Auch Terrorismus hat manchmal eine nicht geradlinige Genese. Der Täter, der am Mittwoch in einer tunesischen Synagoge wahllos um sich schoss, tötete zuvor zwanzig Minuten entfernt einen Kollegen. Aber das bedeutet nicht, dass er sich als zweiten Tatort nicht bewusst eine historische Stätte des Judentums in Nordafrika auswählte. Die La-Ghriba-Synagoge auf Djerba war schon 2002 Anschlagsziel, und auch damals brauchte das Regime – unter dem 2011 gestürzten Ben Ali – lange, bis es zugab, dass es sich um Terrorismus, konkret um antisemitischen, handelte.

Nach dem Angriff auf eine tunesische Synagoge sichert die Polizei die Umgebung.
Foto: Imago/Zuma Wire

Andere arabische Staaten verurteilten am Mittwoch den Anschlag bereits, da war vom Präsidenten noch immer nichts zu vernehmen. Kais Saied, der Tunesien in eine Autokratie umwandelt, fürchtet um den Tourismus. Die chaotische, oft dysfunktionale Demokratie hat er abgeschafft, aber die wirtschaftliche und soziale Lage der Menschen nicht verbessert.

Das Judentum war lange vor dem Christentum und gar dem Islam in Nordafrika präsent. Saied äußert sich nicht antijüdisch, aber er hat seine Meinung, dass Frieden mit Israel "Hochverrat" sei, öfter wiederholt. Auch die neue Verfassung ist danach. Die Führung hetzt offen gegen Ausländer, natürlich nicht gegen die zahlenden Touristen und Touristinnen, aber die Stimmung im weltoffenen, mediterranen Tunesien verengt sich. Und die Antiterrorismusgesetze werden hauptsächlich dazu benutzt, gegen die Opposition vorzugehen. (Gudrun Harrer, 10.5.2023)