Krenn hatte am 5. Juni 1995, es war der Nachmittag des Pfingstmontags, einfach zu kurze Hände. Der Tormann von DSV Leoben reagierte prinzipiell richtig, hatte die Flugbahn des Balles instinktiv erkannt, er streckte sich wie ein Expander. Letztendlich vergeblich. Es geschah im Ernst-Happel-Stadion, es war das Cupfinale gegen Rapid, die Uhr zeigte die 20. Minute. Stefan Marasek legte die Kugel zurück auf Peter Guggi, der defensive Mittelfeldspieler hat sie direkt übernommen. Mit dem linken Fuß, "der eigentlich mein tauber war". Es wurde ein ganz gemeiner Aufsitzer aus rund 25 Metern ins lange Eck, Krenn hätte, erinnert sich Guggi, "halt längere Hände gebraucht". Der Ball zappelte also im Netz, es sollte beim 1:0 für Rapid bleiben. Im Stadion wurde es laut, wobei die Kulisse eher bescheiden war, 15.000 Fans verloren sich im riesigen Oval. "Es war die größte Emotion, du machst das goldene Tor, bist auf einmal ein anderer Mensch", sagt der 55-jährige Guggi im April 2023.

Den Treffer hat er dutzende (eigentlich hunderte) Male gesehen, auf Videos, im Fernsehen. Sein Sohn Philip wurde zwei Jahre nach dieser Emotion geboren, er ist heute 26 und glühender Rapid-Fan. "Er hat erst viel später mitbekommen, was sein Vater erreicht hat, welchen Status er erlangt hat."

Da die hellseherischen Fähigkeiten des Grazers Guggi durchaus begrenzt sind, konnte er nicht ahnen, dass in den folgenden 28 Jahren ausschließlich andere Vereine den Cup gewinnen würden. "Eigentlich ein Wahnsinn." In Hütteldorf und Umgebung spricht man aufgrund dieses grauslichen Vakuums salopp vom "Guggi-Fluch".

Steirische Weltmeisterschaft

Er wurde am 25. September 1967 in Graz geboren. Spielte der Bub nicht Fußball, so dachte er an Fußball. Er nahm an einem Knirps-Turnier teil, das war eine Art steirische Weltmeisterschaft, organisiert nicht von der Fifa, sondern der Kleinen Zeitung. Der kleine Peter, sozusagen das Peterle, wurde zum Liebling des Publikums gewählt. Gottfried Lamprecht, ein ehemaliger Verteidiger des GAK, war auch angetan, lotste den Achtjährigen ins Leistungszentrum der Rotjacken. Und die Dinge nahmen ihren Lauf. Guggi schloss die Lehre zum Bürokaufmann brav ab, wurde trotzdem Profikicker. Sein Leitsatz: "Es geht ums Hier und Jetzt." Vorbild war der Argentinier Osvaldo Ardiles, Diego Maradona wäre eine Hausnummer zu groß gewesen.

Guggi entwickelte sich zu einer schnellen, zweikampfstarken Laufmaschine. "Ich war nie ein Selbstdarsteller, für mich war die Mannschaft das Wichtigste, ich war immer für sie da. Allein schaffst du es nicht. Als Alleinunterhalter ist man im Fußball und in anderen Berufen am Holzweg." Auf den GAK folgte 1990 DSV Alpine, der LASK, wieder der GAK, ab 1992 Wiener Sport-Club. 1994 heuerte er bei VfB Mödling an. Im Jänner 1995 wurde das Leben des Peter Guggi auf den Kopf gestellt.

Harald GAZZETTA

Bei Rapid hatte sich Innenverteidiger Robert Pecl schwer verletzt. Trainer Ernst Dokupil suchte Ersatz und fand Guggi. Dass der dann im Mittelfeld eingesetzt wurde, ist eine vernachlässigbare Laune des Fußballs "Durch einen unglücklichen Zufall war ich auf einmal zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Es wurde eine glorreiche Zeit, ein Highlight folgte dem anderen. Ein Rad hat ins andere gegriffen, wir waren trotz unterschiedlicher Charaktere eine eingefleischte Truppe."

Guggi zählte zur ruhigen Partie, der gehörten auch Peter Schöttel, Peter Stöger, Andi Heraf und Michael Hatz an. Dann gab es bei Rapid die Wilden, das waren Zoran Barisic, Didi Kühbauer, Stefan Marasek und der mittlerweile verstorbene Sergei Mandreko. Denen war fast kein Spaß zu blöd, sie wurden die "Daltons" genannt. Guggi mochte sie alle. Und Dokupil schätzte die Laufmaschine Guggi.

Österreichischer Cupsieg 1995, das Finale des Europacups der Cupsieger im Mai 1996, das in Brüssel gegen Paris Saint Germain 0:1 verloren ging. Guggi spielt durch: "Trotzdem ein Drüber-Highlight." Meistertitel 1996. Dokupil ging, Heribert Weber wurde 1997 Trainer. Und er teilte Guggi mit, nicht mit ihm zu planen. "Ich bekam keine faire Chance, also beschloss ich zu wechseln. Denn ich habe schon meinen Stolz." Im Juni 1997 war Rapid für ihn nach rund 100 Einsätzen Geschichte. "Diese zweieinhalb Jahre waren ein einziger Traum, da war alles gebündelt."

Rückkehr nach Mödling, ein kurzer Zwischenstopp in Schottland bei Hibernian Edinburgh, Leoben wurde 1999 zur letzten Station. 2002 zog er sich im Zweitligaspiel gegen Kapfenberg eine schwere Verletzung zu. Das war Brutalität, bei einem Foul wurden das linke Wadenbein und der Knöchel zertrümmert. Nichts ging mehr, die Schmerzen sind nie ganz verschwunden, ab und zu schluckt er Schmerztabletten. "Die Knochen reiben aneinander. Nicht einmal leicht Laufen geht. Aber was soll’s. In meinen Fußballerjahren bin ich eh ein paar Mal um die Welt gerannt. Man muss Dinge im Leben abschließen können."

Auf den Spuren des Vaters

Er wollte eigentlich im Fußballgeschäft Fuß fassen. Als Teammanager. "Aber es war 2003 weder in der ersten noch in der zweiten Liga ein Platz frei." Guggi schnupperte ins Immobiliengeschäft rein, seit 17 Jahren verkauft er in Graz Autos. "In jenem Geschäft, in dem mein Vater 36 Jahre lang gearbeitet hat. Sie wollten mich unbedingt als Nachfolger."

Zu seinen ehemaligen Rapid-Kollegen hat er kaum Kontakt. "Aus geografischen Gründen, ich bin weg aus Wien, da kann man nicht auf ein Bier gehen. Wege trennen sich."

Am Sonntag wird er beim Finale gegen Sturm Graz in Klagenfurt dabei sein. Rapid vergisst nicht, hat Guggi selbstverständlich eingeladen. "Die Tagesverfassung entscheidet. Rapid ist auf dem Weg, eine Einheit zu werden." Er selbst hat gemischte Gefühle, ein lachendes und ein weinendes Auge. "Natürlich drücke ich die Daumen, es ist Zeit für einen neuen Goldtorschützen, den 15. Cupsieg. Damit der Fluch vorbei ist." Andererseits würde man ihn in diesem Fall wohl vergessen. "Dann bin ich nicht mehr der letzte Held, werde nicht mehr angerufen. Denn es ist schön, wenn in dieser schnelllebigen Welt doch noch Platz für Nostalgie ist."

Für Peter Guggi bleibt der 5. Juni 1995 immer ein Segen. "Den nimmt mir keiner." (Christian Hackl, 29.4.2023)